Als Marga G. 2003 das erste Mal mit hohem Fieber zusammenbrach, und ins Krankenhaus eingeliefert werden musste, ahnte sie noch nicht, welch schmerzhaften Weg sie vor sich haben würde. Denn die Ärzte behandelten sie symptombezogen, nahmen nur einige Standard-Blutwerte und schickten die Patientin dann wieder heim.
Knapp ein Jahr später folgte der zweite Zusammenbruch. Hinter Marga lag ein Jahr, in dem sie sich nur dahinschleppte. Wieder gab es nur eine symptomatische Behandlung, wieder ging Marga ohne Diagnose nach Hause. Vielleicht, so meint sie rückblickend, hatten die Ärzte die Hoffnung, das Problem würde sich irgendwie von selbst lösen.
Auf 38 Kilo abgemagert
Es folgten Krankenhaus-, ja sogar Intensivstations-Aufenthalte in immer kürzer werdenden Abständen. 2007 war Marga auf 38 Kilo abgemagert. Sie musste mittlerweile so oft ins Krankenhaus, dass ihr die ratlosen Ärzte eine psychiatrische Behandlung empfahlen. Selbst als das klassische Symptom, die Braunfärbung der Haut, auftrat, bekam Marga nur den Rat, sie solle sich gründlicher waschen. Etwas Licht ins Dunkel kam im September 2009. Ein Assistenzarzt konnte zwar die Ursache nicht benennen. Er erinnert sich aber, über so einen Fall schon einmal in einem Buch gelesen zu haben.
Als sich Marga nur noch völlig kraftlos dahinschleppte und ihr die Beine immer wieder wegsackten, riet ein anderer Arzt ihrer Mutter, die 37-Jährige zum Sterben nach Hause zu holen. Als letzte Option fielen dem Hausarzt nur noch die Barmherzigen Brüder in Regensburg ein. Dort endlich fanden Mediziner die Ursache heraus: Morbus-Addison erkrankt. Ein Schicksal, das sie mit rund 9000 Menschen in Deutschland teilt.
Nachdem die Diagnose feststand und Marga die entsprechenden Medikamente bekam, besserte sich ihr Zustand schnell. Allerdings wird sie ein Leben lang Medikamente nehmen müssen - denn das zerstörte Nebennierenrinden-Gewebe ist verloren. Es kann sich nicht wieder regenerieren. In Margas Fall verläuft die Erkrankung durch die sehr späte Diagnose zudem intensiver.
Gefährlicher Stress
Auch Werner W. muss sein Leben wie ein Morbus-Addison-Erkrankter managen. Durch einen Motorradunfall ist bei ihm die Hypophyse vom Hirnstamm abgerissen. Nachdem 2009 die multiplen Frakturen des 43-Jährigen behandelt werden mussten, bekam er den Rat, wegen des Ausfalls der Hypophyse zweimal täglich je zehn Milligramm Hydrocortison zu nehmen. Zudem sollte er einmal im Jahr einen Bluttest machen. Damit sollte es eigentlich erledigt sein.
Werner hielt sich an die Vorgaben, wunderte sich aber, dass es viele Tage gab, an denen es ihm richtig schlecht ging. Trotzdem verwies ihn niemand an einen Facharzt. Erst als er wegen einer Stresssituation zu wenig Kortisol im Körper hatte und mit einer Addison-Krise in eine Klinik musste, wurde ihm klar, wie wichtig Kortisol im Körper ist. 2016 landete er bei derselben Endokrinologin (Spezialistin für Hormone) wie Marga: Sie konnte ihn endlich richtig einstellen.
Es geht ums Kortisol
Kortisol ist ein Stresshormon. Je nachdem, wie stressig ein Tag ist, variiert der Spiegel im Blut. Deshalb muss die Tagesdosis bei einem Patienten immer individuell angepasst werden. Messbar wie das Insulin bei einem Diabetiker ist der Kortisolspiegel auf die Schnelle nicht. Nur das persönliche Befinden ist ausschlaggebender Maßstab.
