Weiden in der Oberpfalz
27.12.2019 - 16:47 Uhr

"Me too"-Debatte ohne Wirkung in der Oberpfalz

Seit zwei Jahren debattiert Deutschland über "Me too". In der Oberpfalz hat die Diskussion um Sexismus gegen Frauen noch nicht alle erreicht. Betroffene berichten, was sie in ihren Jobs erleben und wer ihnen oft negativ auffällt.

Im Wirtshaus an der Taille berührt werden? Das geht gar nicht, findet eine junge Kellnerin aus der Oberpfalz. Vor allem ältere Männer haben von der "Me too"-Debatte noch nichts mitbekommen. Bild: Gabi Schönberger
Im Wirtshaus an der Taille berührt werden? Das geht gar nicht, findet eine junge Kellnerin aus der Oberpfalz. Vor allem ältere Männer haben von der "Me too"-Debatte noch nichts mitbekommen.

Im Wirtshaus sitzen Besucher mehrerer Generationen. Negativ fallen einer 26-jährigen Bedienung aus der westlichen Oberpfalz meist nur ältere Männer auf. "Da merkt man schon, dass sie eine andere Art haben, mit einer Bedienung zu reden." Sie scherzen gerne mal, rufen die junge Frau mit "Moila" an ihren Tisch statt sie beim Vornamen zu nennen, fassen ihr an den Rücken, wenn sie die Bestellung aufgeben. "Man merkt, dass sie das drin haben und nicht hinterfragen, es anders zu machen", sagt die 26-Jährige, die im Gasthaus ihrer Eltern mitarbeitet und wie alle anderen Betroffenen in diesem Artikel anonym bleiben möchte.

Die junge Kellnerin empfindet das Verhalten von Senioren nicht immer als negativ, sie schätze ab, wie ein Spruch gemeint ist. Es komme auf den Kontext an. Aber: "Es ist eine schmale Linie zwischen mitlachen und schlagfertig reagieren." Manchmal überschreitet ein Gast eine Grenze, meist ist dann Alkohol im Spiel. ",Mei hast du an schönen Busen.' Damit kann ich gar nicht umgehen", gesteht die Oberpfälzerin. Einen solchen Fall meldet sie ihren Kollegen oder den Eltern und meidet den Mann.

Frauen werden an ihrem Arbeitsplatz von Männern immer wieder unangemessen behandelt. Die Diskussion um Sexismus und Gewalt gegen Frauen, die Ende 2017 in den USA mit den Vorwürfen gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein begann, hat in der Oberpfalz noch nicht alle erreicht. Und nur ganz wenige Betroffene trauen sich, darüber zu sprechen.

Nur wenige "schwarze Schafe"

"Es sind aber nur ein paar schwarze Schafe", betont die Kellnerin. Alles ältere Herren. Junge Besucher und die 40- bis 50-Jährigen benehmen sich dagegen unauffällig. Die Senioren allerdings loben sie dafür, dass sie "das Bier gut eingeschenkt" hat oder mehrere Teller auf einmal tragen kann, obwohl sie eine Frau ist. Doch die 26-Jährige möchte nicht auf ihr Geschlecht reduziert werden, sie erledige nur ihren Job.

Nicht nur im Wirtshaus werden Sprüche geklopft. "Magst dich auf meinen Schoß setzen?", wurde eine junge Redakteurin von einem Marktgemeinderat in der nördlichen Oberpfalz gefragt, als sie sich nicht sicher war, wo sie sich bei der Sitzung hinsetzen darf. Eine unangenehme Situation. "Ich wusste im ersten Moment nicht, was ich darauf sagen soll. Ich war total verdattert", erzählt die Redakteurin. Sie habe "Nein, danke" geantwortet.

