27.08.2018 - 15:59 Uhr

Die zeitlosen Lieder von Jethro Tull

Das Interesse des Publikums ist ungebrochen, dieses Jahr feiert Jethro Tull ihr 50-jähriges Bestehen. Parallel dazu gibt es die "50th Anniversary Tour", die noch bis Dezember quer über den Planeten führt.

Auch heute noch ist die Band Jethro Tull unter Leitung von Gründer Ian Anderson (links) unterwegs und wird ihre Fans mit einer umfassenden Tournee zur Feier ihres 50-jährigen Bandbestehens elektrisieren. Bild: Kote Rodrigo/EFE/dpa
Auch heute noch ist die Band Jethro Tull unter Leitung von Gründer Ian Anderson (links) unterwegs und wird ihre Fans mit einer umfassenden Tournee zur Feier ihres 50-jährigen Bandbestehens elektrisieren.

Die progressiven Folk-Rock-Koryphäen von Jethro Tull lassen sich nicht unterkriegen, Maestro Anderson gurrt und schnäbelt heutzutage nonchalant wie in seinen besten Tagen. Und was die Stimmbänder von Ian Anderson, der am 10. August 1947 im englischen Blackpool geboren wurde, nicht mehr hergeben, das wird dem geneigten Zuhörer eben von den Klängen seiner Querflöte bravourös erzählt. Zudem erscheint zum Jubiläum das "50 For 50"-Boxset (Warner Music) mit drei Tonträgern, darin enthalten eine von Anderson persönlich zusammengestellte Kollektion mit - wie passend - 50 Songs aus sämtlichen 21 Studioalben seiner Formation.

Neu oder innovativ ist die Gruppe inzwischen nicht mehr, man ist stattdessen zur Institution avanciert. "Aber um ehrlich zu sein", schmunzelt Anderson beim Interview, "tut sich in der Rock-Historie in meinen Ohren seit mehr als 25 Jahren eh nicht besonders viel, alles wird irgendwie wiedergekäut. Zumindest kann ich als Chef von Jethro Tull behaupten, dass wir zu den Originalen zählen. Daher besitzen wir das Recht, einer einmal eingeschlagenen Stilrichtung konsequent zu folgen."

ONETZ: Wenn Sie Ihre lange Jethro-Tull-Karriere in der Retrospektive betrachten – sind Sie mit allem zufrieden, was Sie gemacht haben?

Ian Anderson: Das Leben sollte jedem vernünftigen Menschen Lektionen erteilen und ihm die Erkenntnis vermitteln, dass er fehlbar ist. Wichtig ist nur, dass du irgendwelchen Mist nicht wiederholst. In meinem Falle sind das einige Texte, auf die ich nicht mehr wirklich stolz bin. Zu viel pathetisches, selbstgefälliges Gesülze. Aber an ganz schlimme Verfehlungen erinnere ich mich nicht.

ONETZ: Erinnern Sie sich an das erste Jethro Tull-Konzert, das am 2. Februar 1968 in London stattgefunden hat?

Ian Anderson: Unbedingt! Erst eine Woche zuvor hatten wir die Einladung dazu bekommen. Immerhin handelte es sich dabei um einen Gig im schon zu jener Zeit legendären "Marquee"-Club. Aber wir hatten bis dato keinen endgültigen Bandnamen. Doch ohne Namen keine Konzertplakate. Wir puzzelten hin und her. Bis unser Manager schließlich auf den Tisch haute und meinte: "Okay, ihr heißt Jethro Tull." Das klang in unseren Ohren exotisch, also stimmten wir zu.
Was wir damals nicht wussten: Dieser Tull lebte im 18. Jahrhundert und war so was wie der Begründer der modernen Landwirtschaft. Wenn wir das geahnt hätten, wäre dieser Name bei uns nicht durchgegangen. Weil er uns in die Rolle der schrulligen Landeier drängte. Ich mochte den Namen von Beginn an nicht. Bis heute kann ich ihn nicht leiden. Doch der Auftritt im "Marquee" lief großartig. Wir wurden schlagartig ein Begriff. Und hatten keine Chance mehr, von diesem merkwürdigen "Markenzeichen" wegzukommen.

