Es gibt einen noch verhältnismäßig jungen, ursprünglich von dem polnisch-britischen Soziologen Zygmunt Bauman eingeführten Begriff: Retrotopie. Er setzt sich aus den Worten retro (rückwärts), Topos (Schema, Formel) und Utopie (Wunschbild-Projektion) zusammen. Karl Valentin, zu dessen Zeiten es dieses Wort noch nicht gegeben hat, ahnte jedoch, was sich dahinter verbergen könne, meint Dr. Klaus Lösch. "Die Zukunft war früher auch besser", soll der melancholische Komiker einmal gesagt haben.
Lösch stellte dieses Zitat an den Anfang seines Vortrags "Amerikanische Werte und Wertewandel in der Ära Trump". Der Amerikanist schreibt dem US-Präsidenten, der noch nicht einmal vier Jahre im Amt ist, also schon eine Ära zu. Angesichts des von Donald Trump in dieser Zeit zerschlagenen politischen Porzellans im eigenen Land und auf der ganzen Welt verwundert das nicht. Der Wandel von Werten, betonte Lösch, sei im Grunde aber wertfrei und völlig normal. Jeder brauche sich nur entsinnen, was er in jungen Jahren so gedacht hat.
Auch den mit dem Lebensalter üblicherweise zunehmenden Kulturpessimismus, dass die früheren auch die besseren Zeiten gewesen seien, billigt Lösch allen Menschen und Gesellschaften zu. Nicht aber, die heftigen Verwerfungen eines "globalen Spätkapitalismus'" und "wirtschaftlichen Neoliberalismus'" dahingehend umzudeuten, dass sie durch Rückbesinnung auf eben deren Ursachen als Allheilmittel wieder ungeschehen gemacht werden könnten. Trump suggeriert Stahlarbeitern, zur einstigen Größe zurückzukehren, dass die Farmer wieder die Ernährer der Welt werden und eine rigide wirtschaftliche Abschottung allseitigen wirtschaftlichen Wohlstand beschert.
Vernunft zählt nicht
Das sei Populismus pur, getragen von emotional verankerten, rückwärtsgewandten Sehnsüchten statt vernünftigen Analysen des Hier und Jetzt. Darauf anspringen würden die Menschen in den ländlichen Gebieten der Vereinigten Staaten und den absteigenden einstigen Industrierevieren, nicht aber in den prosperierenden urbanen Wirtschaftsmetropolen. In den USA, stützt sich der Wissenschaftler auf einschlägige Untersuchungen, haben sich Stadt- und Landbevölkerung kaum mehr etwas zu sagen.
Die großen amerikanischen Mythen der grenzenlosen individuellen Freiheit, von hausgemachtem Recht und Ordnung und der Durchsetzungsfähigkeit des Guten als dem Stärkeren, zusammengemixt zu einem glühenden, aber diffusen Nationalstolz, all das werde als herrschende Meinung nur noch fast ausschließlich auf dem Land, den Heartlands, innig gepflegt. Das sei das politische Feld, das Trump bestelle, Minderheiten diffamierend, die Gesellschaft spaltend, rüpelhaft im Ton. "Da gibt es sehr viel Verachtung und wenig Verständnis", beschrieb der Referent die inneramerikanische gesellschaftliche Gespaltenheit, die Trump ganz gezielt befeuere. Stets "im Sinne einer imperialen Präsidentschaft", die sich um die demokratischen Organe Congress und Repräsentantenhaus wenig schere.
Amerika-Bild überdenken
Lösch rückte zugleich einen spätestens seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs etwas verklärten Blick von Europa auf Amerika zurecht. So sei beispielsweise erst 1964 mit dem Civil Rights Act die Rassentrennung aufgehoben worden. Und auch die Rolle des Weltpolizisten, der für die freiheitlichen westlichen Demokratien einstehe, hätten die USA stets nur aus eigenen wirtschaftlichen Interessen wahrgenommen. "Es steht schlecht um die politische Kultur in den USA", resümierte Lösch seine Betrachtungen und eine weitere Amtszeit von Trump gebe Anlass "zur Sorge um die demokratische Zukunft der Vereinigten Staaten".
Ernstzunehmende Chancen billigt Lösch derzeit den Demokraten nicht zu. "Es fehlt ein Konzept der Solidarität mit den Benachteiligten." Es reiche nicht aus darauf zu setzen, dass "politische Gleichheit auch ökonomische Gleichheit" mit sich bringe. Da müsse schon mehr kommen. Anderseits gelte: "Politik ist im Grunde nur eine große Show." Ernsthaft betrachtet bedeute das unter Trump jedoch für Europa, "die USA fallen als verlässlicher Partner aus".













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