Weiden in der Oberpfalz
13.05.2019 - 10:04 Uhr

Vorhang zu und Fragen offen

Den Reigen der hochkarätigen Meisterkonzerte des Förderkreises für Kammermusik hat ein Klavierabend von Piotr Anderszewski beschlossen – mit einer Überraschung für Veranstalter und Zuhörer.

Der renommierte Pianist Piotr Anderszewski stemmt Beethovens Opus Magnum auf die Bühne. Der Zufall arrangiert eine Parallele zur Aufführung von Bachs Goldberg-Variatonen vor drei Monaten. Bild: Kunz
Der renommierte Pianist Piotr Anderszewski stemmt Beethovens Opus Magnum auf die Bühne. Der Zufall arrangiert eine Parallele zur Aufführung von Bachs Goldberg-Variatonen vor drei Monaten.

Kurzfristige Programmänderungen zählen nicht zu den freudigen Ereignissen für Konzertveranstalter. Pianist Piotr Anderszewski tauscht am Freitag in der Max-Reger-Halle erst Janáček gegen Schumann, halbiert dann Bachs Werke auf ein viertel Dutzend (BWV 876, 886, 887) und ersetzt schließlich Beethovens Sonate op. 110 durch dessen Variationen op. 120. Dennoch: Die Wahl der „33 Veränderungen über einen Walzer von Diabelli“ sollte den Zuhörern 60 unvergessliche Musikminuten bescheren.

Die Entscheidung, Bachs Präludien und Fugen aus dem „Wohltemperierten Clavier II“ Schumanns sieben Stücke in Fughettenform op. 126 gegenüberzustellen, hinterlässt jedoch Fragen: 10 Fugen in Folge sind schon schwere Kost. Die von Schumann gehören nicht zu den inspiriertesten ihrer Gattung – man vergleiche nur mit Reger oder Schostakowitsch.

Komponisten auf Tuchfühlung

Zudem nähert Anderszewski beide stilistisch an: Die Bäche deutet er romantisiert, die Schumänner nüchtern. Dieses anspruchsvolle Glasperlenspiel, sollte es uns Hörer intellektuell-meditativ zum gigantischen Beethoven-Opus hinführen? Ohne jede Frage zeigt sich beim ersten Anschlag, dass der Flügel-Meister zur obersten Liga zählt. Er legt Stimmführungen klar, orchestriert geradezu die Musik, verliert nie die gestalterische Spannung, verbindet Perfektion mit Spontaneität, aber auch mit Extravaganzen.

Um zwei davon zu benennen: Die Es-Dur-Fuge BWV 876, notiert Allabreve im „Stilo antico“ (wie die Orgelfuge Es-Dur BWV 552), spielt er nicht wie einen fließenden Chorsatz, sondern von trotzigen Akzenten auf den Achtelnoten durchstochen. Die gis-Moll-Fuge, im Programmheft von Claudia Böckel zutreffend als graziöse Gigue im 6/8-Takt charakterisiert, musiziert er verträumt, sie zeigt kaum noch ihren tänzerischen Impuls. Abgeklärt-ebenmäßige Melodik und Rhythmik haben für Anderszewski Vorrang vor Rhetorik und Anspitzung harmonischer Schärfen.

Grandioses Werk und Spiel

Nach der Pause geleitet uns der souverän musizierende Pianist in eine andere faszinierende Welt. Markig bürstet er das Diabelli-Thema auf, lässt überraschenderweise die Bässe führen. Die Variationen spielt er mit glasklarer, übergreifender Gliederung, baut auf scharfe Kontraste, auf großräumige Steigerungen, lässt auch keine skurrilen und witzigen Momente aus (Variationen 9, 21). Großartig zelebriert er die Pausen in V 13, die den Hörer zum virtuellen Ergänzen der verschwiegenen Melodie anleiten.

In V 16 gehen die schnellen Sechzehntel-Oktaven leider etwas unter, die Sforzati in V 28 meißelt er dagegen wie in Marmor. Die improvisatorisch verzierte V 31 wird unter seinen Händen zu einem sensationellen Mysterium der Anschlagskunst. Geh weiter, Zeit, bleib stehen! Befreit, in fast derbem Tonfall die Fuge, höchst delikat der Abschluss, ein zu Recht gefeiertes Erlebnis. Als Zugabe erklingt Beethovens Bagatelle G-Dur op. 126/1.

 
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