Die Verehrung der Mutter Gottes hat viele Facetten. 1571 siegt die Christliche Liga in der Seeschlacht bei Lepanto gegen eine zahlenmäßig überlegene Flotte der Osmanen. Seitdem verehrt die Christenheit die Gottesmutter als Retterin der Christenflotte und als Rosenkranzkönigin. Zu Beginn eines außergewöhnlichen Konzertes zum Rosenkranzfest erinnert Begegnungsstätten-Leiter Thomas Englberger an diese Historie und verweist auf ein Fresko mit Motiven der Seeschlacht in der Klosterkirche. Am Sonntag verwandelt sich diese längst vergessene Geschichte in das Gegenteil. Statt Schlachtenlärm triumphiert die Musik und Okzident und Orient vereinen sich zu einem friedlichen Wettstreit der Töne und Worte.
In der wiederum vollbesetzten Klosterkirche dürfen sich die Besucher auf ein faszinierendes Feuerwerk musikalischer Besonderheiten freuen. Bei aller kulturellen Unterschiedlichkeit zwischen Okzident und Orient gibt es ein erstaunliches gemeinsames Mutter-Bild. Mit den Facetten der Mutterrolle haben sich von jeher auch die Komponisten beschäftigt. Jungfrau Maria, die römische Kaiserin Agrippina oder die babylonische Königin Nitocris sind nur eine kleine Auswahl von Beispielen, mit deren Mutterschaft sich die Alte Musik in Opern, Oratorien und Kantaten auseinandersetzt.
Im Konzert zum Speinsharter Rosenkranzfest kreuzen sich Barockarien und Lieder aus dem Morgenland unter dem Thema der verschiedenen Mutterrollen. Der Festtag führt zu einem besonderen Aufeinandertreffen. Nuria Rial und Dima Orsho, zwei große Künstlerinnen, eine katalanische Sopranistin und die ebenso berührende Sängerin aus Syrien, interpretieren ein eigenwilliges und ergreifendes Programm mit Barockarien, traditionellen Liedern und neuen Werken zum Thema „Mutter“. Eine Musik aus zwei Welten, die einander näher scheinen als erwartet. Sich ausgedacht und zum Leben gebracht hat das Projekt die Flötistin Danya Segal.
Mit ihrer Gruppe Musica Alta Ripa genießt das Publikum in Speinshart ein kaleidoskopartiges Programm aus dramatischen Szenen der Barockliteratur von Händel und Telemann, das sich in emotionaler Innigkeit mit arabischen Wiegenliedern verbindet.
So begegnet das Publikum nach dem verträumten „Schlaf Kindlein, schlaf“ von Mevan Younes auf dem Buzuq die Sopranistin Nuria Rial mit ihrem weich schwingenden Timbre in „Il Pianto di Maria“ der trauernden Jungfrau Maria. In „Salomon“ versucht eine Mutter, ihr Kind zurückzubekommen. In „Belshazzar“ verliert die babylonische Königsmutter Nitocris ihren leiblichen Sohn, König Belshazzar, im Kampf gegen die Perser. In Georg Philipp Telemanns Arie „Komm o schlaf“ aus „Germanicus“ versucht sich hingegen Agrippina, Mutter von Caligula, im Schmerz in der stillen Einsamkeit der Nacht zu vergraben.
Während Nuria Rial glanzvoll die Stimme des Okzidents vertritt, erklingen die Lieder aus dem Orient von Dima Orsho. Im Lied der syrisch-maronitischen Christen zum Karfreitag begegnet Orsho in „Wa Habibi“ der trauernden Jungfrau Maria. In „Hidwa“ wiegt die Mutter ihr Kind in den Schlaf und beklagt dabei ihr eigenes verlorenes Leben um gleichzeitig zu trösten: „Ihr Menschen geht schlafen, Gott aber schläft nie“.
Sowohl Nuria Rial als auch Dima Orsho bezaubern mit ihren warmherzigen Stimmen, geführt von sensiblen Seelen mit ergreifender Ausstrahlung. Gerade bei Orsho verrät der Grad an Sinnlichkeit eine Kunst, die in der Sublimentierung des Schmerzes und unerfüllter Sehnsüchte große Wirkung zeigt. Das Ergebnis ist überwältigend. Die barocken Stücke von Händel und Telemann und die arabischen Lieder ergänzen sich und beflügeln.
Mit der Gruppe Musica Alta Ripa gewinnt das Konzert noch an künstlerischem Niveau. Ihr üppiger Klang und der emotionale Reichtum der Interpretationen beflügelt die gelungene Auseinandersetzung mit Alter Musik. Den Schlusspunkt des Konzerts setzen Ensemble und Künstlerinnen gemeinsam. In der dreiteiligen Komposition „“Ishtar-the greater mother“ begegnen die Konzertbesucher der Mutter der arabischen Welt, einer babylonischen und hethitischen Göttin, „Göttin aller Göttinnen“ genannt. In der „Transzendenz“ heißt es auf arabisch gesungen: „Hört mich, Zuhörer! Und lernt aus meinen Worten“! Dieses Werk hat Dima Orsho eigens für das Projekt komponiert, einem Projekt, der die Mutterrollen aus West und Ost näher bringt, kultur- und zeitübergreifend, in der auch die Musik zum Inbegriff von Heimat wird.













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