Amberg
24.08.2018 - 17:27 Uhr

Wer mag schon nach der Stechuhr arbeiten?

Sommerferien - das ist nicht nur wochenlang schulfrei. Viele Schüler nutzen die Zeit, um sich etwas Geld dazuzuverdienen. Doch diese Arbeit ist nicht immer ein Zuckerschlecken - AZ-Redakteure erinnern sich an ihren schlimmsten Ferienjob.

Noch heute traut Thomas Amann nicht jeder Stempeluhr. Bild: Petra Hartl
Noch heute traut Thomas Amann nicht jeder Stempeluhr.

Journalisten mögen keine Stechuhren. Obwohl die nicht stechen, schlagen sie danach - zumindest verbal, als ob es stachelbewehrte Wespen wären. Und das, obwohl die Zeitungsredakteure selbst Bienen sind. Also, fleißig wie die Bienen sind wir. Und zwar praktisch immer. Der selbst auferlegte Anspruch lautet: Ein Journalist ist immer im Dienst. Selbst in der Freizeit, weil er auch da Leute trifft, die ihm etwas erzählen, was oft für eine Zeitungsgeschichte taugt. Stimmt insoweit, als dass viele Bekannte den Zeitungsheini gern gezielt auf etwas ansprechen, das ihnen stinkt. Häufig geben solche Tipps tatsächlich was her - der Journalist produziert aus persönlichen Lebenserfahrungen und Erlebnissen seiner Bekannten und Informanten mitunter die schönsten Geschichten.

So weit so gut. Davon profitiert nicht nur der in der Heimatstadt verwurzelte Lokalredakteur, sondern auch seine AZ. Deswegen macht er's gern und ist dankbar für diese Drähte. So dankbar, dass er in der Regel keine Stechuhr braucht. Weil er (sich) sagt: Was soll's? Die 15 Minuten, die ich am Samstag beim Einkaufen einem plauderfreudigen Informanten geopfert hab, muss ich nicht gleich am Montag als Arbeitszeit nachbuchen. Ist mir zu aufwendig, gehört ja zum Job und dem eigenen Selbstverständnis.

Neben diesem berufstypischen Grund gibt es bei mir noch eine weitere Ursache für die Stechuhr-Abneigung: die Ferienarbeit Mitte der 1980er-Jahre bei einem Werkzeugteilebauer, der das Arbeiten nach der Stechuhr perfektioniert hatte. Genauer gesagt waren es die Beschäftigten selber, die mich zum Staunen und Kopfschütteln brachten. Bereits kurz vor Arbeitsbeginn standen alle wortlos und unbewegt in einer großen Halle an ihren Dreh- oder Fräsmaschinen. Sie warteten auf das Schrillen der Betriebssirene, um mit diesem hässlichen Ton buchstäblich den Schalter umzulegen und die Maschinen einzuschalten. Arbeitsbeginn sekundengenau um 7 Uhr - mit einer Form von Gleichschaltung, die mich irgendwie an die damals noch existierende DDR erinnerte.

Zum Ende des Arbeitstags ging's dann insofern etwas lockerer zu, als dass sich die ersten Kollegen schon kurz vor 15.30 Uhr an der Stechuhr aufreihten. Nicht irgendwelche, sondern die Vorarbeiter und Dienstältesten, die dieses Recht offenbar für sich gebucht hatten. Zumindest hatten sie es vor allen Jüngeren oder irgendwelchen Ferienarbeitern, die sich gefälligst zuallerletzt ganz hinten anstellen durften. Puh, was für eine strenge Hierarchie! Einem jungen Revoluzzer ohne Erfahrungen in der (damaligen) Arbeitswelt gefiel das gar nicht. Zumal er öfter bös angeschaut wurde, wenn er am Morgen spät kam und erst dann durch die Halle zu seiner Maschine eilte, als alle anderen schon davor standen und aufs Go-Signal warteten.

Frage: Wie könnte eine kleine Rache nach drei Wochen erdrückend unterdrückender Ferienarbeit aussehen? Ganz klar: Am letzten Tag rotzfrech alle in der Reihe an der Stechuhr überholen. Nicht um sich selber als Erster auszubuchen. Das hätte Zeter und Mordio gegeben bei dem netten Arbeitsklima. Nein, die Lösung sah so aus: Nachdem der Erste an der Stechuhr immer gleich seine Papierkarte in den Stempelschlitz steckte und aufs Sirenengeheul wartete, haute ich ihm mit einer schnellen Bewegung vorher drauf und es machte "Bing". Der unbestechliche Stecher druckte 15.27 statt 15.30 Uhr auf!

Herr Grimm, oder wie der verdutzt schauende Kollege hieß, war so perplex, dass er nicht mal zum Schimpfen oder der verdienten Ohrfeige für den Frechling kam. Das lag allerdings auch daran, dass dieser aufs eigene letzte Stempeln verzichtete und stattdessen die Beine in die Hand nahm. Im Laufschritt ging's hinaus zum Firmentor, zurück in die Freiheit des Schülers, der bei so einer Firma vieles zum Davonlaufen fand. Da gefiel's ihm später in der AZ-Redaktion schon viel besser. Mittlerweile haben wir hier sogar eine fortschrittliche Zeiterfassung, die (theoretisch) selbst dem Journalistenberuf gerecht wird.

 
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