Amberg
21.12.2018 - 11:05 Uhr

Ohne Organspende wäre er jetzt tot

Die tätowierte Uhr auf seinem linken Unterarm steht auf fünf Minuten vor Zwölf. Genau genommen ist es aber fünf Sekunden vor Zwölf. Die Lebenszeit von Daniel Reiser ist im Prinzip abgelaufen.

Daniel Reiser. Bild: tk
Daniel Reiser.

Die Ärzte geben dem 33 Jahre alten Mukoviszidose-Patienten aus Hohenburg nur noch wenige Tage. Doch dann geschieht ein Wunder.

Kurzer Rückblick: Daniel Reiser leidet an einer unheilbaren, genetisch bedingten Stoffwechselerkrankung - Mukoviszidose. Im Dezember 2017 erzählt er der Amberger Zeitung und Oberpfalz-Medien seine Lebens- und Leidensgeschichte. Er spricht von dem "Mistvieh", wenn er das Sauerstoffgerät meint, das seinen Tod verhindert. Sein Lungenvolumen liegt nur bei etwa 20 Prozent. An guten Tagen.

Als er als kleines Kind die Diagnose erhält, gehen die Mediziner davon aus, das Daniel höchstens 17 oder 18 Jahre alt wird. Zweieinhalb seiner ersten vier Lebensjahre verbringt er im Krankenhaus. Erfahrungen, die ihn früh zum Kämpfer machen: "Ich bin immer herumgerannt und immer gekraxelt. Meine Mutter war immer bemüht, dass ich in Bewegung bin." Wie lange sein kaputtes Organ noch hält, wusste Daniel Reiser im Dezember 2017 nicht: "Vielleicht ein Vierteljahr. Ein halbes. Zwei Jahre. Keine Ahnung. Zehn Jahre aber wahrscheinlich nicht." Sicher nicht.

"War eigentlich am Ende"

Noch im Mai dieses Jahres war die Welt für den Hohenburger in Ordnung. Mit seiner Freundin Angelina machte er Urlaub in Berchtesgaden. Nicht wissend, dass schon bald eine Zeit beginnt, die von der er immer wusste, dass sie kommt - nur nicht wann. Ende September fiel Daniels Lungenvolumen ohne Vorwarnung dramatisch ab - obwohl er an dem "Mistvieh" hing. Der Notarzt brachte ihn in eine Donaustaufer Spezialklinik, wo die Experten auf der Intensivstation zügig eine Entscheidung trafen: Der Hohenburger kann nicht bleiben. Er muss so schnell wie möglich nach München ins Klinikum Großhadern, wo er als potenzieller Empfänger eines Spenderorgans gelistet ist. Daniel Reiser erinnert sich: "Ich war nach dem Transport so fertig. Ich war eigentlich am Ende, hatte ständig Atemnot." Danach ging alles noch viel schneller. Sämtliche Werte erreichten plötzlich alarmierende Ausmaße. Daniel Reiser wurde bewusstlos und fiel ins Koma: "Mein Gehirn hat nicht mehr funktioniert."

Die Ärzte fragten seine Freundin Angelina, ob es eine Patientenverfügung gibt. Das war der Fall. Daniel hatte im Vorfeld wiederholt darauf hingewiesen, dass er nicht dahinvegetieren möchte - angeschlossen an eine Maschine. Doch diese schlimme Situation hatte auch etwas Gutes an sich. Etwas, das dem heute 33-Jährigen das Leben gerettet hat. In der bundesweiten Reihenfolge der Empfänger einer Spenderlunge hatte er es unter die Top 3 geschafft. Mit anderen Worten: Eines der nächsten Organe, das transplantiert werden kann, ist für den Hohenburger bestimmt.

Daniel, der von seinen Freunden Surfer-Sepp genannt wird, erwachte aber plötzlich kurzzeitig aus dem Koma. Wie durch ein Wunder: "Ich war um 3 Uhr plötzlich wach und dachte nur: Wenn jetzt nichts passiert, war es das." Er sei aber trotz der Endzeitstimmung immer voller Hoffnung gewesen. Aber: "Ich hatte ja keine Chance. Ich war wie in einem Tunnel. Da denkst du irgendwann gar nicht mehr darüber nach."

