Weiden in der Oberpfalz
02.04.2019 - 16:36 Uhr

Satiriker mit Weitblick

Vor über 80 Jahren ist Kurt Tucholsky bereits gestorben, manches ist mittlerweile leider in Vergessenheit geraten. Da ist es gut, dass es Künstler wie Johannes Kirchberg gibt.

Johannes Kirchberg interpretierte Kurt Tucholsky bei den Weidener Literaturtagen auf hervorragende Art und Weise. Bild: Holger Stiegler
Johannes Kirchberg interpretierte Kurt Tucholsky bei den Weidener Literaturtagen auf hervorragende Art und Weise.

"Zollhaus, Grenzpfahl und Einfuhrschein: wir lassen nicht das geringste herein. Wir nicht. Wir haben ein Ideal: Wir hungern. Aber streng national. Fahnen und Hymnen an allen Ecken. Europa? Europa soll doch verrecken! Und wenn alles der Pleite entgegentreibt: dass nur die Nation erhalten bleibt!" Eine zeitgenössische Bestandsaufnahme in Reimform, möchte man meinen. Weit gefehlt: Die Zeilen stammen aus dem Jahr Januar 1932, erschienen in der "Weltbühne", verfasst von Kurt Tucholsky unter seinem Pseudonym Theobald Tiger. Es fröstelt einen, wenn man bedenkt, was nur ein Jahr später im damaligen Deutschland begann.

Kirchberg wirkt dem Trend des Vergessens und demonstriert die Zeitlosigkeit, ja teils erschreckende Aktualität, der Tucholsky-Werke auf der Bühne. Noch erfreulicher ist die große Nachfrage danach: Der Auftritt Kirchbergs mit seinem Tucholsky-Programm "Heute zwischen gestern und morgen" in der Regionalbibliothek bei den Weidener Literaturtagen am Montagabend ist restlos ausverkauft.

Literaten fest im Blick

Er macht betroffen und nachdenklich auf der einen Seite, auf der anderen Seite animiert er auch zum Schmunzeln und herzhaften Lachen. Dieser Kurt Tucholsky lässt sich in keine Schublade pressen. Das merken auch die Besucher, die den Ausführungen von Johannes Kirchberg folgen - mal singend und Klavier spielend, mal rezitierend, mal schauspielend - aber immer den Literaten Kurt Tucholsky fest im Blick. So sinniert er über die "gewöhnliche Hausfamilie" und empfiehlt, statt der lieben Verwandtschaft sich doch lieber fremden Landschaften zu widmen.

Er persifliert das deutsche Vereinswesen mit der Geschichte vom Reichsigelverein und dem Reichsverband Deutscher Bestecke ("Menschen? Mitglieder sind diese Leute. Unsern täglichen Verband gib uns heute!"). Auch die Menschen an sich hat Tucholsky ins Visier genommen: Jenes politische Geschöpf, das am liebsten zu Klumpen geballt sein Leben verbringe. Jeder Klumpen hasse die anderen Klumpen, weil sie die andern sind, und hasse die eignen, weil sie die eignen sind. "Den letzteren Hass nennt man Patriotismus", stellt Tucholsky fest.

Geradezu transzendental-philosophisch wird es, wenn sich Tucholsky zur soziologischen Psychologie der Löcher äußert: "Ein Loch ist da, wo etwas nicht ist. Das Loch ist der ewige Kompagnon des Nicht-Lochs. Loch allein kommt nicht vor, so leid es mir tut. Wäre überall etwas, dann gäbe es kein Loch!"

Der Abend gerät zu einer Hommage an Tucholsky, mit der sich Johannes Kirchberg tief vor dem Künstler verbeugt, andererseits mit den eigenen Vertonungen zeit- und gesellschaftskritischer Texte Tucholskys dem Programm einen ganz individuellen Stempel aufdrückt. Auch Vertonungen Hanns Eislers und Olaf Bienerts sind dabei. Dabei entdeckt das Publikum den pointierten Schreiber, der mit Sprache und Worten spielt. Seine Themen, seine Sprache, der Rhythmus seiner Worte haben bis heute nichts an Kraft und Dynamik verloren.

"Küsst die Faschisten ...

Sprachlos bleiben die Zuhörer bei "Rosen auf den Weg gestreut" aus dem Jahr 1931 zurück: "Und verspürt ihr auch in eurem Bauch, den Hitler Dolch, tief, bis zum Heft. Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft!" Ein praktisch resignierender Tucholsky klagt die demokratischen Kräfte der Weimarer Republik an, die ihren Gegnern keine "klare Kante" entgegenzusetzen haben.

Kirchberg gelingt bei seinem mittlerweile dritten Auftritt in Weiden - vor zwei Jahren war er mit einem Wolfgang-Borchert-Programm Gast bei den Weidener Literaturtagen und im vergangenen Jahr mit einem Erich-Kästner-Programm bei der Kulturbühne - ein facettenreiches Porträt Tucholskys: frisch, wahrhaftig und zeitlos. Ein großer Literaturabend mit einem exzellenten Künstler über einen außerordentlichen Schriftsteller - und die bleibende Erkenntnis Tucholskys, dass sich das Leben und der Kautaubak nicht sonderlich unterscheiden ("Das Leben muss man kauen, das Dasein ist ein Priem!").

 
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