Die beabsichtigte Bebauung des Bürgerspital-Geländes ist ein Politikum. Also waren auch die dortigen archäologischen Sicherungsmaßnahmen ein Politikum. Sie förderten im Detail unerwartete, bis in die Hallstattzeit zurückreichende Funde zutage, wiesen einen Herrensitz des 13. Jahrhunderts nach, außerdem einen bisher unbekannten Pestfriedhof. Ambergs Stadtgeschichte muss deshalb nicht komplett umgeschrieben werden. Sie offenbart sich jedoch facettenreicher und plastischer, was nun mit vielen reizvollen Funden als Exponaten untermauert werden kann.
Für 2020 geplatzt
Als sich der Stadtrat im Verlauf der drei Jahre andauernden Grabungen dessen bewusst wurde, beschloss der Kulturausschuss, 2020 eine entsprechende Ausstellung im Stadtmuseum auf die Beine zu stellen, um die Ausgrabungs-Ergebnisse einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Damit wird es erst einmal nichts, teilte nachrichtlich Museumsleiterin Judith von Rauchbauer am Dienstag in einer Sitzung dem Kulturausschuss mit. Der selbstständige Archäologe Dr. Matthias Hensch, der mit der Ausgrabung, Dokumentation und Beweissicherung dieses zur Überbauung vorgesehenen Bodendenkmals beauftragt gewesen sei, habe sich beruflich neu orientiert. Deshalb stehe er als der bisher vorgesehene "Ausstellungs-Macher" nicht mehr zur Verfügung, begründete von Rauchbauer die Absage.
Schnell machten sich Verwunderung bis lange Gesichter breit, und Oberbürgermeister Michael Cerny (CSU) stellte klar: "Mit einer Verschiebung kann ich jederzeit leben", verzichten wolle er auf eine öffentliche Präsentation unter keinen Umständen. Auf Anfrage bestätigte Hensch, nicht mehr als freiberuflicher Archäologe zu arbeiten. Aus familiären Gründen sei ihm als 51-Jährigem der wirtschaftliche Überlebenskampf zu hart geworden.
Zeit zweitrangig
Selbstverständlich ("Daran arbeite ich gerade") schließe er die wissenschaftliche Dokumentation ab, die mit dem Auftrag zur Sichtung und Sicherung des Bodendenkmals unter dem ehemaligen Bürgerspital verbunden sei. Gegen Ende des Jahres lege er die Arbeit der Stadt vor. Hensch bestätigte jedoch auch, mit der Einstellung seiner Tätigkeit als selbstständiger Archäologe nicht mehr für die geplante Ausstellung im Stadtmuseum zur Verfügung zu stehen. So schnell werde es damit dann auch nichts, mutmaßte er gegenüber Oberpfalz-Medien. Mindestens zwei bis drei Jahre benötige ein Kollege für die nötige Einarbeitung in diese Ausgrabung und ihre Ergebnisse, um daraus eine seriöse archäologische Präsentation zu machen.
Der Kulturausschuss will auf jeden Fall an einer Ausstellung festhalten. Die Frage der zeitlichen Umsetzung sei zweitrangig. Denn mit der Überbauung des Areals gehe dieses Bodendenkmal unwiederbringlich verloren. Eine über die wissenschaftliche Dokumentation hinausgehende Präsentation sei deshalb mehr als wünschenswert, einigte sich das Gremium auf die Haltung "aufgeschoben ist nicht aufgehoben".
Mehr zu den Ausgrabungsergebnissen von Matthias Hensch auf dem Bürgerspitalgelände
Dokumentation reicht nicht
Wer Bodenständigkeit als Identität stiftend ansieht, muss konsequenterweise seriöse Geschichtswissenschaft als noch elementarer einstufen. Amberg ist stolz auf seine Vergangenheit, stolz auf seine historische Altstadt. In ihr manifestiert sich sichtbar der Status dieser Stadt und ihrer Bürger. Und wenn es auch nicht jedem jeden Tag bewusst ist, die Erlebbarkeit dieser Geschichtsträchtigkeit ist maßgeblich davon abhängig, was man davon sieht. Etwa in der Altstadt. Deshalb führt im Grunde kein Weg daran vorbei, dass bisher Verborgenes, aber Existentes, das archäologisch zutage gefördert wurde, auch hergezeigt werden muss. Nur so werden die Funde wahr. Nicht als bloße wissenschaftliche Dokumentation. Die verschwindet in irgendeinem Archiv, während die Ausgrabungsstätte unter einem Neubau verschwindet. Geschichte muss sichtbar sein, um Identität zu stiften.
Michael Zeißner