Amberg
03.07.2018 - 14:52 Uhr

Von Magersucht bis Essanfall

Essstörungen nehmen zu - deshalb ist Prävention wichtiger denn je. Doch genau die komme oft zu kurz, sagt Sozialpädagogin Claudia Burmeister. Im Jugendzentrum Klärwerk klärt sie deshalb schonungslos und realitätsnah über Essstörungen auf.

Claudia Burmeister (rechts) führt Eltern, Lehrer und Aktive in der Jugendarbeit durch die interaktive Ausstellung "Klang meines Körpers". Huber, Stephan [HS] (stephan.huber@oberpfalzmedien.de)
Claudia Burmeister (rechts) führt Eltern, Lehrer und Aktive in der Jugendarbeit durch die interaktive Ausstellung "Klang meines Körpers".

Amberg. (pjle) „Klang meines Körpers“ ist der Name der interaktiven Ausstellung zum Thema Essstörung, die gerade im Jugendzentrum Klärwerk gastiert. In den vergangenen zwei Wochen haben Schulklassen aus Amberg und dem Landkreis ab der siebten Jahrgangsstufe am Präventionsworkshop teilgenommen.

Für den Donnerstagabend hatten das Gesundheitsamt und die Kommunale Jugendarbeit von Stadt und Landkreis dann auch Eltern, Lehrkräfte und andere Interessierte ins Jugendzentrum eingeladen. Etwa 20 Frauen nutzten das Angebot, die Mitmach-Ausstellung zu besuchen, begleitet von einem Vortrag der Sozialpädagogin Claudia Burmeister. Sie arbeitet in der Beratungsstelle „Waagnis“ in Regensburg und berät dort täglich Betroffene einer Essstörung.

30 Prozent aller Mädchen zwischen elf und 17 Jahren zeigten ein auffälliges Essverhalten, begann die Referentin. Und auch 15 Prozent der gleichaltrigen Jungen hätten in einer Befragung angegeben, sie seien unzufrieden mit ihrem Körper oder machten sich viele Gedanken über Essen und Figur. „Nicht jeder dieser Jugendlichen entwickelt eine Essstörung, aber auffälliges Essverhalten ist immer der Anfang“, erklärte Burmeister.

Bevor die Expertin auf Auslöser und Risikofaktoren einging, erläuterte sie die Krankheitsbilder der verschiedenen Essstörungen genauer. Während eine Magersucht (Anorexie), die durch starken Gewichtsverlust und eine gestörte Körperwahrnehmung gekennzeichnet ist, in 15 Prozent der Fälle tödlich ende, stünden bei der Ess-Brech-Sucht (Bulimie) oft nicht die körperliche Schwächung, sondern der hohe Leidensdruck, Schuldgefühle und damit einhergehende Suizidgedanken und -versuche am Ende der Krankheit. Dazu wurde sowohl den Schülern wie auch den Erwachsenen der kurze Spielfilm „Lilly“ gezeigt. Er erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die ihren Traumstudienplatz nicht bekommt und daraufhin die Kontrolle über ihr Essverhalten verliert.

Und auch auf eine dritte und weniger bekannte Essstörung ging Burmeister ein: Bei einer Binge-Eating-Disorder führt heimliches, übermäßiges, schnelles und unkontrolliertes Essen zu Übergewicht und großen Schuld- und Ekelgefühlen gegenüber sich selbst.

Die Auslöser von Essstörungen können vielfältig sein: Gesellschaftliche Faktoren wie die tägliche Konfrontation mit Schönheitsidealen oder das extreme Überangebot an billiger Nahrung spielten häufig eine Rolle. Oft liege die Ursache aber auch in der familiären Situation der Betroffenen, zum Beispiel fehlende Herzlichkeit und Wärme, Überbehütung, zu hohe Erwartungen der Eltern oder sexuelle Übergriffe innerhalb der Familie. Es gebe aber auch Persönlichkeitsmerkmale, die eine Essstörung befördern können. Burmeister nannte hier ein geringes Selbstwertgefühl, Selbsthass oder auch überhöhte Selbstansprüche.

„Viele Betroffene denken, sie sind blöd oder willensschwach, aber sie haben eine ernstzunehmende Erkrankung“, erklärte die Referentin. „Wichtig ist, ihnen zu sagen: Du bist nicht schuld, aber die einzige, die etwas dagegen tun kann.“

Das Ziel sei, Betroffene zu einer Therapie zu bewegen. Deshalb appellierte die Referentin an ihr Publikum, Menschen, bei denen sie eine Essstörung vermuten, auf diese anzusprechen. Hinweise gebe es viele: Betroffene neigen dazu, sich ständig mit Essen, Figur und Gewicht zu beschäftigen, ungern mit anderen zu essen, extrem häufig Sport zu treiben oder sich aus ihrem Umfeld zurückzuziehen. Auch körperlicher Leistungsrückgang, Zahnschäden (v. a. bei Bulimie) oder ständiges Frieren und Haarausfall können Hinweise sein.

„Lieber eine zu viel ansprechen, als eine zu wenig“, lautet der Rat der Sozialpädagogin. „Viele werden sich mit Händen und Füßen wehren, aber das Risiko muss man eingehen.“ Oft gestünden ihr Betroffene, sie hätten sich gewundert, dass keiner etwas gesagt hat. Entscheidend sei hier eine vorsichtige, liebevolle Art, ein offenes Gesprächsangebot ohne Druck, Zwang oder gar Vorwürfe. „Man muss den Betroffenen immer wieder sagen: Du schaffst das.“ Eine Therapie helfe in vielen Fällen - aber sie kann nicht alle Betroffenen heilen. „Genau deshalb ist Prävention so wichtig“, meinte Burmeister.

Die interaktive Ausstellung sei da ein guter Ansatz: Fünf Portraits, die Betroffene selbst erstellt haben, erzählen ihre Geschichten und regen die Schüler zum Nachdenken an. Unter jedem Portrait steht eine Truhe mit den Dingen, die zeigen, was den Erkrankten geholfen hat: Musik, Freunde, Informationen, der Fokus auf die eigenen Stärken. „Was macht Ihr Leben lebenswert?“, fragte die Referentin am Ende in die Runde. Sich mit sich selbst und dem Leben anzufreunden, sei der sicherste Weg, einer Essstörung vorzubeugen.








Info:

Hilfe bei Essstörungen

Fachambulanz für Suchtprobleme:

Dreifaltigkeitsstraße 3, Amberg, Telefon 09621/475 540, E-Mail beratung[at]suchtambulanz-amberg[dot]de

Kinder- und Jugendpsychiatrie Amberg, Tagesklinik, Institutsambulanz:

Köferinger Straße 1, Amberg, Telefon 09621/916 668 310, E-Mail klinik-kjp-am[at]medbo[dot]de

waagnis – Beratungsstelle zu Essstörungen:

Grasgasse 10, 93047 Regensburg, Telefon 0941/59 98 606, E-Mail info[at]waagnis[dot]de

Fachberatung für Frauen mit Essstörung dich und dünn Nürnberg e.V.:

Kühnestraße 24, 90402 Nürnberg, Telefon 0911/471 711, E-Mail kontakt[at]esssoerungen-mittelfranken[dot]de

 
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