Die Erkenntnisse dieser Reportage stammen aus den Gerichtsverhandlungen. Vor Gericht standen bislang sieben Fahrer und Mittelsmänner. 28,5 Jahre Haft wurden verhängt. Weitere Verfahren folgen. Ein Hintermann wurde Mitte März bei London verhaftet.
Bei Tripadvisor wären diese Reiseveranstalter ganz schnell unten durch. Die Touren sind hundsteuer. 8000 bis 10 000 US-Dollar pro Person verlangen Schlepperbanden für die „All-inclusive-Reise“ vom Nahen Osten bis nach Deutschland. Von First Class kann keine Rede sein: Das Fortbewegungsmittel ist derart unbequem, dass dafür die Vorstellungskraft kaum ausreicht.
Zwei Schleuserkomplexe werden bei der Justiz Weiden gerade aufgearbeitet. In einem lagen die Geschleusten geschichtet wie die Sardinen im doppelten Boden eines Kleinlasters. Das Versteck maß 1,17 mal 3,29 Meter mal 27 Zentimeter Höhe. Darin lagen acht Personen. Die eine Hälfte stieg mit dem Kopf voraus über eine Öffnungsklappe im Führerhaus ein.
Die anderen vier umgekehrt, so dass sie mit dem Kopf in Fahrtrichtung lagen. So schaukelten die Iraker, Iraner, Syrer auf einer Hartfaserplatte ohne jedes Polster über zehn Stunden gen Westen. Jede Erschütterung direkt in die Bandscheiben. Ohne Essen. Ohne Stopp. Gepinkelt wurde in Wasserflaschen. Ihre Familien überwiesen dafür irre Summen.
Im anderen Komplex um einen rumänischen Spediteur und zwei seiner Fahrer saßen die Geschleusten oben auf der Ladung. Das mag bequem klingen. Aber es blieben nur 40 Zentimeter bis zur Decke des Trucks. Die bis zu 40 Passagiere kletterten auf Leitern in den Laster und krochen über die Ladung, um ein Plätzchen in drangvoller Enge zu ergattern. Die Fahrten dauerten etwa 17 Stunden.Man habe kaum Luft bekommen. In einem Fall saßen die Fahrgäste ungesichert auf Füllmaterial aus Schaumstoff („komische Fussel“). Es wackelte so, dass ein Kind brechen musste. Die Mutter hatte einen Bluterguss, weil beim Einsteigen so auf Eile gedrängt wurde, dass sie sich den Kopf anstieß. Die Frau hatte Angst, dass sie ihre Kinder verlöre, wenn sie nicht schnell genug „oben“ sei.
Wie groß der Druck sein muss, für sich oder seine Kinder solche „Reisen“ zu „buchen“ – das steht in den Schleuserprozessen am Weidener Amts- und Landgericht nicht zur Diskussion. Für die Richter geht es um Taten und konkrete Tatnachweise – schwer genug. Für die Ermittler von Staatsanwaltschaft und Bundespolizei geht es auch um das Aufdecken von Strukturen: Man will mehr vor Gericht sitzen sehen, als die üblichen zerknirschten Fahrer aus Osteuropa, die von Geldschwierigkeiten erzählen.
In beiden Verfahren ist es der der Bundespolizeiinspektion Waidhaus, Bundespolizeirevier Bärnau, im Auftrag der Staatsanwaltschaft Weiden gelungen, Hintermänner n zu ermitteln. Bei den Schleusungen durch die rumänische Spedition führte Rayan S. (39) aus Großbritannien das Kommando: Der Brite irakischer Herkunft dirigierte die rumänischen Fahrer per Whatsapp an den Treffpunkt in Rumänien. Er gab Anweisungen zur Verladung und vereinbarte per Whatsapp den Schleuserlohn. 900 Euro pro Person, Kinder die Hälfte. Fotos gingen hin und her: von Banknoten in Plastiktüten und der Partystimmung nach Gelderhalt.
Einmal saßen auf der Fracht – in diesem Fall Sofas für Großbritannien – obenauf 30 Iraker und Iraner. Der rumänische Fernfahrer und sein Beifahrer ließen die Passagiere auf der „Rennerhöhe“ bei Weiden an der B22 aussteigen und fuhren über Calais nach England, um die Sofas auszuliefern. Auf einem Truckerparkplatz bei London trafen sie sich mit Rayan, der dem Fernfahrer 20 000 britische Pfund in bar übergab. Umgerechnet 20640 Euro. Der Durchschnittslohn in dessen Heimatland liegt bei 560 Euro im Monat.
Rayan S. konnte am Mittwoch, 13. März 2019, in einem Londonder Vorort festgenommen werden. Die Festnahme war Teil eines europaweiten „Common Action Days“ gegen Großschleuser unter Regie des Bundespolizeipräsidiums Potsdam. Auch er soll in Weiden vor Gericht gestellt werden.
Illusionen braucht sich niemand hinzugeben: Seit fast vier Jahren ist es wie mit der griechischen Hydra. Kaum ist ein Kopf ab, wächst der nächste nach. Verändert hat sich allenfalls die Route. Waren früher einfache Hotels in Budapest (Ungarn) der Dreh- und Angelpunkt, ist heute die rumänische 300 000-Einwohner-Stadt Timisoara der „Hotspot“ für Schleusungen. Hier gibt es Unterkünfte, in denen Migranten auf die Weiterreise warten. Darunter sind ganz normale Wohnungen in Hochhäusern: „Airbnb“ für illegale Migranten. Auf der gesamten Route durch Serbien, Bulgarien und Rumänien gibt es auch so genannte „Safe Houses“, in denen sie die Nacht verbringen, ehe es weitergeht.
Die Kosten für eine Schleusung liegen nach Aussagen der Kunden im hohen vierstelligen Bereich: Zeuge Mohammad J. (28) aus dem Irak berichtete den Ermittlern, dass seine Familie in Teilbeträgen insgesamt 8500 US-Dollar überwiesen habe. Immer, wenn der Geschleuste eine Etappe geschafft hatte, floss die nächste Tranche: 1500 Euro für Istanbul-Bulgarien, 5200 für Bulgarien-Deutschland. Seine Aussage deckt sich mit anderen. Der Iraker war einer der Geschleusten auf der Ladung der rumänischen Speditionslastwagen.
Die Zahlen sprechen für sich: Laut Bundespolizei Waidhaus wurden im Jahr 2018 insgesamt 28 Schleusungsfälle aufgedeckt. 53 Ermittlungsverfahren gegen 74 Schleuser und Beihelfer wurden eingeleitet. Die Gesamtzahl der festgestellten eingeschleusten Personen betrug 186. Im ersten Quartal 2019 sind 14 Ermittlungsverfahren gegen 13 Schleuser und Beihelfer dazu gekommen. Es wurden neun Schleusungen mit 34 Migranten registriert.
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