Wie ein kleines Wunder

Doch dann kam der 13. Oktober. Und mit ihm die gute Nachricht. Die beste Nachricht überhaupt im Leben des jungen Mannes. Einer der Ärzte sagte: "Herr Reiser, wir haben jetzt ein Organ für Sie. Rasieren Sie sich bitte. In einer Stunde geht's los." Gemeint war die lebensrettende Operation, die 13 Stunden dauern sollte. Das ist relativ lange, aber Daniel Reise wurde im Prinzip doppelt transplantiert, weil er zwei neue Lungenflügel bekommen hat. Wer aus welchen Gründen zuvor sein Leben gelassen hat und zum Organspender wurde, hat der 33-Jährige nicht erfahren. Und er will es auch gar nicht wissen: "Das ist mir persönlich relativ egal. Für mich ist nur wichtig, dass die Lunge auch funktioniert."

Das tut sie. Schon nach zehn Tagen durfte Daniel Reiser, der während seiner Ausbildung im Kümmersbrucker Autohaus Kolk beschäftigt war, die Intensivstation verlassen: "Das ist die Ausnahme. Normal geht das nach einer Transplantation nicht so schnell."

Die Ärzte begründeten das mit der guten körperlichen Grundkonstitution des Hohenburgers, der niemals geraucht, viel Sport getrieben und nie mehr als 60 Kilogramm gewogen hat. Er traut es sich fast nicht zu sagen, aber dann kommt er ihm doch über die Lippen, der zentrale Satz, der sein Glück auf den Punkt bringt: "Den Status, den ich gerade habe, schaffen vielleicht nur zwei von 100 Transplantierten." Daniel Reiser steht auf. Einfach so. Ohne, auf das "Mistvieh" achten zu müssen oder in Atemnot zu geraten. Er geht zum Kamin und legt Holz nach.

Ein Handgriff, der vor einem Jahr unvorstellbar gewesen wäre. Zu anstrengend. Aber jetzt ist das kein Problem mehr: "Ich habe sogar schon eine Etage komplett durchgesaugt. Ohne Husten. Ich bin auch schon drei Kilometer spazieren gegangen." Das Beste: "Ich kann wieder Autofahren." Das Allerbeste: "Ich kann wieder ruhig schlafen, weil ich kein Gepiepse mehr um mich herum habe." Das "Mistvieh", das ihn am Leben hielt, musste nämlich immer an sein. Es sei aber ein Trugschluss, zu denken, dass es ihm jetzt richtig gut geht. Daniel Reiser muss täglich 45 Tabletten schlucken ("Das ist auf Dauer auch nicht gesund"), einen Mundschutz tragen (wegen der Infektionsgefahr) und extrem auf die Ernährung achten, weil er als Begleiterscheinung Zucker bekommen hat. Und dann ist da noch dieses Gefühl, dass der 33-Jährige noch gar nicht so richtig einschätzen ein.

Diagnose bleibt

Ja, er hat eine neue Lunge und ist dem Tod entkommen. Doch das bedeutet nicht, dass er unkaputtbar ist. Die Diagnose Mukoviszidose bleibt. Sein Körper wird auch das neue Organ in Mitleidenschaft ziehen. Wie lange das Modell Lunge 2.0 das mitmacht, vermag niemand zu sagen. Als es in Großhadern um die Perspektiven ging, habe ein Arzt "von in 20 Jahren" gesprochen. Dann wäre Daniel 53. Doch so weit will der Hohenburger nicht denken. Er genießt das Hier und Jetzt. Und tritt auf die Euphoriebremse: "Ich muss trotzdem höllisch aufpassen. Mein Körper kann jeden Moment beginnen, die neue Lunge abzustoßen." Dann wäre es wieder fünf Sekunden vor Zwölf.

Im Klinikum Großhadern werden Daniel Reiser zwei Lungenflügel transplantiert. Bild: tk
Im Klinikum Großhadern werden Daniel Reiser zwei Lungenflügel transplantiert.
 
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