Ammerthal
16.06.2019 - 15:50 Uhr

"Die Menschen sind das Herz der Beziehung"

Shimon Susan ist Bürgermeister von Ammerthals israelischer Partnerstadt Modi’in. Im Interview spricht er über ungleiche Partnerschaften, Antisemitismus, und er erklärt, was Modi’in mit Barcelona verbindet.

"Das Bild steht symbolisch für unsere Beziehung: Seit 30 Jahren bauen wir Brücken zwischen unseren Gemeinden." Bürgermeisterin Alexandra Sitter überreicht ihrem Amtskollegen Shimon Susan aus Modi'in ein Gemälde mit Friedenstaube. Bild: Tobias Gräf
"Das Bild steht symbolisch für unsere Beziehung: Seit 30 Jahren bauen wir Brücken zwischen unseren Gemeinden." Bürgermeisterin Alexandra Sitter überreicht ihrem Amtskollegen Shimon Susan aus Modi'in ein Gemälde mit Friedenstaube.

Das israelische Modi'in hat 90 000 Einwohner und ist eine aufstrebende Boom-Region unmittelbar an der Grenze zum palästinensischen Westjordanland. Die Städte- und Jugendpartnerschaft mit Ammerthal besteht seit inzwischen 30 Jahren (wir berichteten). Anlässlich des runden Gründungsjubiläums ist Modi'ins Bürgermeister Shimon Susan in der Oberpfalz. Im gemeinsamen Gespräch mit seiner Ammerthaler Amtskollegin Alexandra Sitter berichtet der verheiratete Vater von drei erwachsenen Kindern von der Sicherheitslage an der "Grünen Linie", verdeutlicht seine Haltung zum Siedlungsbau und erklärt die Beziehung beider Gemeinden zu einer "Herzensangelegenheit".

ONETZ: Herr Susan, Ammerthal hat 2070 Einwohner, Modi’in über 90 000. Ist diese Partnerschaft nicht ungleich?

Shimon Susan: Also zunächst will ich sagen, dass Hevel-Modi’in nicht nur eine Stadt ist, sondern ein Regionalverband mit 42 Gemeinden. Die Lage im israelischen Zentralbezirk ist für uns perfekt. Wir liegen genau zwischen Tel Aviv und Jerusalem. In wenigen Minuten erreichen wir den Flughafen. Das zieht Firmen an und viele Einwohner. Wichtig ist aber: Beziehungen sind nicht gleich oder ungleich, es geht nicht um groß oder klein. Entscheidend sind die Beziehungen zwischen den Menschen, auch in Ammerthal und Modi’in.

ONETZ: Welche Bedeutung hat die Partnerschaft mit Ammerthal für Sie?

Shimon Susan: Die Partnerschaften zwischen Städten in Deutschland und Israel sind wichtig. Das liegt vor allem an unserer Geschichte. Deshalb ist diese Beziehung gut. Wichtiger aber als die Verbindung zwischen den Städten ist die zwischen den Menschen. Die Menschen sind das Herz der Beziehung. Unsere Partnerschaft besteht aus so viel, dem gegenseitigen Kennenlernen, dem Austausch von Kultur. Deswegen bin ich so glücklich, dass es zwischen Ammerthal und meiner Stadt nicht nur Delegationsbesuche gibt, sondern einen lebendigen Jugendaustausch. Das ist, was den Kontakt menschlich macht. Eine Beziehung zwischen Freunden.

Alexandra Sitter: Ich war bisher drei Mal in Israel, für mich ist das inzwischen wie heimkommen. Man hat jedes Mal unvergessliche Erlebnisse. Und dank sozialer Medien wird der Austausch extrem erleichtert. Rund ein Drittel meiner Whatsapp-Kontakte sind inzwischen Freunde aus Israel.

Weil er nur Hebräisch spricht, brachte der Bürgermeister von Modi'in, Shimon Susan, seinen Freund und Dolmetscher Natan Riegler mit (hinten, von links). Bürgermeisterin Alexandra Sitter und ihr Stellvertreter Hans Lang (vorne) kennen die israelischen Freunde seit nunmehr zehn Jahren. Bild: Tobias Gräf
Weil er nur Hebräisch spricht, brachte der Bürgermeister von Modi'in, Shimon Susan, seinen Freund und Dolmetscher Natan Riegler mit (hinten, von links). Bürgermeisterin Alexandra Sitter und ihr Stellvertreter Hans Lang (vorne) kennen die israelischen Freunde seit nunmehr zehn Jahren.

