In Liverpool ließen sich vier junge Männer die Haare wie Pilzköpfe frisieren und machten auf dem Parlophone-Label "From Me To You". Die Musik wurde damit am 5. März 1963 endgültig revolutioniert. Aufbruchstimmung weltweit bei einer Jugend, die sich Beat-Generation nannte. Auch in Amberg. Wer mit Gitarren und Trommeln handelte, machte gute Geschäfte. Denn Bands und Rockgruppen schossen plötzlich wie Schwammerl aus einem Boden, den bis dahin Elvis, Buddy Holly, Little Richard und Fats Domino mit Nahrung versorgt hatten.
Cannonsballs gehen voran
Es dauerte nicht lange, ehe die lokale Szene ihre Helden hatte. Die "Cannonballs" gingen voran und bekamen bald Konkurrenz. Englische Namen mussten her für alle, die in Gitarrensaiten griffen: "Lonely Tears", "Rotten Bones", "Coronets", "Sharks" "Sound Society", "Hurricanes", "Poor Boys", "Nightwalkers", "Machine Guns", "New Formation" und noch etliche andere mehr.
Zu diesem bunten Rudel von meist langmähnigen Burschen gesellte sich das Duo "Hardy & Cash", kam auch eine Gruppe hinzu, die sich "The League '66" nannte. Wie alle anderen mit Verstärkeranlagen unterwegs, die von oft spärlichen Gagen bei Verkäufern abgestottert wurden. Was sich abspielte, war intensiv, laut und für die älteren Amberger von einer schrillen Röhre, die sie erschaudern ließ. War das die Zukunft einer Stadt, deren Honoratioren bis dahin den Tanzorchestern bei Glenn-Miller-Sound applaudiert hatten? "In The Mood" war damals plötzlich gestern. Weit weg von Hämmern wie "Dizzy Miss Lizzy" und "Satisfaction". Doch die Jugend rechts und links der Vils stand Kopf und strömte in Scharen herbei, wenn ihre Idole beispielsweise bei Beat-Stadtmeisterschaften im Josefshaus dröhnende Visitenkarten ablieferten. "Purple Haze" und "Hey Joe" - da tobte die Menge.
Nur ein kurzer Wischer
Unvergesslich für alle, die dabei sein durften. Doch die Ära war wie ein kurzer Wischer in der Stadtgeschichte. Denn die Trennung stand quasi wie mit Rotstift markiert im Terminkalender. Die meisten der jungen Musiker gingen auf Gymnasien. Sie machten Abitur, mussten zur Bundeswehr oder in den Zivildienst, hatten Studiengänge vor sich. Ab 1968 und dann auch im folgenden Jahr wurde der Abschied vollzogen. "Hello Goodbye" sangen die Beatles. Und genau so ging dann alles vonstatten: Ein letztes Servus und das Versprechen, sich nie aus den Augen zu verlieren.
Das Amberger Stadtjugendamt hatte damals nichts unversucht gelassen, um die "moralische Ordnung" zu gewährleisten. Drangsalierende Kontrollen bei Beatabenden, abgeführte junge Leute und Drohungen, an die sich der demnächst 75 Jahre alt werdende "Cannonballs"-Gründer Günter Kälberer bis heute erinnert. "Sie haben mir angekündigt, dass ich nach Ebrach komme", hat Kälberer im Gedächtnis. Ebrach war seinerzeit und ist bis jetzt eine Strafanstalt für Kriminelle. Die Tugendwächter täuschten sich: Hinter Gittern wurde kein einziger eingebuchtet.
Die Beat- und Rockmusiker aus den 1960er Jahren haben allesamt ihren Weg gemacht. Nach fünf Jahrzehnten ist nun so manche berufliche Karriere bereits zu Ende gegangen. Doch ein paar Namen müssen in diesem Zusammenhang erwähnt werden. Manfred Wolfersdorf, der für die "New Formation" spielte, wurde als Professor in Bayreuth einer der prominentesten Psychiater Deutschlands. Rainer Krischke von der "League '66" arbeitete als Arzt wie sein Vater. Den Beruf des Lehrers ergriffen Werner Schlenzig ("League '66"), Bernd Stief ("New Formation") und Fritz Pawlick ("Rotten Bones"). Leonhard Stock ("Lonely Tears") übernahm den Optikerladen seines Vaters in Amberg, Leo Kramarz ("League '66") züchtet Pferde in Colorado.
