Amberg
14.06.2019 - 16:56 Uhr

Werkvolk Amberg: Eine Hausnummer im Wohnungsbau

In den Nachkriegsjahren ist ein Dach über dem Kopf wichtig. In den 1980ern zählen neuzeitliche Böden und Balkone. Heute darf's gerne Smart-Home sein. Ein Streifzug mit dem Werkvolk durch seine 70-jährige Geschichte des Wohnungsbaus.

Ein Bild aus der Nachkriegszeit: Richtfest am Schießstätteweg. Damals ahnte noch niemand, dass sieben Jahrzehnte später das Werkvolk die siebtgrößte Wohnungsbaugenossenschaft Bayerns sein würde. Bild: exb
Ein Bild aus der Nachkriegszeit: Richtfest am Schießstätteweg. Damals ahnte noch niemand, dass sieben Jahrzehnte später das Werkvolk die siebtgrößte Wohnungsbaugenossenschaft Bayerns sein würde.

12 000 Flüchtlinge und Heimatvertriebene waren nach dem Krieg nach Amberg gekommen. Daraus, aber auch aus dem Geburtenüberschuss herrschte der Stadt ein Bedarf von 15 000 Wohnungen, rechnet Dagmar Kierner, geschäftsführender Vorstand des Wohnungsbau und Siedlungswerk Werkvolk eG, die damaligen Verhältnisse vor. Und nennt weitere Zahlen: Rund 5300 Wohnungssuchende gab es damals, plus 6400 Pendler, die aus beruflichen Gründen nach Amberg wollten.

Angesichts der Wohnungsnot kam Einheimischen und Flüchtlingen der Gedanke, eine Genossenschaft zu gründen. Mit dem 4. März 1949 begann eine Erfolgsgeschichte, die bis jetzt unvermindert andauert - das Unternehmen hat laut Kierner heute eine Bilanzsumme von 86,6 Millionen Euro, hinsichtlich des Wohnungsbestands ist es derzeit die größte Wohnungsgenossenschaft der Oberpfalz. Bayernweit rangiert das Werkvolk an siebter Stelle. 58 Gründungsmitglieder hatte das Werkvolk, als es aus der Taufe gehoben wurde. Ein Geschäftsanteil war auf 300 Mark festgesetzt. "Das war damals eine Risensumme", sagt Dagmar Kierner. Ungefähr das eineinhalbfache eines durchschnittlichen Brutto-Monatsverdienstes sei das gewesen. Akademiker hätten seinerzeit so um die 330 Mark monatlich verdient.

Wiege in der Faberstraße

Die ersten Werkvolk-Gebäude entstanden in der Faberstraße. "Die gibt es heute noch, sie wurden aber zwei Mal komplett renoviert", sagt Dagmar Kierner. Möglich geworden war das erste Bauprojekt mit insgesamt 36 Wohnungen dank Entgegenkommens der katholischen Pfründestiftung St. Martin. Diese nämlich hatte eine Kleingartenanlage in Erbpacht hergegeben. Weiter ging es am Schießstätteweg.

Wie Kierner erzählt, hatte die Genossenschaft bereits 1952 - und damit als damals einzige - mit dem Bau von Eigentumsmaßnahmen begonnen. Die Gewinne aus diesen Verkäufen wurden wiederum investiert - somit wurde Eigenkapital für neue Mietwohnungen erwirtschaftet. Kontinuierlich Geld hat die Wohnungsbau und Siedlungswerk Werkvolk eG nach Kierners Schilderungen in die konsequente Modernisierung gesteckt. Bereits in den 1970er-Jahren waren die in den Nachkriegsjahren errichteten Schlichtwohnungen am Schießstätteweg, in der Faber- und Kettelerstraße, die deshalb so hießen, weil sie in einfacher Bauweise entstanden sind, an der Reihe.