Es gibt viele Stressauslöser, die einer Erhöhung der Grunddosis erfordern: Magen-Darm-Infekte oder Erkältungen, Verletzungen, Unfälle sowie Operationen, aber auch Geburten oder einfach nur zu viel Hitze oder Kälte. Solchen Situationen begegnet der Körper normalerweise mit einer größereren Produktion von Kortisol. Marga braucht grundsätzlich die doppelte Menge, denn ihr Körper war lange unterversorgt. Auch psychischer Stress kann sich gewaltig auswirken - oft sogar mehr als physischer. Etwa durch den Tod eines lieben Menschen oder einen Autounfall, in den man verwickelt ist. Selbst wenn der Nebennieren-Insuffiziente keinen körperlichen Schaden davonträgt, können Schmerz oder Trauer eine Addison-Krise auslösen, bei der der Betroffene schnellstmöglich ein Krankenhaus und eine Notfallinjektion braucht. Dort muss er hoffen, auf einen Arzt zu treffen, der weiß, wie ihm zu helfen ist. Das ist nicht unbedingt zu erwarten, weil die Erkrankung so selten ist. "Man ist zum größten Teil auf sich gestellt", weiß Werner aus eigener Erfahrung - und fügt hinzu: "Man hat nicht mal mehr Freude an den schönen Dingen des Lebens."
Eine Nebennieren-Insuffizienz kann das Leben komplett auf den Kopf stellen. "Das Schlimmste an den vielen Unfallfolgen ist, dass die Nebenniere nicht mehr funktioniert." Und das, obwohl Werner auf nur einem Auge noch etwa zehn Prozent sieht, kaum Geruchs- und Geschmackssinn hat, schlecht hört, nur noch einen unzureichenden Tastsinn hat und an den Folgen multipler Schädel- und sonstiger Frakturen täglich leidet. Dazu kommt, dass Werner immer einen Kühlschrank in seiner Nähe braucht, weil er wegen des Ausfalls der Hypothalamusdrüse täglich Wachstumshormone spritzen muss: Diese müssen kühl gelagert werden.
Licht in der Finsternis
"Man braucht jemanden, auf den man sich hundertprozentig verlassen kann", ergänzt Marga. Gute Endokrinologen konditionieren die Partner ab der Diagnose gleich mit, wie sie sich in einem Notfall verhalten sollen und woran zuerst zu denken ist. Doch in jeder Finsternis gibt es Lichtpunkte. Einer ist bei Marga und Werner, dass sie der richtigen Ärztin begegnet sind. Und der zweite, mindestens genauso wichtige, dass sie einander gefunden haben. Durch ihre Krankheit.
Morbus Addison
Morbus Addison ist eine Form der Nebennierenrinden-Insuffizienz. Die Nebennieren sind wichtige Produktionsstätten für Hormone wie Adrenalin (im Nebennierenmark) und Cortisol oder Aldosteron (in der Nebennierenrinde).
Ohne diese Botenstoffe besteht schnell Lebensgefahr. Wenn bei einem Patienten ein schnell einsetzender starker Mangel an Nebennierenrinden-Hormonen auftritt, sprechen Experten von einer Addison-Krise. Die Nebennieren sind zwei 1,5 mal 3 Zentimeter große Hormondrüsen. Sie sitzen auf den Nieren wie Hütchen. Die äußere Schicht, die Nebennierenrinde, stellt lebenserhaltende Hormone her. Werden diese nicht mehr gebildet, passiert Folgendes: Der Blutdruck sinkt, der Betroffene verliert an Gewicht. Zudem färbt sich häufig die Haut braun. Der Erkrankte wird leistungsschwach, infektanfällig, antriebslos, unterzuckert und hat nicht selten Magen- und Darmbeschwerden.
Um Morbus Addison nachzuweisen, werden zunächst die CRH- und ACTH-Werte bestimmt. Zudem kann eine Untersuchung der Tagesurinmenge zuverlässig Auskunft darüber geben, ob die Krankheit vorliegt.
Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.
Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.