Bei adäquat düsterem Dämmerschein, blau, rot oder grün changierend lässt das bestens eingespielte Team tragische Geschehnisse in Moskau, an der Wolga, in Constantine (Algerien) wie im Flug verstreichen. Das Melodram - gesprochener Text mit Instrumentalmusik - ist auf den Bühnen selten geworden; Horwitz rehabilitiert es mit raffinierter Meisterschaft. Vom Urteil Richard Wagners (1852), dies sei ein „Genre von unerquicklichster Gemischtheit“ möchte man lieber Abstand nehmen. Hatte Suppés „Der Tannenhäuser“ aus dem gleichen Jahr Wagners Groll ausgelöst? Sein „Tannhäuser“ datiert auf 1845.
Genuss aus einem Guss
Die Zusammenarbeit der Weidener Meisterkonzerte mit der Kulturbühne klappt bestens, die Akteure teilen sich am Freitag die Arbeit auf der Bühne trefflich, das Publikum ist hautnah dabei: Für das Wort zeichnet Horwitz verantwortlich, für Tango, Ton und Musik die „Jouristen“. Edouard Tachalow an der Violine mit sinnlich schwelgendem Ton und lässig sprudelnder Virtuosität, die auch mal an Stéphane Grappelli erinnert. Auf Augenhöhe alternierend Jakob Neubauer mit den schillernden Farben seines Bandoneons. Die rhythmische und harmonische Basis legen Gitarrist Andreas Dopp und Spiritus Rector Johannes Huth am Kontrabass. Wie sie Stimmungen vorbereiten, psychische Vorgänge begleiten und überhöhen, Szenen trennen oder verbinden – und das alles mit akribisch genauem Timing - das hat Klasse und erinnert an die besten Tugenden von Filmmusik: „Wer fühlen will, muss hören“. Die Einzel-Titel „Winter“, „Elegie“ und „Wenn du mich liebst“ stammen vom Ensemble-Gründer Efim Jourist und stehen in der Tradition des „Russischen Tango“, dazu tritt ein delikates Arrangement von Mussorgskis „Tuilerien“.
Liebe ohne Glück
Dominique Horwitz hat drei Erzählungen vom Reger-Zeitgenossen Iwan Bunin (1870-1953) ausgesucht, dessen Todestag war exakt ein 8. November. Bunin war 1933 Träger des Nobelpreises für Literatur. Dreimal geht es um Verlieben und Liebe, das Aufwallen von Hormonen und Emotionen, das den Verstand umnebelt, berauscht, das süchtig macht. In „Der Sohn“ führt es wie bei Tristan und Isolde in den Liebestod, der in Constantine allerdings zur einseitigen "Tötung auf Verlangen" (StGB § 216, Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren) wird, exekutiert vom „Sohn“ Émile. Im „Mordwinischen Sarafan“ erliegt der Liebhaber den Verlockungen einer zickigen Drama-Queen, nach der Begegnung bleibt nur der Gedanke an Flucht weit, sehr weit weg. Auf einem Wolga-Dampfer trifft ein Leutnant eine Frau, die nach der intimen Begegnung anonym in Nichts abtaucht, beide waren halt getroffen vom „Sonnenstich“.
Bunin erzählt mit spannender Sprachmacht, scharf beobachtend spricht er alle Sinne an, lässt Bilder entstehen, entwirft subtile Psychogramme, spontane Gefühle steuern den Lebensweg. Keine der Geschichten endet glücklich, sondern melancholisch, offen, einmal tödlich. Bunin moralisiert oder verurteilt aber nie. Die Bewertung überlässt er dem Hörer. Horwitz erweist sich wieder einmal als Meister der Erzählkunst, fasziniert folgt das Publikum im voll besetzten Haus.
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