Weiden in der Oberpfalz
21.01.2019 - 14:47 Uhr

Einflug der Überflieger

Absagen lassen manchen Veranstalter schlecht schlafen. Berlin fliegt Hilfe ein: Quasi als Care-Paket liefert bei den Weidener Meisterkonzerten das junge Varian-Fry-Quartett anstatt der Kollegen vom Philharmonischen Quartett.

Wegen einer schweren Erkrankung musste das Philharmonia-Quartett-Berlin das geplante Konzert beim Förderkreis für Kammermusik absagen. Dank hervorragender Kontakte der Veranstalter, war schnell adäquater Ersatz gefunden: das Varian-Fry-Quartett. Die Musiker sind junge Mitglieder der Berliner Philharmoniker, die als Quartett vom Philharmonia-Quartett betreut wurden. Bild: Helmut Kunz
Wegen einer schweren Erkrankung musste das Philharmonia-Quartett-Berlin das geplante Konzert beim Förderkreis für Kammermusik absagen. Dank hervorragender Kontakte der Veranstalter, war schnell adäquater Ersatz gefunden: das Varian-Fry-Quartett. Die Musiker sind junge Mitglieder der Berliner Philharmoniker, die als Quartett vom Philharmonia-Quartett betreut wurden.

Nach deren Auftritt werden die Veranstalter vom Förderkreis für Kammermusik geruhsam und entrückt in selige Musik-Traumwelten schlafen können: Die vier Berliner Nothelfer waren ein Glücksfall. Sie zeigen, auf welch exponiertem Niveau bei den dortigen Philharmonikern (Welt-Spitzenklasse!) musiziert wird. Erfreulich, dass die Vier neben ihrem Orchesterdienst viel Zeit, Ideen und Herzblut in die Kammermusik investieren.

Mit seidig-luftigem Klang eröffnet Primarius (vor der Pause) Philipp Bohnen Mozarts Quartett G-Dur KV 387, er inspiriert seine Kollegen zu einem beflügelten, transparenten, nie verschleierten Spiel: Marlene Ito mit ihrer ausgesprochen präsenten Violine, Martin von der Nahmer mit warm und frei singender Viola, Rachel Helleur mit in der Tiefe erdig-fülligem Violoncello.

Freud und Leid

Sie wissen Mozart überzeugend zu behandeln: Den windschnell wechselnden Affekten nachzuspüren, den verschiedenen Charakteren Profil und Kontrast zu verleihen. Mit empathischem Interesse zeigen sie die zweiflerischen Gesten (Chromatik) auf, die sich zwischen den Zeilen der Klangrede finden und Mozarts Aussage tiefere Dimensionen verleihen. Störrischer Witz im Menuetto (2er-Betonungen im 3er-Takt), plötzlicher bitterer g-Moll-Ernst im Trio. Überirdisch abgeklärte Bekenntnisse im Andante cantabile. Ein Feuerwerk an Esprit und Handwerkskunst im Molto Allegro.

Eisiger Ostwind weht dann in Schostakowitschs 8. Quartett op. 110 von 1960 herein. Die Grundtonart c-Moll erlaubt dank dem leeren C der untersten Cellosaite die abgrundtiefsten, finstersten Quartett-Akkorde. Als einziges Werk des Abends hat dieses einen programmatischen Hintergrund: Das Opus ist „dem Gedächtnis der Opfer des Faschismus und des Krieges“ gewidmet.

Bomben über Dresden

Es bezieht sich auf Eindrücke der Zerstörung Dresdens 1945, ausgelöst durch einen Film, zu dem Dmitri Schostakowitsch die Musik schrieb. Quasi „signiert“ ist das Quartett mit den Initialen „D-S-C-H“, wie bei Mozart begegnen uns Chromatik und Kontrapunkt, aber hier stehen diese Stilmittel für Ausweg- und Trostlosigkeit, Schrecken und Entsetzen. Das Fry-Quartett spielt betroffen, suggestiv, mit stahlkalter Wut im Allegro Molto, mit ätzender Ironie im Allegretto. Trauer und gnadenlos bitterer Ernst bewegen, ja erschüttern.

In eine vollkommen andere Welt führt Ravels F-Dur-Quartett von 1905. Es scheint, als wirbelten vibrierende Eindrücke, sphärische Stimmungen, leuchtende Klangfarben wie ein frischer Wind durch den Kopf des Komponisten, auch im Quartett erweist sich Ravel als einer der Besten beim Thema „Instrumentation“. Das Varian Fry Quartett musiziert den ganzen Abend hochkonzentriert, mit schier makelloser Intonation, mit über jeden Zweifel erhabener technischer Sicherheit, mit seismografischem Klanggespür und faszinierender musikalischer Phantasie bis ins kleinste Detail. Als Zugabe das „Presto e scherzando“ D-Dur aus Haydns „Divertimento a quattro“ op. 20/4.

 
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