Diverse Fördermittel nutzte das Werkvolk nicht nur für Neubauten, sondern über das bayerische Modernisierungsprogramm auch für die Sanierung älterer Gebäude und Wohnungen. "Bereits Ende der 1980er-Jahre waren alle Bestandswohnungen mit neuzeitlichen Böden, Heizungen und Balkonen ausgestattet", sagt Kierner. Nachhaltigkeit und Ökologie sind für die Chefin der Genossenschaft wichtige Themen. "Wir setzen seit 20 Jahren konsequent ein Betriebskosten-Management um." So werde nicht nur etliches an Energie, sondern auch Nebenkosten - die zweiten Miete - eingespart. Dagmar Kierner blickt ins Jahr 2004 zurück, als das erste Nahwärmeversorgungszentrum mit 260 angeschlossenen Wohnungen umgesetzt wurde.

Eine Wohnungsbaugenossenschaft hat in erster Linie die Aufgabe, ihren Mitgliedern familiengerechte Wohnungen zu angemessenen Preisen zu bauen und zu vermieten. Dass sie aber noch viel mehr sein kann, beweist das Werkvolk. "Wir sind eine große Familie", unterstreicht Kierner. Sebastian Schuster, Geschäftsführer der Wohnungsbau und Siedlungswerk Dienstleistungs-GmbH, pflichtet ihr bei. Auch er weiß, dass die Mieter die Gemeinschaft schätzen. Manche von ihnen sind seit knapp 70 Jahren Werkvolk-Mitglied. "Es wird sehr aufeinander aufgepasst", sagt Schuster und spricht von intakten Hausgemeinschaften, in denen sich die Leute gegenseitig helfen.

Probleme, Mieter - die als Mitglieder der Genossenschaft gleichzeitig Anteilseigner sind - zu finden, habe das Werkvolk nicht. Im Gegenteil: "Unsere Wohnungen sind sehr gefragt", sagt Kierner. Ältere Menschen, darunter auch einige, die für ihren Lebensabend wieder nach Amberg zurückkehren, schätzen die Seniorenbetreuung. Zum Mittagstisch des Seniorentreffs in der Crayerstraße kommen täglich um die 12 bis 15 Männer und Frauen, weiß Schuster. In der Crayerstraße befindet sich auch der dreigruppige Werkvolk-Kindergarten, die 1997 eröffnete Zwergerlschule. "Wir waren damals der erste Montessori-Kindergarten in der Oberpfalz", sagt Kierner stolz.

Pilotprojekt Smart-Home

Auf dem Erreichten will sich das Werkvolk nicht ausruhen. Wahrlich nicht. Dazu sind aktuelle Themen zu drängend. An Herausforderungen nennt Kierner unter anderem Mobilitätskonzepte für die Wohnanlagen, den infrastrukturellen Ausbau von Ladeeinrichtungen für E-Fahrzeuge und eigene Paketanlagen vor Ort für die Mieter. Auch Smart-Home ist ein großes Thema. "Da werten wir gerade ein Bestandsgebäude auf."

70 Jahre nach Gründung des Werkvolks hat Dagmar Kierner aber auch Forderungen an die Politik. So kämpft sie "für eine gerechtere Verteilung von Grundstücksflächen zum Bau von bezahlbarem Wohnraum durch die Genossenschaften". Auch müsse genossenschaftliches Bauen und Wohnen als dritte Säule neben dem Bauen von Bauträgern und kommunalen Unternehmen stärker anerkannt werden.

Aus dem Werkvolk-Fotoalbum: Ein einsamer Käfer parkt bei Wohnblöcken in der Kettelerstraße. Bild: exb
Aus dem Werkvolk-Fotoalbum: Ein einsamer Käfer parkt bei Wohnblöcken in der Kettelerstraße.
1950 in Lederhose auf der Baustelle: Architekt Hans Kierner. Bild: exb
1950 in Lederhose auf der Baustelle: Architekt Hans Kierner.
Dagmar Kierner, geschäftsführender Vorstand der Wohnungsbau und Siedlungswerk Werkvolk eG. Bild: Petra Hartl
Dagmar Kierner, geschäftsführender Vorstand der Wohnungsbau und Siedlungswerk Werkvolk eG.
Sebastian Schuster, Geschäftsführer der Wohnungsbau und Siedlungswerk Dienstleistungs-GmbH. Bild: Petra Hartl
Sebastian Schuster, Geschäftsführer der Wohnungsbau und Siedlungswerk Dienstleistungs-GmbH.
Info:

