Amberg
30.12.2018 - 18:56 Uhr

Aus der Stasi-Zelle nach Amberg

Jürgen Steup stammt aus der Lutherstadt Eisleben in Sachsen-Anhalt. Seit Oktober 1977 lebt der Rentner, der früher Zimmermann und Berufskraftfahrer war, in Amberg. In der Oberpfalz fand er sein Glück - aus einem weniger erfreulichen Grund.

Jürgen Steup lebt seit Oktober 1977 in Amberg. Er kam aus der DDR. Bild: privat
Jürgen Steup lebt seit Oktober 1977 in Amberg. Er kam aus der DDR.

ONETZ: Der Oberpfälzer ist ein Grantler und Sturkopf. Stimmt’s?

Jürgen Steup: Nein, überhaupt nicht. Das muss ich ehrlich sagen, ich habe ja hier auch meine Frau kennengelernt, sie stammt aus Schnaittenbach. Man muss sich zwar ein bisserl anpassen, aber in den vergangenen 41 Jahren habe ich das hier so nicht mitbekommen.

ONETZ: Mit welchen Vorurteilen und Erwartungen sind Sie in die Oberpfalz gekommen? Und wie lautet jetzt Ihr Fazit?

Ich habe Amberg gar nicht gekannt. Und es war ja auch Zufall, dass ich hier her gekommen bin. Ich war vier Jahre und vier Monate in der DDR eingesperrt, weil ich abhauen wollte. Da war ich mit zwei Bundesbürgern aus München in der Zelle, zwei Spione. Einer hat zu mir gesagt: Jürgen, wenn ich es schaffen sollte, kommst halt nach München, ich besorge dir Arbeit und eine Wohnung. Nach der Haft bin ich von der Stasi nach Gießen ins Notaufnahmelager gebracht worden. Da wurde ich eine Woche von Engländern, Amerikanern, Franzosen und Deutschen befragt, unter anderem danach, wohin ich als nächstes wollte. Ich habe gesagt München. 24 Stunden später kam ein Engländer und sagte: Das mit München wird nichts. Dann wurde ich erst mal nach Nürnberg gefahren. Da hat man mir eine Fahrkarte nach Amberg gekauft und gesagt: Das liegt näher an München als Nürnberg. In Amberg bin ich dann hängengeblieben. Hier gefällt’s mir, hier fühle ich mich pudelwohl.

ONETZ: Spielen Sie oft mit dem Gedanken, in Ihre alte Heimat zurückzukehren? Wie oft fahren Sie tatsächlich zurück?

Nein, noch nie. Ich bleibe für immer in Amberg. Als meine Mutter noch lebte, sind wir ein, zwei Mal zurück gefahren, um sie zu besuchen. Seitdem meine Mutter tot ist, bin ich in der alten Heimat nur noch sehr selten, das letzte Mal war vor vier Jahren.

ONETZ: Was erzählen Sie dort von Ihrer neuen Heimat? Was würden Sie Ihren Verwandten oder Freunden zuerst zeigen, wenn die zu Besuch in die Oberpfalz kommen?

Am Anfang – das erste Mal kam meine Familie gleich nach der Wende zu Besuch – habe ich ihnen natürlich immer Amberg gezeigt und Regensburg.

ONETZ: Verstehen Sie Ihre Oberpfälzer Kollegen, wenn Sie mit ihnen nach Feierabend ein Bier trinken?

Ja. Da habe ich keine großen Probleme mit. Am Anfang vielleicht ein bisserl, aber es ist alles machbar.

ONETZ: Fühlen Sie sich bereits als Oberpfälzer?

Wegen mir schon, an mir liegt’s nicht.

Zugroast:

In der Kolumne "Zugroast" stellen wir jede Woche Menschen vor, die aus Hamburg, aus dem Ruhrpott oder aus Kasachstan in die Oberpfalz gezogen sind - und hier eine neue Heimat gefunden haben.

Hier finden Sie alle Teile der Serie

 
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