"Das größte Höfesterben, das Bayern jemals erlebt hat." Albert Dess findet klare Worte, wenn es um die Folgen eines vollständig umgesetzten "Volksbegehrens Artenschutz" geht. Besonders schmerzhaft ist für den CSU-Europaabgeordneten und Landwirt aus dem Landkreis Neumarkt, dass seine CSU "umfällt" und den Text des von der ÖDP initiierten Volksbegehrens zum Gesetz machen will.
Dess überlegt etwas, bevor er feststellt: "Man muss von Hetze gegen die Landwirtschaft sprechen, wenn man sieht, was in der Gesellschaft los ist." Dass seine CSU - über 70 Jahre die Partei der bayerischen Bauern - sich dieser Stimmung beuge, sei enttäuschend. Von Enttäuschung spricht auch ein anderer CSU-Politiker und Landwirtschaftsfunktionär: Franz Kustner aus Ehenfeld saß von 2002 bis 2008 im Landtag, war lange Bezirkspräsident des Bayerischen Bauernverbands. Es zeige sich, dass Landwirte immer weniger Einfluss in der CSU haben, sagt der Ehenfelder.
Alexander Weigl ist da noch etwas vorsichtiger: Was den Milchviehhalter mit 80 Kühen aus Tirschenreuth Hoffnung macht: "80 Prozent des Textes sind in Ordnung." Andere Punkte seien dagegen schlicht Schwachsinn. Jeder Fachmann erkenne das. Er wolle deshalb einfach nicht glauben, dass alles "eins zu eins" umgesetzt wird.
Wenn die "Verbesserungen" und "Ergänzungen", von denen Söder am Mittwoch bei der Pressekonferenz sprach, diese Probleme nicht beheben, dann sieht aber auch Weigl schwarz. "Dann muss man tatsächlich von Verrat an uns Bauern sprechen." Der Tirschenreuther BBV-Kreisobmann Ely Eibsisch ergänzt, dass es vor allem die kleinen Bauern sind, die dann verraten würden. Den großen falle es leichter, die immer strengeren Vorgaben einzuhalten. "Die kleinbäuerlichen Strukturen der Nordoberpfalz werden zerstört", sagt der Bauer aus Kaibitz bei Kemnath.
Entsprechend sei die Stimmung unter den Landwirten, sagt Dess. "Es war noch nie so schlimm." Dabei gehe es nicht um die Finanzen. "Das Problem ist, dass wir Bauern für alles die Schuld übernehmen sollen." Auch Kustner, Weigl und Eibisch vermelden ähnliche Erfahrungen. Alle vier wären nicht überrascht, wenn die Zahl der Höfe in Zukunft schneller abnimmt. Eibisch: "Hier sind alle kurz davor, endgültig die Lust zu verlieren."
Die vier stört der Gegensatz, der zwischen Landwirtschaft und Artenschutz konstruiert wird. Schon heute seien es vor allem Bauern, die sich um Natur- und Artenschutz kümmern. Dess und Kustner nennen das Kulap-Programm der EU, für das Flächen ungenutzt bleiben. Wenn solche Ruheflächen künftig verpflichtend werden, kann die EU sie nicht mehr fördern. "Es würde mich nicht wundern, wenn wir am Ende weniger Artenschutz hätten anstatt mehr", sagt Dess. Von einer konkreten Erfahrung berichtet Eibisch: Er habe den Versuch unternommen, Blühstreifen zu vermieten, aber keine einzige Anfrage erhalten. "Die anderen sollen etwas für den Artenschutz tun, aber selbst will sich niemand einbringen."
Dess und Kustner machen keinen Hehl, dass sie von "ihrer" CSU enttäuscht sind. "Das kann noch Ärger geben", verspricht Dess innerparteilichen Widerstand. Allerdings beobachte er schon länger einen Trend weg von den Wurzeln. "Bei Söders Rede beim Parteitag am Samstag bin ich gegangen." Dagegen war der Freie Wähler Eibisch am Mittwoch völlig überfahren von der Zustimmung seiner Partei um Landwirt Hubert Aiwanger. Kustner glaubt nicht, dass der Schwenk Stimmen für die Regierungsparteien bringt. "Wir werden Wähler verlieren, ohne dass von den anderen Parteien welche kommen." Dess zitiert den CSU-Übervater: " Franz Josef Strauß hat gesagt, die Leute wählen das Original." Ein grüner Anstrich helfe da nichts.
Die aktuelle Reportage der Reihe „Die Story“ vom 29. April 2019 der ARD: „Gekaufte Agrarpolitik – wie Industrie und Agrarlobby durchregieren“ zeigt Verbindungen auf, die die Entscheidungsträger der Agrarpolitik untereinander pflegen. „Es ist ein dichtes Geflecht aus Politikern, Agrarkonzern-Managern, Bankern und Verbandsfunktionären, das in Brüssel und Berlin maßgeblich mitbestimmt, wie Landwirte arbeiten und was bei Verbrauchern auf dem Teller landet. (…) Viele, die als Interessensvertreter ihres Berufsstandes und in Parlamenten unterwegs sind, hängen eng mit Düngemittelfirmen, Molkereien, Landtechnikherstellern oder Banken zusammen. Die Landwirtschaftspolitik in Brüssel und Berlin ist durchsetzt von Abgeordneten, die auch Lobbyisten sind.“ Wie die Süddeutsche Zeitung aus der zugrunde liegenden Studie zitiert, sei das ein wesentlicher Grund dafür, weshalb Umwelt und Natur, Tierwohl, Gewässer- und Klimaschutz bei politischen Entscheidungen häufig auf der Strecke blieben. "Ambitionierte Bemühungen" um Reformen in der Agrar- und Umweltpolitik, sowie eine bessere landwirtschaftliche Praxis würden "systematisch von Interessenvertretern verhindert oder deutlich verwässert", heißt es. Von "Hinweisen auf eine koordinierte und strategisch orientierte Einflussnahme auf Prozesse der Meinungs- und Willensbildung, sowie von politischen Entscheidungsprozessen" wird berichtet. Die Zeitung nennt beispielhaft die Verantwortungen von DBV-Präsident Joachim Rukwied oder CSU-Politiker Albert Deß aus Neumarkt. Gezeigt wird beispielsweise Albert Deß, wie er sich im EU-Agrarausschuss für eine unverändert hohe Förderung von Agrarkonzernen einsetzt, die 2.000 ha und mehr bewirtschaften.
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