Meilensteine

Werkvolk in Zahlen:

In den vergangenen 70 Jahren hat die Wohnungsbau und Siedlungswerk Werkvolk eG insgesamt 2484 eigene Genossenschaftsmietwohnungen (1400 Wohneinheiten in Amberg, 1084 in Regensburg), 536 Eigenheime, 443 Eigentumswohnungen, 603 Garagen, einen Kindergarten und ein Haus der Begegnung mit Kindergarten und Seniorenzentrum, vier Büros sowie 2300 Garagen- und Stellplätze geschaffen.

Seit 1983 in Regensburg:

1983 expandierte die Wohnungsbau und Siedlungswerk Werkvolk eG nach Regensburg. Amberg war zum damaligen Zeitpunkt eine schrumpfende Stadt, der Bedarf an Wohnraum gedeckt. „Hier bestand keine Aussicht, uns zu vergrößern“, erinnert sich Dagmar Kierner, geschäftsführender Vorstand des Werkvolks. Um weiter wachsen zu können, standen Nürnberg oder Regensburg im Raum. Die Entscheidung fiel zugunsten der Oberpfälzer Bezirkshauptstadt: „Dort haben wir gleich ein Grundstück bekommen.“ In einem ersten Bauabschnitt wurden in Regensburg 75 Wohnungen geschaffen. Bis heute entstanden 1084 Genossenschaftswohnungen.

Mehrfach ausgezeichnet:

Dagmar Kierner freut sich über zahlreiche Auszeichnungen für die Genossenschaft. So bekam diese drei Bauherrenpreise auf Bundesebene für „hohe Qualität – tragbare Kosten“, 2008 den Genossenschaftspreis für Service und Qualität für Genossenschaftsmitglieder und den bayerischen Wohnungsbaupreis. Verliehen wurde dem Werkvolk außerdem der Klaus-Novy-Preis für Innovationen, der WEKA-Architekturpreis für elementares Bauen. Beim Genossenschaftspreis Wohnen 2010 gab es eine Anerkennung für das Konzept der gemeinschaftlichen Altersvorsorge und die zweifache Auszeichnung als besonders familienfreundliches Unternehmen.

Ein halbes Stadtviertel:

Innovativ und zukunftsorientiert seien das Werkvolk und ihr Vater Hans Kierner schon immer gewesen, freut sich Dagmar Kierner. Deshalb war die Genossenschaft mit Pilotprojekten – sogar auf Bundesebene – betraut worden. Zum Beispiel mit der Erprobung einer neuen DIN für barrierefreies Bauen. Sehr stolz ist man beim Werkvolk auf ein besonderes Pilotprojekt im Auftrag des Bundesbauministeriums in den 1960er-Jahren. Das war der Bau eines halben Stadtviertels in Amberg, dem laut Kierner heute noch vielfach in Architekturkreisen erwähnten Demonstrativbauvorhaben (D-Programm) in St. Sebastian.

Info:

Untrennbar verbunden

Mit einem Namen ist das Wohnungsbau und Siedlungswerk Werkvolk eG untrennbar verbunden: Hans Kierner. Der Architekt war 1950 zur Genossenschaft gekommen, drei Jahre später war er geschäftsführender Vorstand und blieb dies bis 2001. Seitdem steht seine Tochter Dagmar, die ab 1980 kaufmännischer Vorstand war, an der Spitze. 1993 war Dagmar Kierner in die erste Expertenkommission des Bundesbauministeriums zur Senkung der Baukosten berufen worden. Ihre fachliche Kompetenz war in zwei Fachausschüssen (Wohneigentum im Verband bayerische Wohnungsunternehmen und zur Entwicklung genossenschaftlicher Altersvorsorge) gefragt.

 
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