ONETZ: Sie haben die Auswahl der Lieder auf dem Box-Set eigenhändig zusammengestellt. Wie war es, sich über Wochen hinweg mit dem selbst komponierten Stoff intensiv beschäftigen zu müssen?

Ian Anderson: Natürlich habe ich die 21 Scheiben wieder und wieder gehört. Wobei ich mit dem eigenen Werk seit jeher ziemlich vertraut bin, weil ich es regelmäßig zumindest auszugsweise während Auftritten zum Besten gebe. Auf der aktuellen Tournee spielen wir übrigens einige ältere Lieder, die wir noch nie auf die Bühne transportiert haben. Alles in allem bin ich ansonsten kein nostalgischer Mensch. Aus dem Grund heraus, dass ich selbstbewusst genug bin zu behaupten: Jethro-Tull-Songs haben keine Patina angesetzt, sie sind zeitlos.

ONETZ: Sie haben Jethro Tull immer als „people’s band“ angesehen, die im Zweifelsfall lieber den Bedürfnissen der Fans als den eigenen entgegenkam...

Ian Anderson: Das stimmt! Obwohl - wir würden nie Musik machen, die völlig wider unsere Überzeugungen ist. Doch natürlich ist uns klar, dass der gemeine Jethro-Tull-Fan konservativ ist und eine gewisse Erwartungshaltung an unsere Musik stellt. Und da es die Leute sind, die uns groß gemacht haben und von deren Geld wir leben, ist es nur konsequent, dass wir ihnen weitgehend geben, was sie wollen.

ONETZ: Demnach sind die Songs, die Sie während der Jubiläumstournee vortragen, felsenfest verankert im Tull’schen Mikrokosmos aus Folk und Rock, Tradition und Ausflügen in die Weltmusik. Sind Sie eigentlich der Zampano dieser Combo, wie Ihnen häufig nachgesagt wird?

Ian Anderson: Ich weiß, dass mich alle für den großen Diktator halten, der sich seine Musiker als bezahlte Sklaven hält, die komplett nach seiner Pfeife tanzen müssen. Nun, so ist das wirklich nicht! Wahr ist, dass ich alle Stücke komponiere. Doch erst im homogenen Spiel mit den anderen wird daraus eine Jethro-Tull-Platte oder ein Jethro-Tull-Konzert. Wenn ich Lust habe, ganz alleine meine eigene Musik zu machen - dann tue ich genau das. Dann steht auch nur mein Name und nicht Jethro Tull auf dem Cover.

ONETZ: Wie kam es zur Liebe mit der Flöte?

Ian Anderson: Ich weiß es noch ganz genau, es war 1967, ich machte in Blackpool einen Einkaufsbummel, sah in einem Musikalien-Geschäft eine Flöte im Schaufenster und habe sie spontan gekauft. Noch am selben Tag fing ich an zu üben wie ein Besessener! Ich hatte vorher nie ein solches Ding in der Hand gehalten. Doch innerhalb von fünf Monaten fühlte ich mich kompetent genug, um dieses Instrument in unsere Band einzubringen. Nun, seitdem bin ich als der Waldschrat mit der Zauberflöte bekannt. Diese Definition meines Charakters in der Öffentlichkeit ist mir durchaus sympathisch.

ONETZ: Jemand, der in seiner Karriere schon dermaßen viel Erfolg wie Sie gehabt hat – wie geht der mit diesem Phänomen mittlerweile um?

Ian Anderson: Ich vergleiche das immer mit Sex, der mit 20 Jahren anders ist als der Sex, den man mit 50 oder meinetwegen 70 hat - wenn auch nicht zu sehr! Sex ist immer eine starke emotionale Erfahrung, eine äußerst dramatische Angelegenheit. So ist es auch mit Bühnenauftritten oder wenn man sieht, dass eine neue Platte in die Charts eingestiegen ist - anders als früher, aber stets von einer gewissen Intensität. Und außerdem braucht jeder Mensch auf dieser Welt seinen Job, das ist wichtig fürs Selbstbewusstsein. Nun, mein Job ist der des Musikers, des Entertainers. Der ist entscheidend für meine Identität. Ich habe nun mal nichts anderes gelernt.

 
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