Volles Haus beim Jazz-Zirkel. Wo sonst hat man Gelegenheit, einen Jazz-Star von Weltrang hautnah auf einer kleinen Bühne zu erleben? Vincent Herring fühlt sich sichtlich wohl bei seinen Fans in Weiden. Am Schlagzeug sitzt Joris Dudli. Der gebürtige Schweizer mit Wohnsitz in Österreich kennt Vincent seit mehr als zwanzig Jahren, und immer wieder kann man sie gemeinsam auf den europäischen Konzertbühnen erleben. „Musik, die aus dem Herzen kommt und nicht aus dem Kopf“ ist ihre Devise. Sie agieren blind aufeinander und kennen keine technischen Grenzen. So muss es geklungen haben, als Charlie Parker mit seinen Komplizen in „Minton‘s Playhouse“ in den 40er Jahren den Bebop entwickelt hat. Aus simplen Melodielinien werden aus dem Augenblick immer neue Kunstwerke erschaffen, kein Auftritt gleicht dem anderen.
Vincent Herring steht in der Tradition von Charlie Parker, der heuer 100 Jahre alt geworden wäre. Sein Ton geht unter die Haut, seine Fingerfertigkeit fasziniert und er versteht es, die Spannungsbögen zu halten. Die Vorlagen stammen zum Großteil von Joris Dudli und aus der eigenen Feder, aber auch einige unvergessliche Stücke aus dem reichen Fundus der Tradition bekommen ein neues Gewand. Bei Stevie Wonders Ohrwurm „You are the sunshine of my life“ singt Vincent Herring förmlich durch sein Horn, Erinnerungen an Cannonball Adderley oder King Curtis werden wach.
Grundelement „Swing“
Joris Dudli (*1954 in Frauenfeld/Schweiz) ist ein dynamischer Schlagzeuger mit viel Sinn für Zusammenspiel. Er überzeugt durch sein swingendes Spiel, reagiert auf kleinste Nuancen seiner Mitspieler und begleitet bei solistischen Alleingängen sparsam und höchst musikalisch. Am Kontrabass ist Essiet Essiet (*1956 in Omaha, Nebraska), dessen Eltern aus Nigeria stammen. Er hat mit Größen wie Art Blakey, Abdullah Ibrahim oder Billy Cobham zusammengearbeitet und überzeugt durch sein erdiges und solides Spiel. Sein swingendes Fundament ist allgegenwärtig, seine Solos zeichnen sich durch spannungsgeladenen Aufbau und virtuoses Spiel auch in den hohen Lagen aus. Erstaunlich, wie der die Melodie-Vorlagen immer wieder variiert und ausarbeitet.
Neu im Quartett ist Urs Hager (*1996 in Garmisch-Partenkirchen) der trotz seiner Jugend über enormes Potential verfügt. Er hat seine Vorbilder intensiv studiert. Er agiert souverän und prägt den Sound der Gruppe mit interessanten Akkorden und Zwischenspielen. In einem unbegleiteten Solo-Beitrag verbindet er Duke Ellingtons Komposition „Isfahan“ und „My Heart Stood Still“ von Richard Rodgers zu einem eindrucksvollen Medley.
Zum angenehmen Ambiente tragen auch Vincent Herrings Ansagen zu den Stücken bei, wobei es auch an Anspielungen auf die gegenwärtige politische Situation in den USA nicht fehlt. Mit Ironie und hintergründigem Humor erzählt er Anekdoten oder auch frei erfundene Geschichten, wie es auch schon Dizzy Gillespie oder Cannonball Adderley vormachten.
Bird lives
Der letzte Programmteil ist ganz der Tradition verpflichtet: „Old Devil Moon“ swingt so unverschämt, dass man nur schwer still sitzen kann. Mit drei Zugaben verabschiedet sich das Quartett und greift noch einmal tief in die Bebop-Historie: Rasende Melodielinien, zerpflückte Akkorde, aufregende Schlagzeug-Breaks.
Nach Charlie „Bird“ Parkers Tod im Jahre 1955 prägte man den Slogan „Birds lives“, ein Spruch, der auch heute noch aktuell ist und ganz besonders auf Vincent Herring zutrifft.
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