Amberg
23.09.2019 - 09:19 Uhr

Blinder Passagier beim Gropius-Abend in Amberg

Das Geheimnis wurde erst am Ende gelüftet: Wer verbirgt sich hinter der Jukebox aus Pappe? Wie mies war Mies van der Rohe wirklich? Und warum wollte Gropius Frauen aussortieren?

Friedrich Brandl (links) verteilt an Karl Krieg (Mitte) und Bernhard Setzwein (rechts) seine Notizen über das Jahr 1968. Professioneller Musiker Mike Reisinger trötet auf der Entenpfeife während er in seiner Jukebox-Attrappe, auch "Kabuff" genannt, verweilen muss. Bild: Dagmar Williamson, dwi
Friedrich Brandl (links) verteilt an Karl Krieg (Mitte) und Bernhard Setzwein (rechts) seine Notizen über das Jahr 1968. Professioneller Musiker Mike Reisinger trötet auf der Entenpfeife während er in seiner Jukebox-Attrappe, auch "Kabuff" genannt, verweilen muss.

Es rumpelte und pumpelte, knallte und knatterte und schiefe Trompeten-Töne weckten auch den letzten müden Geist im Stadtmuseum auf: Die Lesung war eröffnet. Friedrich Brandl, energetisch wie eh und je, führte vorerst zurück in das Zeitalter vor 100 Jahren, was damals geschah - von der Ermordung Kurt Eisners bis zur Einwohnerzahl Ambergs und der Gründung der Kunstschule Bauhaus.

Vor allem aber beschäftigte ihn die Kindheit in unseren Breitengraden. Die Wiederverwertung von alten Zeitungen, die Flaschensammlung, die man zum Haderlumpen brachte und die Nägel, die wieder gerade geklopft wurden. Brandl las aus Werken von Eugen Oker wie "Lebensfähig" und "So wos schüins mou ma soucha" oder "Mei' Nachbar is' a Architekt".

Jukebox aus Pappe

Und während ein Akkordeon-Stück aus der Jukebox aus Pappe ertönte, gschaftelte der Brandl auf der Kleinkunstbühne mit abgerissenen Tesafilm-Fetzen und seinen Kollegen. Sie sind angekommen, im Jahr 1968, als Amberg progressiv war, zehn Brauereien ihr Eigen nennen konnte und der Marktplatz noch Parkplatz war.

"Bei Ausstellungen, Filmen und Theaterstücken wollte man vor allem diskutieren, Fragen stellen und infrage stellen", erinnerte sich der Amberger. Ziele, die auch die Weimarer Kunstschule hatte. Schreiend singend hallte es aus der Musik-Attrappe: "Amberg ist immer progressiv!" Zudem machte sich Mundartdichter Karl Krieg einen Reim auf die Sonderausstellung im Stadttheater. Zwar sei schon "alles gesagt, aber noch nicht von allen" - in Karl-Valentin-Manier - und deswegen würdigte er das Bauhaus unter anderem mit den Worten: "Gropius gefiel den Frauen und wusste dies genial zu nutzen. Favorisierte mehr die Schlauen, die anderen ließ er die Werkstatt putzen." Witzig, bissig, hintergründig - so kündigten die drei lesenden Männer und ihr blinder Passagier ihre Lesung an und das bekam das Publikum spätestens mit den verfassten Werken von Bernhard Setzwein zu spüren.

Der Literaturpreisträger aus Cham verstand es gekonnt, die Grenze zwischen Historischem und Fiktivem verschwimmen zu lassen und ja, empörte gar das eine oder andere weibliche Volk. Er las über den Meister Mies van der Rohe, der keinen Spaß verstand und regelmäßig mit einer Stippvisite seiner konstruierten Villa Tugendhat überraschte. Denn der Architekt soll mehrmals betont haben, dass an seiner Gesamtkomposition nicht die allerkleinste Änderung vorgenommen werden dürfe. Er verbot wohl geradezu, ein Heim der Gemütlichkeit entstehen zu lassen - ohne billige Bauchvasen oder dergleichen.

Aus Ilse wird Ise

Auch Gropius hatte laut Setzwein mit dem einen oder anderen Tick zu kämpfen. Erntete er doch, was er säte mit einer angeblichen Verwirrung und List über den Liebesbrief an die bereits verheiratete Alma Mahler, die er später zur Gattin bekam und sie auch ihm untreu wurde. In Ilse Frank fand der große Bauhauser seine Rettung. Nur ihr Vorname gefiel ihm nicht und so wurde sie zur Ise Gropius. "Die Küche war ein Platz, wo der Mann nichts verloren hatte", leitete Setzwein ein und philosophierte über das "Laboratorium für die Frau". Sechseinhalb Quadratmeter mit einer Schiebetür zum Wohnbereich getrennt, damit der Ehemann sagen könne "Schatz, ich kann gar nicht sehen, wie du dich alleine abmühst - mach bitte die Schiebetür zu". Gefolgt vom musikalischen Kampftanz der Geschlechter in Form eines Tangos auf dem Akkordeon.

Dann wurde auch Jazz-Saxofonist Mike Reisinger aus seinem Kabuff aus Pappe, provisorisch mit dickem Schwarzstift als Radio dargestellt, befreit. Ohne den Musiker wäre die Lesung nur halb so schräg gewesen. Seine künstlerische Performance, gekonnt auch Haushalts-Klangerzeuger einzusetzen, rundete das verbale Schauspiel auf formidable Weise ab.

 
Kommentare

Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.

Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.

Klicken Sie hier für mehr Artikel zum Thema:
Zum Fortsetzen bitte

Sie sind bereits eingeloggt.

Um diesen Artikel lesen zu können, benötigen Sie ein OnetzPlus- oder E-Paper-Abo.