Alexander Melnikov lässt die ehrwürdigen Vorfahren zu Ton kommen; sie erweisen sich dank der Pflege bei Klavierbauer Christoph Kern (Staufen im Breisgau) als topfit, er stellt sie fachkundig vor. Das Hammerklavier von Josef Simon wurde 1825 erbaut, drei Jahre nachdem Franz Schubert seine Fantasie C-Dur op. 15 D 760 komponiert hatte, sie bezieht ihre Thematik aus dem Lied „Der Wanderer“. Der Rahmen des Flügels ist aus Holz konstruiert, die elegante „Wiener Mechanik“ arbeitet mit Leder-Hämmern. Die Diskanttöne klingen schnell ab und legen die Mittelstimmen frei. Diskant, Mittellagen und Bässe haben sehr individuelle Klangfarben, klar und direkt, mit Moderator ergibt sich ein sphärisch schwebender Klang.
Authentischer Schubert
Schuberts Musik kommt schlank, vital, dramatisch, farbsprühend, auch mit eindrücklicher Innigkeit über die Rampe, selbst ganz tiefe Bässe verlieren nie an Verständlichkeit. Schon hier erweist sich Alexander Melnikov als überragend souveräner Pianist, sein Spiel kann suggestiv sprechen, betörend singen, virtuose Feuerwerke abbrennen.
Für die zwölf Etüden op. 10 von Frédéric Chopin wird der Pleyel-Flügel (Paris 1848) angeworfen, Eisenverstrebungen ermöglichen höheren Saitenzug, der Anschlag erfolgt mit kleinen Filzhämmern, ein zusätzlicher Resonanzboden gibt dem Klang Weichheit.
Entschlackter Chopin
Die anspruchsvollen Stücke erklingen transparent wie selten. Arpeggien und Tonleiterpassagen sprudeln glasklar wie Quellwasser, Mittelstimmen, Motive und Themen erscheinen wie vom Eise befreit, nie werden sie von populistisch protzender Fingerfertigkeit verschleiert. Erneut: Endlich versteht man abgrundtiefe Bassläufe wie in der „Revolutions-Etüde“.
Bei den „Réminiscences de Don Juan“ greift auch Franz Liszt zu virtuosen „pyrotechnischen“ Effekten, Blüthners leichtgängige „Patentmechanik“ (Leipzig 1856) setzt sie souverän um. Die Saiten sind noch parallel gespannt, die Registertrennung ist trennscharf, der Gesamtklang erdig, kernig und schlank.
Erst bei Strawinskys drei Szenen aus dem Ballett „Petruschka“ kommt Ur-Enkel Steinway zum Zug, hier treffen sich Musik und Instrument aus dem 20. Jahrhundert. Steinway wuchtet enorme Klangmassen in den Saal, die Bassregister sind ausnehmend füllig, der Diskant trägt lange, der etwas milchig wirkende Klang ist ein Ideal an Homogenität. Die über Kreuz gespannten Basssaiten liefern aber nicht die reiche Farbpalette wie zuvor. Melnikov scheint sich zu übertreffen, er weckt erstaunliche Anklänge an den originalen Orchestersatz und wird dann zu Recht gefeiert.
Wie wohl tut nach dem etwas vielen „Theaterdonner“ ein schlichtes Prélude von Chopin auf dem Pleyel! Es bleibt Verwunderung, wieso die meisten Pianisten weltweit nur an einem einzigen, dem modernen Typus von Klavier auftreten und uns damit viel Erkenntnis und „Wahrheit“ vorenthalten. Sind es Unkenntnis, Bequemlichkeit oder das liebe Geld?
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