17.05.2018 - 20:00 Uhr

"Barbier von Sevilla" im Nürnberger Opernhaus: Nicht nur im Eros-Club regiert das Geld

Wenn in einem Theater Häuser durch die Luft wirbeln, ein Skelett dafür sorgt, dass die Metzgersgattin in Ohnmacht fällt und kratzende Katzen entsorgt werden, könnte man sagen: "Die Fantasie des Regisseurs setzt zu Höhenflügen an oder die Inszenierung verliert an Bodenhaftung." Beides kann man bei Josef Ernst Köpplingers "Barbier"-Variante behaupten, aber auch wieder nicht. Auf der einen Seite peppt er das muntere Treiben im spießbürgerlichen Sevilla mit so vielen Details auf, dass das Publikum gar nicht mehr weiß, wohin es zuerst schauen soll. Andererseits behält seine Umsetzung genug Bodenhaftung, um nicht völlig in den unendlichen Weiten des Klamauk-Weltalls zu verschwinden.

Ein liebestoller Graf, eine schöne Frau und der eifersüchtig-böse Nebenbuhler - und schon sind die Grundsteine für Rossinis spitzbübig inszenierten Barbier gelegt.  	Bild: Jutta Missbach
Ein liebestoller Graf, eine schöne Frau und der eifersüchtig-böse Nebenbuhler - und schon sind die Grundsteine für Rossinis spitzbübig inszenierten Barbier gelegt. Bild: Jutta Missbach

Dass Köpplinger die Geschichte aus dem Jahr 1816 ins faschistische Spanien der Franco-Zeit versetzt, ist ein kluger Schachzug. Volksfrontregierung und Republik waren damals beseitigt, die gesellschaftlichen Verhältnisse schienen gut geordnet, aber im Inneren der Gesellschaft brodelte es. Das Regime glich Ende der 1960er Jahre einer Burg, deren Fundamente Risse zeigten. Bis zuletzt versuchte Franco den Menschen einzuhämmern, dass Demokratie zu Chaos, Kriminalität und Pornografie führen würde. Doch selbst mit einer gelenkten Presse konnten moderne Strömungen nicht verhindert werden.

In Nürnberg erhalten diese zeitgeschichtlichen Hintergründe eine aktuelle Dynamik. "Alle denken nur an sich", die Geistlichkeit zeigt sich korrupt, machtgierige Politiker machen die Zukunft unberechenbar, jeder schielt nur nach dem Geld und im "Club Eros" treten sich die Nutten die Füße platt. An allen Ecken des kleinen Häuser-Ghettos, das Bühnenbildner Harald Thor mit viel Detailliebe ersonnen hat, nagt der Zahn der Zeit. Die hier gezeigte Welt ist eine liebenswerte, aber untergehende.

Der wohlklingende Herrenchor, Esteban Domínguez-Gonzalvo am Hammerklavier und die Staatsphilharmonie Nürnberg bilden für diese Stimmung - zwischen Zerbrechen und Aufbrechen - mit taktgenau gesetzten Akzenten ein solides musikalisches Fundament. Tenor Martin Platz (Graf Almaviva) zeigt sich nicht nur in unterschiedlichen Rollen, sondern auch klanglich als überaus wandelfähig. Ida Aldrian (Rosina) und ihrem rundum tiefstimmigen Glanz ist es zu verdanken, dass beide sich in ein Dreamteam verwandeln. Ludwig Mittelhammer (Figaro) singt zupackend, und begeistert zugleich mit Charme und Spitzbübigkeit, während Jens Waldig (Bartolo) und Nicolai Karnolsky (Basilio) genussvoll ihre berühmt dankbaren Rollen abgrasen.

"Und der Kopf dreht sich im Kreise", heißt es im 18. Auftritt, soll aber an dieser Stelle positiv weitergeführt werden. Unter Köpplingers Regie entsteht auf der Bühne ein wuseliges Wimmelbild mit immer neuen Aspekten. Durch aktuelle Andeutungen schneidet er dem "Barbier" so manch alten Zopf ab. Und im Orchester lässt Volker Niemeyer am Dirigentenpult die Musik blitzen, lachen, donnern und karikieren - ein großartiges Gesamtkunstwerk.

 
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