„Denk’ ich an Reger in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht“ - dieses abgewandelte Heine-Zitat kann durchaus positiv verstanden werden: Hat Schönbach (38) Reger nächtens virtuell getroffen? Er achtet, wertschätzt, bewundert, verehrt dessen enorm umfangreiches Schaffen. Da muss als „Hommage à Max Reger“ schon eine adäquate Dimension her, ein Orgelstück mit überbordenden 100 Minuten Beschallung, nach denen die Zuhörer "wie ein Relief an der Wand klebten“ (Reger). Des vollen Herzens fließt der Musik-Mund über: Onkel Max, ich verneige mich vor deinen Kontrapunkt-Künsten, Sonaten, Variationen, Doppel- und Tripel-Fugen, Choralphantasien. Vor deiner spätromantisch-tonalen Harmonik, eine damals aktuelle Sprache, die ich dir zu Ehren imitiere.
Ermüdender Marathon
Der gute alte Onkel wird am Sonntagmorgen von solcher Mammut-Musik-Laudatio schier zugetextet. Regers Ausspruch, „in seiner Musik sei keine Note zu viel“ gewinnt da an großer Überzeugungskraft. Da braucht es nachher schon einige Schlucke Schönberg und - besser noch - Webern, die ihre Botschaften so faszinierend knapp und Leerlauf-frei auf den Minuten-Punkt bringen konnten. Respekt vor der Produktivität des Komponisten und dem Organisten Bernhard Schneider, der dieses Werk an der kraftvoll anschiebenden Weise-Orgel (1937) vor anfänglich 50 Hörern souverän musiziert.
Der elektronische Setzer in der Eisenbarth-Jann-Orgel (1980) von St. Josef wurde ausgerechnet Freitagnacht von einem unberechenbar auftretenden Störteufelchen heimgesucht. Martin Sturms (28) Programmierungen waren somit wie vom Winde verweht. Er reagiert am Sonntag Nachmittag locker und cool und stellt auf „Improvisation pur“ um: Besser als eine Absage, ein Nachholtermin ist aber Pflicht!
Vorgeschaltet ist eine gut angenommene Orgelführung von Stefan Schultes, der das Instrument launig und humorig vorstellt. Dann stehen die Zeichen auf Sturm: Der gliedert sein Recital in sechs Teile mit verschiedenem stilistischen Schwerpunkt. 60 atemberaubende Minuten darf man staunen, wie souverän und technisch überlegen er diese verschiedenen „Stil-Dialekte“ beherrscht.
Faszinierende Improvisation
Die Eingangs-Toccata erinnert an Buxtehude, sie ist reichlich mit farbigen Aliquotklängen registriert. Schon hier wird Regers Schlüsselchoral „Wenn ich einmal soll scheiden“ zitiert. Das wie bei Mondschein romantisch tief-sinnierende „Lied ohne Worte“ entwickelt im Mittelteil überraschende Dramatik und endet mit überirdisch-sphärischen Klängen. In der dritten, an 12-Ton-Musik orientierten Improvisation scheinen unterschiedlichste Temperamente zu diskutieren. Wie ein intimes Bekenntnis mit ungeahnten, anrührenden Tiefen präsentiert Sturm ein „Flötenuhrstück“ im Stil Mozarts.
Dann geht es zu Reger: Wie aus dem Nichts Klangeffekte mit halb gedrückten Tasten und einer Rehabilitation der mundgeblasenen Melodika. Das Stück entwickelt faszinierende Spiritualität, es kreist um Motive aus dem lateinischen Requiem Regers, um Leben und Sterben. Sensationell die Improvisation über den genannten Choral mit frei gestalteten Variationen und einer Fuge mit drei klaren Themen. Sie stößt in Bruckner’sche Dimensionen vor und endet mit einer triumphalen Hoffnung auf „Erlösung“, alles in einem unverwechselbar persönlichen doch Reger-nahen Harmonik-Stil. Hingerissener Applaus, dann „Der Mond ist aufgegangen“ als delikat und wiederum höchst geistreich gestaltete Zugabe. Achtung: Ein außerordentliches Orgel-Talent!
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