Weiden in der Oberpfalz
21.10.2019 - 13:53 Uhr

Expeditionen im Beethoven-Kosmos

Was für ein Saisonauftakt der Weidener Meisterkonzerte! Keine Herbst- sondern Applaus-Stürme brausten nach dem überragenden Konzert des „Belcea Quartet“ London durch die Max-Reger-Halle.

Das Belcea Quartet zählt zur internationalen Spitzenklasse. Sie haben bereits alle Beethoven-Quartette eingespielt. Von links nach rechts: Axel Schacher, Krzystof Chorzelski, Corina Belcea und Antoine Lederlin Bild: dok
Das Belcea Quartet zählt zur internationalen Spitzenklasse. Sie haben bereits alle Beethoven-Quartette eingespielt. Von links nach rechts: Axel Schacher, Krzystof Chorzelski, Corina Belcea und Antoine Lederlin

In Vorgriff auf das Beethoven-Jubiläumsjahr (250. Geburtstag) standen Quartette des Meisters auf dem Programm, der damals – gebürtig in Bonn – mit Migrationshintergrund in Wien lebte. Bestens ausgewählt: Das allererste Quartett D-Dur Opus 18/3 von 1798, kontrastiert von der letzten vollständigen Komposition op. 135 in F-Dur (1826), nach der Pause op. 59/2 in e-Moll (1806) und als umjubelte Zugabe die atemberaubend virtuos und bis ins kleinste Detail durchgehörte und -gestaltete Fuge aus op. 59/3.

Die Fackel weiter tragen

In Opus 18/3 erweist Beethoven den geschätzten Kollegen Haydn und Mozart seine Reverenz – er knüpft an deren Gestaltungsprinzipien an, spricht aber schon mit unverwechselbarer Stimme zukunftsprägende Gedanken aus. Das Belcea Quartet zeigt diese Entwicklung überaus plastisch: Die ersten drei Sätze siedeln sie noch in der gesellschaftlich wie politisch gefestigten Welt des 18. Jahrhunderts an, lassen die anstehenden Umbrüche aber schon durchblitzen. Alle Energie konzentrieren sie auf den letzten Satz, hochvirtuos und voller Temperament entfalten sie Beethovens Visionen, die über das 19. Jahrhundert ausstrahlen sollten.

Opus 135 gestalten sie als weit ausgreifendes Resümee, hier braucht Beethoven niemandem mehr sein Können zu beweisen, auf keinen Publikumserfolg zu schielen. Belcea spielt mit faszinierendem Einverständnis, mit hochdifferenzierter Rhetorik: Allein wie sie bei Dialogen zwischen scheu, tastend, fragend, zweifelnd, bestimmt, erregt, ergrimmt oder wütend unterscheiden – das ist sensationell. Ein Ereignis sind die Akkorde, bei denen sie das Gewicht jeder einzelnen Stimme mit der Goldwaage austariert haben. Meisterhaft das synkopisch durch-marmorierte Scherzo. Mit feinstem Farbenspiel ausgeleuchtet die Dissonanzen im Molto Adagio – hier scheint Beethoven schon in einer anderen Welt zu sein. Das Dreiton-Doppelmotto im vierten Satz („Muss es sein? – Es muss sein!“) ernst und abgesetzt vom zweiten volksliedhaft-verschmitzten Thema.

Phänomenal dann das 1806, mitten in der Zeit der Napoleonischen Kriege entstandene Quartett op. 59/2. Messerscharf, mit blitzartigen Reaktionen die extremen Lautstärke-Kontraste, jeder musiziert kompromisslos engagiert, nahtlos wie selten gelingen die heiklen Ablösungen der Stimmen. Frei jeder materiellen Last der langsame Satz. Sanglich-elegant, nicht Wodka-trunken derb das russische Thema im Trio. Das Finale ein Sturm außerhalb des Wasserglases, eine vulkanische Eruption.

Piquefeinste Quartettkunst

Diese schier unfehlbaren Musiker haben uns ein unvergessliches Konzerterlebnis beschert: Namenspatronin Corina Belcea mit mild leuchtendem, nie scharf-schneidendem Violinton, auf Augenhöhe mit Axel Schacher. Warm und klar Krzystof Chorzelski an der Viola. Schlank, elegant, temperamentvoll und bemerkenswert beweglich Antoine Lederlin am Violoncello. Ein Vierer-Team mit einem über die Jahre ausgereiftem Beethoven-Verständnis, das seinesgleichen sucht. Der BR hat mitgeschnitten und sendet am 12. Dezember um 20:05 Uhr.

The Belcea Quartet

 
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