Und dann war da noch Hubert von Spreti, Sohn eines Amberger Bürgermeisters und ständiger Begleiter bei Beatveranstaltungen. Als Filmverantwortlicher beim Bayerischen Fernsehen stand er vor wenigen Jahren mit im Rampenlicht, als in Los Angeles der Oscar für einen deutschen Dokumentarfilm verliehen wurde.
Manche der Alt-Recken greifen auch heute noch zum Instrument. Bernd Stief, Werner Schlenzig und Leo Beck stehen mit der "Sound Society" auf den Bühnen, Günter Kälberer blickt auf volle Säle, wenn er mit seiner Band "Hula Hoop" auftritt. Dann sitzt mitunter auch einer im Publikum, der noch immer auf lokaler Ebene als jemand gilt, dessen Fingerfertigkeit auf der Fender-Gitarre keiner erreichen konnte: Otmar Stüber aus Ammerthal, der einst mit den "Jet Strings" als Berufsmusiker durch deutsche Lande zog.
Für immer Glücksmomente
"Time To Say Goodbye": Seit der Trennung ist ein halbes Jahrhundert vergangen. Doch es erscheint für viele so, als sei es gestern gewesen: Das Eiscafé Santin am Marktplatz, die Beatkeller an der Sulzbacher Straße und unter dem Ziegeltor, das Tanzlokal Metropol, die heute vor sich hindämmernden Mauern des Josefshauses. Glücksmomente, die für viele Amberger nie außer Sicht gerieten. Auch wenn aus "Sweet Little Sixteen" und "Poor Boy" längst Großeltern geworden sind. Sie werden den Enkeln erzählen, dass es schön war bei "Hang On Sloopy" und "Death Of A Clown" in ihrer Heimatstadt.
Von Franz Tischner bis Harald Ramm
Die Zeit hat Wunden geschlagen und Lücken hinterlassen. Etliche von denen, die damals Rollen in der Amberger Beat-Szene übernommen hatten, sind unterdessen gestorben. Noch in den 1960er Jahren kamen der damalige Konzertorganisator Roland Riedel und der Gitarrist Franz Tischner („Lonely Tears“) bei Verkehrsunfällen ums Leben. Tischner hatte als Fotograf das Coverbild für eine Platte der „League ’66“ im Lengenfelder Steinbruch aufgenommen. Zu den besten Gitarristen zählte Reiner Meier von den „Five Dynamites“. An ihn erinnert man sich in der Stadt ebenso wie an Peter Becker von den „Cannonballs“ und Lothar Pössnicker, der für die „Hurricanes“ spielte.
Gestorben sind auch Hardy Richter vom Duo „Hardy & Cash“ und Heribert Werner, den sie „Ampulle“ nannten. Ihm war es vornehmlich zu verdanken, dass in späteren Jahren Beat-Revival-Konzerte in Amberg veranstaltet wurden. Die „Jet Strings“ vermissen drei ihrer ehemaligen Bandmitglieder: Drummer Kurt Bohun sowie die Gitarristen Hartmut Jackob und Rudi Zdarsky. Mit Harald Ramm wurde vor wenigen Jahren der wohl beste Amberger Schlagzeuger zu Grabe getragen. Ramm, von Beruf Lehrer, gehörte zu den „Hurricanes“ und zu den „Rotten Bones“. Sein Stil war unvergleichlich und ging in Richtung des legendären Drummers Keith Moon von der weltweit bekannten Gruppe „The Who“. Ramm rammte nicht. Er präsentierte sich als Künstler an seinen Trommeln.
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