Weiden.Tiefsinnig, schwermütig: irgendwie scheint Mozarts "Requiem" einen Nerv zu treffen, in einer Welt, die rasend schnell und ultramodern geworden ist. Gerade in den tristen Novembertagen stellt sich die Frage: Ist in Mozarts "Unvollendeter" der Tod größer als die Musik? Der Tod als Schlüssel zur Glückseligkeit?
Am Sonntag spricht in St. Michael die Musik eine andere Sprache. Die Besucher beim Sonderkonzert der Weidener Meisterkonzerte hören "Erdenmusik" voller menschlicher Empfindungen. Mozarts Requiem d-Moll trägt alle Emotionen in sich, die den Menschen angesichts des Todes ereilen. Angst, Wut, Verzweiflung, Trauer, Hoffnung und Trost. Den jungen Sängern des "Vokalprojektes" und dem Orchester "M18" gelingt es, in die Gefühlswelt des Publikums einzudringen. Der Mensch auf der einen Seite und der Zorn Gottes auf der anderen Seite? Vielleicht ist es trotzdem das Menschliche, was dieses Requiem so groß macht. Es ist keine Musik aus dem Jenseits. Kein himmlisches Leuchten, auch wenn "M18" einen hell strahlenden Sternhaufen im Namen trägt. Und doch sind es die eindringlichen Rufe, einfach und kraftvoll, die dazu bewegen, sich mit dem "Ernstfall" auseinander zu setzen.
Mehr als schöne Musik
Das Requiem ist mehr als schöne Musik. Die Künstler demonstrieren eine Innigkeit, die jeden Menschen nachdenken lässt. Daraus entwickelt sich zwischen der tief lauschenden Hörerschaft und den Vokal- und Instrumental-Talenten eine Sprache des Herzens, die auch der künstlerische Leiter des Projekts aufnimmt. "Mozart ist der beste Freund der Menschen", sagt Rolando Villazon. Am Sonntag ist es Dirigent Julian Steger, der dieses unvollendete und geheimnisvollste Werk "vollendet". Dem Maestro gelingt in der Bearbeitung von Franz Beyer, der den Kirchenbesuchern das Mozart-Requiem hinsichtlich Stimmführung deutlich näher an den original Mozart-Stil heranführt als Mozarts Schüler Franz Xaver Süßmayr, eine bemerkenswerte Umdeutung.
Erhabene Chorsätze
In Mozarts Requiem dominieren die Gesangsstimmen. Die erhabenen und ausdrucksvoll gestalteten Chorsätze geben der Aufführung ein Bild des Tröstlichen. Souverän und detailgenau gestaltet Julian Steger "sein" Projekt. Das Publikum genießt den inspirierenden Gesang des harmonisch abgestimmten Ensembles. Ein Genuss, wenn der gestenreiche Dirigent seiner Meistermannschaft kein fetziges Requiem verordnet. Der Chor setzt andere Prioritäten und überzeugt als inspirierendes Ganzes. Das "Vokalprojekt" ist der Star. Die hohe Klangkultur und die schlüssige Konzeption des Werkes sind außergewöhnlich.
Trotzdem verdient das homogene Solistenquartett besondere Anerkennung. Sie alle gehören schon zu den gefragten Konzert- und Oratoriensolisten. Sopran Dorothea Gerber besticht mit sicheren Höhen und mit schneidenden Profilen. Altistin Katharina Fulda überzeugt mit Ausdrucksreichtum, Tenor Friedrich Custodio Spieser wird seinem guten Ruf als Oratoriensänger voll gerecht und Bass Alexander Grassauer übernimmt mit tiefem, klangvollem Ton die Passagen, die etwas von göttlicher Herrschaft inmitten des menschlichen Tuns spüren lassen. Auch das Orchester "M18" muss gerühmt werden. Nuancenreich wagen sich die Musiker virtuos und mit hoher Präzision an klangliche Neuentdeckungen und überraschen mit detailfreudigen Zusammenhängen.
In diesem Dämmerzustand zwischen Tod und Trauer, Himmel und Erde erleben die Besucher einen Nachwuchsdirigenten, der durch seine einfühlsame Interpretation zu begeistern weiß. Im gelingt der Spagat zwischen einem Musikstück voller Mythen und Legenden, Mozarts Endzeitstimmung und der Strahlkraft und Begeisterung jugendlicher Unbekümmertheit. Und wenn die jungen Sänger und Musiker dabei die Erfahrung machen, wie kostbar Harmonie und Einklang sind, besteht wohl Hoffnung für unsere oft friedlose Welt. Das Konzert wird jedenfalls für das Publikum zum Ankerplatz für Herz und Seele. Für die kleine Auszeit von der realen Welt danken die Besucher mit stehenden Ovationen und die Künstler mit einer Zugabe.
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