Zu Hilfe kam ihr niemand. Zwar hätten den Spruch auch andere Markträte gehört. Doch niemand habe den Kollegen zurechtgewiesen. "Die haben geschmunzelt. Die fanden das lustig. Aber ich fand das nicht lustig." Immerhin: Bei der nächsten Begegnung verhielt sich der Sprücheklopfer unauffällig.

Auf das Geschlecht reduziert

"Mockerl, darf ich dich was fragen?" So sprach ein Herr bei einer Versammlung eine andere Reporterin an. "Ich habe mich nicht ernstgenommen gefühlt", erinnert sich die junge Frau. "Man wird auf das vermeintlich schwache Geschlecht reduziert", ärgert sie sich. Ihr junges Alter und ihre noch fehlende Berufserfahrung seien keine Berechtigung, sie Kälbchen zu nennen. "Warum kann er mich nicht normal fragen? Warum nennt er mich so?", habe sie sich gefragt.

Mit den Senioren über die Sprüche oder Handlungen zu diskutieren, ist für die Bedienung keine Option. "Da könntest du gar nicht ansetzen mit einer Debatte." Die Diskussion um "Me too" habe in den Gasthäusern auf dem Land bisher keine Wirkung gezeigt. In Großstädten sei das anders. Die junge Frau hat auch in Nürnberg in einem Restaurant gearbeitet. Dort trauen sich die Gäste weniger: ",Mei, bist du a schönes Moila.' Das hätte keiner zu mir gesagt."

Ältere Männer sollten sich überlegen, wie sich eine Frau nach einem Spruch oder Berührung fühlt und ob sie es gutheißen würden, wenn auch mit ihrer Tochter so umgegangen wird. Das wünscht sich die Kellnerin. Die Herren sollten sich fragen: "Was gibt mir das Recht, so mit ihr zu reden? Und im Zweifelsfall gar nichts sagen."

Das rät die Polizei:

Wie viele Menschen in der Oberpfalz am Arbeitsplatz oder in ihrer Freizeit sexuell belästigt werden, wird statistisch nicht erfasst, weiß Barbara Arendt vom Polizeipräsidium Oberpfalz. Die Beauftragte der Polizei für Kriminalitätsopfer berät telefonisch und persönlich Frauen, die Opfer sexueller und häuslicher Gewalt wurden oder gestalkt werden. Jede siebte Frau werde Opfer sexualisierter Gewalt, weiß die Beamtin. In die Kriminalitätsstatistik fließen nur Fälle ein, denen eine Straftat zugrunde liegt. Hört eine Frau einen dummen Spruch oder wird schlecht behandelt, sei das noch keine Straftat.

„Wir raten dazu, deutlich ,Nein’ zu sagen“, empfiehlt Arendt Betroffenen. Frauen sollten deutlich ihre Grenze zeigen, aber die „muss der Täter auch erkennen können“.

Die Beamtin rät Frauen, Vorfälle schriftlich festzuhalten und ihr Umfeld zu informieren, damit auch dieses wachsam ist. Wer sich nachts alleine unwohl fühlt, kann einen Schrillalarm in die Tasche stecken, um einen Täter zu erschrecken, oder das Handy griffbereit halten. Frauen sollten selbstsicher auftreten und den Blickkontakt mit Leuten, die entgegenkommen, halten. „Das gilt für alle Frauen“, betont Arendt. Auch ein Selbstbehauptungskurs kann hilfreich sein. „Da übt man, laut ,Stopp’ zu sagen. In unserem Kulturkreis ist es nicht üblich, die Stimme zu erheben.“

Barbara Arendt, Beauftragte der Polizei für Kriminalitätsopfer, ist telefonisch unter 0941/506-1333 zu erreichen. Auf dem Anrufbeantworter können Betroffene einen Zeitpunkt angeben, an dem Arendt zurückrufen soll. Als Polizeivollzugsbeamtin muss Arendt Anzeige erstatten, wenn sie von einer Straftat erfährt. „Das sage ich den Frauen aber auch am Anfang des Gesprächs.“

 
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