09.08.2019 - 09:15 Uhr

Verrücktes Eigenleben

Richtig ernst genommen hat Alice Cooper sich und seine Arbeit nie, seit er 1968 mit Schulfreunden in seiner Heimatstadt Detroit eine Band ins Leben rief. "Höchstens ganz zu Beginn unserer Karriere", erinnert er sich. "

Hohepriester des Grauens? Alice Cooper macht eigentlich nur sein Ding - und das seit Jahrzehnten gut. Bild: Ron Fenn
Hohepriester des Grauens? Alice Cooper macht eigentlich nur sein Ding - und das seit Jahrzehnten gut.

Spätestens nach unserem ersten Top Ten-Hit Anfang der 1970-er war uns klar, dass wir nichts anderes sind als eitle Konsumhuren. Oder drücken wir es etwas freundlicher aus: Entertainer. Wenn auch Entertainer des Grauens. Das macht wenigstens etwas her", feixt Alice Cooper. Und so ist es dem 71-Jährigen bis heute nicht zu blöd, sich dick Schminke um Mund und Augen zu pinseln, Babypuppen auf der Bühne die Köpfe abzureißen oder sich auf dem elektrischen Stuhl braten zu lassen.

"Hey", rechtfertigt sich Alice, der im bürgerlichen Leben Vincent Damon Furnier heißt, "ich habe diese Art der Show erfunden, also habe ich auch ein Recht darauf, sie bis ans Ende aller Tage aufzuführen! Und mal ehrlich: Ich habe nach wie vor alle Zähne im Mund, mein Haar ist weiterhin ziemlich dicht. Das reicht, um immer noch auf die Bühne steigen zu dürfen, ohne peinlich zu wirken. Ich fühle mich derzeit fit wie nie zuvor", berichtet Cooper stolz im telefonisch geführten Interview, das anlässlich seiner aktuell laufenden US-Tournee stattfindet, "dank" der Zeitverschiebung kurz vor Mitternacht in Deutschland.

Täglich zehn Kilometer

Der Top-Fitnessgrad liegt sicher daran, dass der einst notorische "Budweiser"-Vernichter seit Dekaden keinen Tropfen Alkohol mehr anrührt und stattdessen täglich im Morgengrauen rund zehn Kilometer joggt. "Es war irgendwann", grübelt Alice, "einfach an der Zeit, diese alte Gewohnheit, meinen Geist Tag für Tag in Alkohol zu ertränken, über Bord zu werfen. Es gab Phasen in meinem Leben, an denen ich keine Ahnung mehr hatte, wer ich eigentlich war und was ich da machte. Also musste ich zu mir selbst zurückfinden. Das konnte nur funktionieren, indem ich auf diesen Stoff namens Alkohol komplett verzichtete."

Schizophren fühlt sich Cooper jedoch nach wie vor, "schließlich", lacht er anhaltend, "bin ich Künstler, wir sind doch alle nicht ganz dicht. Also: 22 Stunden am Tag bin ich Vincent, aber die restliche Zeit bin ich Alice Cooper, eine völlig eigenständige Persönlichkeit. Hallo, das meine ich ernst! Der Kerl führt tatsächlich ein Eigenleben. Es gibt Momente, da habe ich ein wenig Angst vor ihm, weil er absolut unberechenbar ist. Dann versuche ich, beruhigend auf ihn einzureden. Ich habe einen gehörigen Respekt vor diesem Typ."

Hat Vincent Panik, dass Alice irgendwann die Oberhand über ihn bekommen könnte? "Oh Gott", murmelt Cooper, "das wäre grauenhaft. Da könnte sich die Welt auf etwas gefasst machen, wenn Alice nicht mehr auf der Bühne, sondern... sagen wir... in deiner Nachbarschaft zu Hause ist. Dann kann man für nichts mehr garantieren."

Neues Werk 2020

Aktuell ist Cooper an einem neuen Studiowerk dran, das im kommenden Jahr erscheinen soll und über das er nur so viel verraten möchte: "Die Platte wird wohl meine düsterste und bedrohlichste Arbeit", wie er analysiert. "Ich weiß, dass man mich in der Öffentlichkeit für den Hohepriester des Grauens ansieht, einen Befürworter von Schrecken aller Art", ist sich Alice im Klaren. "Tatsächlich aber halte ich der Gesellschaft nur einen - verzerrten - Spiegel für das vor, wie sie sich Tag für Tag präsentiert. Bei mir ist der Schrecken theatralisch, in der Wirklichkeit ist er grässlich real. Und da die Gesellschaft meiner Ansicht nach immer brutaler und schonungsloser wird, muss ich in meiner Rolle als düsterer Chronist entsprechend darauf reagieren.

50 Jahre "Pretties For You"

Die Welt steckt in einer tiefen Depression. Vor allem aber vernachlässigt sie die Kunst. Dabei wollen viele Menschen - vor allem die sensiblen - in eine andere Welt fliehen, das geht nun mal am Besten durch Kultur. Genau an dieser Stelle beginnt meine Arbeit. Ich helfe den Menschen bei der Flucht aus dem Rationalen, das tue ich liebend gerne. Das ist mein Job! Wer sich für zwei Stunden in meine Show setzt, der wird danach gestärkt in den nächsten Tag gehen."

Im Herbst wird Alice Cooper, das Bühnenmonster, anlässlich des 50. Erscheinungsjahres seines Debütalbums "Pretties For You", auch in Deutschland wieder "das tun, was ich am besten kann", wie er überzeugend bekräftigt: "Konzerte geben!" Anscheinend besitzen die nach wie vor genügend Sprengkraft, um einige Politiker dermaßen zu erschrecken, dass sie seine Shows verbieten lassen wollen.

"Diese Restriktionen", grübelt Alice, "habe ich nie verstanden. Schließlich ging es bei unseren Performances stets um einen völlig überdrehten Spaß. Das war so offensichtlich, dass man uns einfach nicht ernst nehmen konnte. Wir sind nichts weiter als die Protagonisten einer burlesken Satire. Und wenn jemand kommt und uns "schwarze Magie" oder "Psycho-Kult" vorwirft, kann das höchstens bedeuten, dass dieser Mensch nicht einen einzigen Funken Humor in seinen Knochen trägt."

Egal - solange es auf der Welt noch Bühnen gibt, auf die Alice darf, wird er hoch steigen und spielen: "Und wenn ich nach zwei Stunden Schweiß und Blut in der Umkleidekabine sitze, werde ich zufrieden an meinem alkoholfreien "Budweiser" nippen und denken: "Tja, so schön kann das Leben gelegentlich sein." Mehr brauche ich nicht zum Glück."

Auf seiner "Ol' Black Eyes is Back"- Tour spielt Alice Cooper am Dienstag, 1. Oktober, in der Münchner Olympiahalle.

Karten beim NT/AZ/SRZ-Ticketservice unter Telefon: 0961/85-550, 09621/306-230 oder 09661/8729-0

 
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