Weiden in der Oberpfalz
23.10.2019 - 16:39 Uhr

Stark polarisierend: Angespannter Bürgerdialog zum Netzausbau

Der "Bürgerdialog Stromnetz" will den Austausch über den Stromnetzausbau moderieren. In Weiden konnte man nur Monologe statt Dialoge zwischen Stromtrassengegnern und Experten für elektromagnetische Strahlung vernehmen.

Professor Matthias Wuschek von der TH Deggendorf (im Hintergrund) traf auf eine Mauer der Ablehnung: Bild: jrh
Professor Matthias Wuschek von der TH Deggendorf (im Hintergrund) traf auf eine Mauer der Ablehnung:

Einmal mehr stehen sich in der Weidener Max-Reger-Halle zwei Gruppen gegenüber, die verschiedene Sprachen sprechen: Das vom Wirtschaftsministerium geförderte Kommunikationsunternehmen "Bürgerdialog Stromnetz" versucht mit nüchternen Vorträgen die Bedenken der Trassengegner zu zerstreuen.

Die Moderation muss misslingen: Die aufgebrachten Süd-Ost-Link-Verweigerer wollen sich nicht an die Spielregeln von Veranstalter Joachim Lück halten: "Bitte, sagen Sie Namen und Ort, stellen Sie kurze Fragen, hören Sie anderen zu, bleiben Sie am Thema, lassen Sie andere ausreden." Die Vertreter der Bürgerinitiativen wollen sich aber nicht auf eine Fragestunde rund um Mikrotesla und Kilovolt einlassen, sondern tragen ihre Statements vor - manchmal auch in Form rhetorischer Fragen.

Referent Professor Matthias Wuschek von der TH Deggendorf reagiert zum Schluss entnervt: "Ich schlage mir hier meine Freizeit um die Ohren, trage nach bestem Wissen und Gewissen Fakten vor, und fast jedes Mal kommt eine solche Truppe, die Ihre Statements abgibt." Wenn sich das nicht ändere, mache er es nicht mehr. Die zweite Referentin, Dr. Janine Schmidt vom Bundesamt für Strahlensicherheit, trägt ein eng begrenztes Thema im Jargon des universitären Mittelbaus vor und bleibt Antworten schuldig. Im Kern lassen sich beide Vorträge auf zwei einfache Botschaften reduzieren:

  • Das vom Volksmund elektromagnetisches Feld genannte Phänomen, das man in ein elektrisches und ein magnetisches differenzieren müsse, liege bei den hier geplanten Erdkabeln so weit unter den Grenzwerten, dass eine Gesundheitsgefährdung auszuschließen sei. Lediglich Träger "aktiver und passiver Implantate" wie Herzschrittmacher müssten gegebenenfalls Abstand halten.
  • Schmidt führt eine Reihe von Studien auf, die eine Erhöhung von Leukämiefällen im Kindesalter im Zusammenhang mit der Nähe zu Hochspannungsanlagen nicht ausschließen könnten. Infrage kämen dabei aber lediglich 6 Fälle im Jahr, wo eine solche Nähe gegeben sei - andere Ursachen sind dabei nicht ausgeschlossen.

Die Kritiker verwerfen die Annahmen der Referenten dagegen als unbewiesen. Es fehlten neue Forschungen. "Wenn man etwas nicht ausschließen kann, muss man die Finger davon lassen", fordert Hilde Lindner-Hausner, Weidener Sprecherin des Stromtrassen-Aktionsbündnisses. "Kein Mensch spricht über die um 30 bis 80 Prozent erhöhten Krankheiten im Umfeld der Trassen", sagt Olaf Lüttich von der Bürgerinitiative Leinburg gegen Gleichstromtrasse gänzlich im Widerspruch zu den Ausführungen der Referenten.

Und Landwirt Hubert Meiler bezweifelt: "Sie haben doch keine Ahnung, wie sich das auf die Kleinstlebewesen im Boden auswirkt, die wir brauchen, um gesunde Lebensmittel zu produzieren."

 
Kommentare

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Josef Langgärtner

Was erwartet der "Bürgerdialog Stromnetze" von uns? Die uralten Beruhigungspillen schlucken, brav dasitzen und dann wieder gehen? Das vom Bundeswirtschaftsministerium bezahlte "Aufklärungsteam" brachte keine neuen Erkenntnisse, sondern versuchte, uns den Südostlink als bedenkenlos und gefahrlos zu verkaufen. Es wurde erst auf Nachfrage zur sog. Koronaentladung bei Höchstspannungsleitungen eingegangen, aber Gefahren durch Windverfrachtung der ionisierten Teilchen in die Umgebung sofort wieder negiert. Am meisten hat mich die magnetische Feldlinienkurve des Prof. Wuschek gewundert. Auf Nachfrage mit welcher Stromstärke diese berechnet wurde, bekam ich keine Antwort. Nach ein wenig Recherche fand ich die Berechnungen und Diagramme auf dem Datenserver des Bundesamts für Strahlenschutz. Umgesetzt auf den Südostlink mit 520 kV-System und 3846 A Stromstärke (bei 2 GW) komme ich bei einer Eingrabtiefe von 1,5 m zu einer magnetischen Flussdichte von 505 mikroTesla an der Erdoberfläche. Der Grenzwert beträgt 500 mikroTesla. TenneT meint gar, dass die Feldstärke nicht größer als das natürliche Magnetfeld (ca. 45 mikroTesla) sein wird. Schaut so ein offener Bürgerdialog aus? Und wenn Prof. Wuschek meint, wir Trassengegner würden Politik und Statements vortragen, dann hat er noch nicht verstanden, dass erstens er auch dazu benutzt wird, eine unsinnige Trasse schön zureden, und es zweitens fast gar keine andere Möglichkeit gibt, als über die Politik darauf einzuwirken, den Strombedarf hinsichtlich der Energiewende komplett neu berechnen zu lassen.

24.10.2019
Maria Estl

Wie kann ein Dialog geführt werden, wenn Experten vermeintlich faktenbasierte, aber keinesfalls aktuelle Zahlen vorlegen? Die aus dem Archiv stammenden Zahlen wurden bereits 2016 präsentiert, damals gastierte der "Bürgerdialog Stromnetze" erstmals in Weiden. Diese Zahlen beziehen sich allesamt auf Wechselstromleitungen, nicht die Gleichstromvariante. Seit 2017 sollten Studien durchgeführt werden, auch auf Anraten des Bundesamtes für Strahlenschutz, wie aus einer parlamentarischen Anhörung hervorgeht. Deren Ergebnisse liegen nicht vor, interessieren aber auch die Verantwortlichen nicht. Man signalisierte bereits damals, dass die Erdkabeltrassen gebaut werden, unabhängig von den Ergebnissen der Studien. Und in Deutschland hat man schlicht und einfach keine Erfahrungen mit Höchstspannungs-Gleichstromleitungen, weder über- noch unterirdisch. Wer erinnert sich auch noch daran, dass kurz vor Trassenplanung die genannten Grenzwerte vorsorglich um ein Vielfaches erhöht wurden? So kann man sich freilich die emittierten Werte der Kabel schönreden. Und mit solchen Referenten vernachlässigt das Bundesamt seinen Schutzverpflichtung gegenüber der Bevölkerung sträflich.

24.10.2019
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