Tirschenreuth
29.04.2019 - 17:24 Uhr

Vom federnden Gehen in den Worten

In der Tirschenreuther Reihe "Kunst um 3" präsentierte sich diesmal die "Literatur" mit Jeff Beer. Der freischaffende Musiker, bildende Künstler und Autor las am Sonntag im "Literatur-Salon" erstmals seine unveröffentlichten Gedichte.

Der als vielseitig bekannte Kunstschaffende Jeff Beer aus Gumpen bei seiner Lyrik-Lesung in der Reihe „Kunst um 3“ im Tirschenreuther Museums-Quartier. Bild: Heiner Brückner
Der als vielseitig bekannte Kunstschaffende Jeff Beer aus Gumpen bei seiner Lyrik-Lesung in der Reihe „Kunst um 3“ im Tirschenreuther Museums-Quartier.

Der studierte Musiker und spartenübergreifend agierende Künstler (Musik, Komposition, Grafik, Fotografie, Bildhauerei und Literatur) las im Museums-Quartier Tirschenreuth unveröffentlichte Lyrik aus dem geplanten Band "Im Bergland als Schnee". Beer erläuterte, wie ein Gedicht entsteht, und rezitierte teils mehr als 30 Jahre alte Werke, weil das Schreiben ein andauernder Prozess ist, der ihn seit Mitte der Siebzigerjahre intensiv beschäftigt. Die Dichtungen möchte er erst dann in die Öffentlichkeit entlassen, wenn der "Extrakt" die stimmigste Klangform gefunden hat. Diese Nachmittagslesung war also eine Premiere, bei der der Lyriker Beer zum ersten Mal, wie er betont, seine anspruchsvollen, stark persönlich geprägten Euphonien vorträgt und in klangreichen frei improvisierten Interludien am Flügel kommentarlos nachklingen, einwirken und "tiefklingen" ließ.

Organisierte Sprache

Die ersten drei Beispiele sind aus dem Themengebiet "Natur" gewählt: "Leben" spricht von der täglichen Geburt; eine lyrische Miniatur, die 1982 in Paris entstanden ist, will das Urbane verstehen lernen: "Hundegeschichte mit mir und Jonas", und als drittes das gereimte Jahreszeiten-Farbsprachen-Poem "Spätsommeraug".

Neben dem Einfluss der Umgebung bei Gelegenheitsgedichten wirkt als Initialimpuls der Prozess eines Sinnes in uns, der "sich ins Wort hineinkrallt" und um den Einschluss eines Kerns das Drumherum festhält wie bei der Entstehung eines Schneekristalls. Der Landschaftseindruck muss aber auswachsen und in Sprache organisiert werden, auch wenn das manchmal kryptisch klinge oder nicht auf Anhieb erklärbare Assoziationen hervorrufe. Wichtig neben der gestaltenden Form ist der weitertreibende Sound, der Rhythmus. Den Abschnitt mit "schlichteren", oft selbst deutenden Gedichten ("Die Erde bist du", "Dorf", das zu jeder Zeit "morgen ein Fest erwartet", "Ich, Scheune, Stroh") trug der musische Allrounder in nahezu singend-schwingendem Tonfall vor. Stark prägt den Künstler das, was nicht nur die Bäume vor seinem Haus zu sagen haben. Sie sind ein Segen, wenn sie sich wiegen in "Wo ein Wort wächst", dichtet der in dieser Landschaft Verwurzelte. Oder durch die Bedeutung ihrer Wurzeln, die er fragt: "Wo wohnst du, wenn das Warme schläft?" in "Ihr müden Stämme" und "Knöchernes Licht".

Ein weiterer Themenbereich sind Liebesgedichte, die von intensiven Begegnungen erzählen - von den extremen Polen des Verliebtseins bis zur Liebe über den Tod hinaus, die sich sehnsuchtsvoll im Requiem aus der Distanz heraus nach dem "Ineinandergreifen" sehnt. Wie der "Urpuls des Weberschiffchens" surrt das sich zu einem wiederholend gesungenen "Du" und schließt ab mit der Frage: "Soll ich nicht doch ein bisschen näher kommen?"

Nicht nur zu diesem Zeitpunkt herrscht absolute Stille bei den Zuhörern des "Literatur-Salons" im voll besetzten Raum. Solche Spannungsatmosphäre vermögen die konzentrierte unterbrechungsfreie Vor-Lesung wie auch dies sinnliche Sprachmelodie der Beer'schen Lyrik zu erzeugen. Ein sehr langes und intensives mit einem Tirschenreuther Architekturbüro verknüpftes Gedicht über den Entstehungsprozess des Kulturspeicher-Museums in Würzburg trägt den Titel "Tritt ein für unbestimmte Dauer in ein Haus aus Gegenwart". Es ist aufgebaut wie ein Musikstück mit Präludium, drei Interludien und einem Postludium. Wortreich und stilistisch versiert spricht es von dem Wort, das die Namen der Orte weiß, um bei der Aufforderung zu landen "Du bist", die korreliert zum Impuls des ersten Blocks: "Sorg dich nicht so viel - geh jetzt."

Ausnotierte Partitur

Mit der 56. Fassung eines Hymnus auf die Urgesteins- und Vulkan-Umgebung, das in ausnotierter Partitur vorliegt, dokumentiert Beer eine neue Dimension seines energetisch geladenen Schaffens. Das abschließende Gedicht "Das federnde Gehen der Schritte" klingt wie die Liebeserklärung eines Naturlyrikers in nie versiegendem Melos, wenn "junges Grün, du schöne Fiedel" aus den Oberpfälzer Granitsäulen einen Fingerabdruck des Geschaffenen finden will.

Sollte die Tirschenreuther Reihe "Kunst um 3" sich auf diesem Qualitäts-Niveau fortsetzen, könnte sie sich mit Fug und Recht umbenennen in "Kunst hoch drei".

 
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