Weiden in der Oberpfalz
11.11.2019 - 15:53 Uhr

Musik aus dem Augenblick

Atemgeräusche, Gezirpe und Gezwitscher auf den Mundstücken aus dem Zuschauerraum – die Musiker sammeln sich auf der Bühne, aus Klangcollagen werden Harmonien. Ein ungewöhnlicher Einstieg für ein Jazz-Konzert.

Musik im Geiste von Charles Mingus: Harald Rüschenbaum und sein Projekt "Klangland" treffen im Bistrot Paris auf begeisterte Zuhörer die auch mal ins Geschehen eingebunden werden. Bild: lr
Musik im Geiste von Charles Mingus: Harald Rüschenbaum und sein Projekt "Klangland" treffen im Bistrot Paris auf begeisterte Zuhörer die auch mal ins Geschehen eingebunden werden.
Harald Rüschenbaum (Jahrgang 1956) leitet seit 1993 das "Landesjugendjazzorchester Bayern". Im Bistrot Paris entfacht er mit seinem aktuellen Oktett ein musikalisches Feuerwerk. Bild: lr
Harald Rüschenbaum (Jahrgang 1956) leitet seit 1993 das "Landesjugendjazzorchester Bayern". Im Bistrot Paris entfacht er mit seinem aktuellen Oktett ein musikalisches Feuerwerk.

Ein Thema kristallisierte sich am Freitag beim Jazz-Zirkel heraus: Mit „Sail away“, einer Komposition von Tom Harrell, beginnt die Klangreise, die sich dann aber überwiegend in den sicheren Gewässern des modernen Jazz bewegt. „Straight ahead“ von Kenny Dorham führt direkt in das hochenergetische Klanglabor einer Charles Mingus Workshopband der 60er Jahre: Aus kurz skizzierten Head-Arrangements entwickeln sich spontane Werke, denen in ihrer Ausführung den Nimbus des einmaligen, einzigartigen Kunstwerks anhaftet. Die Bläser haben die Freiheit, ihre Gefühle direkt und ohne Einschränkungen auszudrücken. Da wechseln kurze solistische Einwürfe mit ausgedehnten Passagen, aus eingängigen Melodien entwickeln sich expressive Schreie, das kennt man von Charles Mingus, Roland Kirk oder Eric Dolphy. Die einzelnen Stimmen finden sich zusammen, verzahnen sich und reagieren aufeinander. Man spürt die unbändige Spielfreude der Musiker, die Freude über neue Klangkombinationen und Entdeckungen.

Vier Bläser im Mittelpunkt

Martin Fredebeul ist mit 59 Jahren der Senior im Bläsersatz. Mit vollem Körpereinsatz spielt und tanzt er seine Ideen auf Altsax, Sopranssax und Klarinette und liefert auch einige philosophische Statements, etwa zu John Coltranes Komposition „Central Park West“. Im stimmungsvollen Duo mit Pianist Walter Lang beginnt das Stück luftig und leicht, die anderen Blasinstrumente gesellen sich dazu, und das Stück entwickelt sich zu neuem Leben, weit weg von der ursprünglichen Komposition. Seine Mitstreiter sind Anfang 20 und rekrutieren sich aus dem „Landesjugendjazzorchester Bayern“. Jonas Brickmann sorgt mit Baritonsaxofon und Bassklarinette für die tiefen Klangfarben, und auch er hat solistisch einiges zu sagen. Eine Entdeckung ist Vincent Eberle der mit Trompete und Flügelhorn solistische Glanzlichter setzt. Ferdinand Silberg vervollständigt das Bläserensemble mit seiner ausdrucksstarken Posaunenstimme.

Für den soliden Unterbau sorgt der Pianist Walter Lang, bekannt durch sein Zusammenspiel mit Rick Hollander oder der Gruppe Trio Elf. Er unterstützt mit vollen Akkorden, perlenden Zwischenspielen und setzt rhythmische Akzente. Nils Kugelmann am Kontrabass erweist sich als solider und kompetenter Begleiter, findet aber auch immer wieder Freiräume für eigene Ideen und solistische Eskapaden. Ludwig Himpsl hält sich mit seinem Arsenal von Perkussionsinstrumenten eher im Hintergrund, bereichert den Gruppenklang aber durch geschmackvollen Einsatz seiner Klangerzeuger. Seine solistischen Fähigkeiten kann er bei den afrikanisch angehauchten Nummern ausleben. In Milton Nascimentos Komposition „Vera Cruz“ setzt er in einer längeren Duo-Passage mit seinen Congas neue Akzente, unterstützt von Harald Rüschenbaum, der hier seine Trommeln mit bloßen Händen zum Schwingen bringt.

Sensible Klänge

Spiritus Rector des Ensembles ist natürlich Harald Rüschenbaum am Schlagzeug und als redseliger Conferencier. Er animiert das Publikum immer wieder zum Mitmachen, sei es durch rhythmisches Klatschen oder Mitsingen, wobei gelegentlich afrikanische Marktplatz-Atomsphäre aufkommt. Als langjähriger Leiter des „Landesjugendjazzorchester Bayern“ unterstützt es sein Ensemble optimal. Er weiß, wann er sich zurücknehmen muss, wie er seine Musiker zu Höchstleistungen anfacht und wann er dynamische Akzente setzen muss. Mal diskret, fast unhörbar mit Besen und Becken, dann wieder mit donnernden Paukenschlägen und treibenden Rhythmen.

„Nardis“, eine Komposition von Miles Davis, die dieser selbst nie gespielt hat, ist in Aufnahmen von Cannonball Adderley und Bill Evans bekannt. Eine eindrucksvolle Bass-Einleitung und eng verzahnte Bläser-Stimmen verleihen dem Klassiker mit Ohrwurm-Qualitäten neue Dimensionen. Auch Duke Ellingtons „Come Sunday“ aus dem Jahr 1942 wird recycelt. In Anlehnung an Ellingtons „Jungle Style“ werden Posaune und Trompete mit Dämpfern verfremdet: Harlems Cotton Club im Bistrot Paris!

Die Verbindung von traditionellen Melodien und expressiven Elementen der zeitgenössischen Musik machen den Abend zu einem spannenden Erlebnis, eine gelungene Mischung von Bekanntem und Neuem und ein Beispiel, wie auch junge Musiker mit dem reichen Erbe aus der Jazz-Geschichte kreativ umzugehen wissen: Der Jazz lebt!

 
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