15.07.2019 - 21:14 Uhr

Spezialisierung und Kooperation statt Krankenhaus-Kahlschlag

Radikale Forderungen garantieren ein Maximum an Aufmerksamkeit. So auch die Schlussfolgerung einer Krankenhausstudie der Bertelsmannstiftung, die Zahl der rund 1500 Plankrankenhäuser auf unter 600 zu senken.

Kommentar von Jürgen Herda
Infotage am Klinikum Weiden: Die Nähe zu einem Krankenhaus bedeutet für viele Bürger ein Stück Lebensqualität. Bild: Gerhard Götz
Infotage am Klinikum Weiden: Die Nähe zu einem Krankenhaus bedeutet für viele Bürger ein Stück Lebensqualität.

Die Stiftung des Medienimperiums der Unternehmerfamilie Mohn ist allerdings keine neutrale wissenschaftliche Einrichtung. Sie propagiert die Privatisierung staatlicher Bereiche und fördert den Wettbewerb auf allen Ebenen.

Der von Wissenschaftlern des beauftragten IGES-Instituts errechnete Kahlschlag passt ins Bild. Das Resümee: Groß und zentral ist besser als klein und regional. Die Studie verspricht den Abbau von Überkapazitäten, mehr Qualität durch bessere ärztliche und pflegerische Personalausstattung bei vertretbaren Anfahrtswegen. Unbestritten ist, dass in kleineren Einrichtungen bei komplizierten Eingriffen mehr Komplikationen auftreten. Im Schnitt verfügen deutsche Kliniken über weniger als 300 Betten, ein Drittel über 100. Jede dritte Klinik hatte 2017 keinen Computertomographen (CT).

Zweifel an der Methodik

Die Kliniken in Amberg (578 Betten) und Weiden (649 Betten) würden der Studie zufolge aber in eine Struktur von Versorgungskrankenhäusern mit durchschnittlich 600 Betten fallen, neben denen es etwa 50 Unikliniken und Maximalversorger mit durchschnittlich 1300 Betten geben soll.

Betrachtet man freilich die Auswahl ländlicher Räume, an denen sich die Studie orientiert, sind Zweifel an der Methodik angebracht: Als Fallbeispiel dient die Metropolregion Rheinland mit einer Einwohnerdichte von über 700 pro Quadratkilometer, einer Vielzahl von Kommunen mit über 40.000 Einwohnern, einer hohen Anzahl an Arzt- und Facharzt-Einrichtungen sowie einem dichten Netz an Autobahnen und Bundesstraßen.

Real existierender ländlicher Raum

Im real existierenden ländlichen Raum würden dagegen nicht nur die Wege länger – auch die ambulante Erstversorgung geriete aus dem Gleichgewicht. Medizinische Grundversorgung bei Geburten und der Behandlung altersbedingter Krankheitsbilder ist aber genauso unverzichtbar wie die Bereitschaft für Krisenfälle. Statt Kahlschlag würde Spezialisierung, mehr Kooperation und die Übernahme ambulanter Aufgaben Sinn machen – vor Ort kann dann entschieden werden, ob Patienten besser in eine Schwerpunktklinik verlegt werden sollten.

Rein wirtschaftliche Argumente allein – auch mit Bezug auf die vor wenigen Tagen präsentierten Ideen für gleichwertige Lebensverhältnisse – können nicht das Maß aller Dinge sein: Die Medizin ist den Menschen verpflichtet – so steht es seit 2013 im Patientenrechtegesetz.

 
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