ONETZ: Sind denn die Jugendlichen in Modi’in am Austausch mit dem Landkreis Amberg-Sulzbach interessiert oder muss dafür geworben werden?

Shimon Susan: Nein, es gibt großes Interesse. Wir haben maximal 14 Plätze für den Austausch, aber bei jeder Fahrt rund 100 Anfragen. Wir müssen jedes Mal Leute ablehnen.

Alexandra Sitter: Was die Jungen bei einer Austauschfahrt zum Beispiel über Geschichte lernen können, ist einmalig. Es gibt keinerlei Ressentiments. Meiner Meinung nach ist das wertvoller als ein Monat Schule. Das gilt aber nicht nur für die Jugendlichen.

ONETZ: Der Siedlungsbau im Westjordanland wird von den UN als illegal eingestuft. Auch aus Deutschland gibt es Kritik. Beeinträchtigt der Streit den Jugendaustausch?

Shimon Susan: Ich kann Ihnen sagen, das hat absolut keinen Einfluss auf das Verhältnis zwischen den Jugendlichen. Es geht bei den Besuchen immer um Kultur, Religion, Freizeit und Geschichte. Bei den Jugendlichen steht die Tagespolitik nicht im Fokus. Natürlich ist unsere Beziehung stark geschichtsbasiert. Wir haben keine Angst, über Geschichte zu reden, und wir werden die Vergangenheit nicht vergessen. Aber jetzt schauen wir in die Zukunft.

ONETZ: Und der Siedlungsbau auf palästinensischem Gebiet – was ist Ihre Haltung dazu?

Shimon Susan: Meine Partei verteidigt den Siedlungsbau. Ich verstehe aber, dass dies kontrovers diskutiert wird. Wir brauchen einerseits dringend die Siedlungen, aber andererseits auch Lösungen, die für beide Seiten zufriedenstellend sind.

ONETZ: Hat die Lage direkt am Westjordanland Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Ihrer Stadt?

Shimon Susan: Modi’in liegt mitten in Israel, niemand fühlt sich bedroht. Noch nie haben wir einen Austausch deswegen abgesagt. Die Gruppen werden meist von Sicherheitspersonal begleitet. Ich sage ganz ehrlich: Es ist auch unsicher, hier im Haus zu sitzen und dieses Interview zu führen, weil die Decke einstürzen könnte.

Alexandra Sitter: Ich kann das nur bestätigen. Ich war bisher drei Mal in Israel, auch meine Mutter war schon dabei. Ich habe mich dort keine Sekunde bedroht gefühlt.

ONETZ: In den vergangenen Jahren hat der Antisemitismus in der Bundesrepublik zugenommen. Wird diese Entwicklung in Israel wahrgenommen?

Shimon Susan: Ja, wir nehmen das wahr. Und uns gefallen diese Tendenzen natürlich nicht. Für uns ist Antisemitismus immer eine wichtige Sache und ich kann nur hoffen, dass die deutsche Regierung aber auch die Bevölkerung dagegen aufsteht und etwas unternimmt. Leider ist dies nicht nur in Deutschland so. Auch in den USA hat die Judenfeindlichkeit zugenommen. Umso wichtiger ist es für uns, dass der Jugendaustausch fortgeführt und weiter gefördert wird – auch mit Ammerthal. Jugendliche, die einmal an einem Austausch teilgenommen haben, werden nie antisemitisch sein, davon bin ich überzeugt.

Alexandra Sitter: Es gibt auch keinerlei Unterschiede zwischen deutschen und israelischen Jugendlichen. Wer sie einmal gemeinsam sieht, erkennt das sofort. Sie haben dieselben Probleme, Vorlieben und Interessen. Mein Sohn ist 17 und war schon am Austausch beteiligt. In der Gastfamilie hatte er mit seinem Freund immer die identischen Themen: Sie schimpften gemeinsam über die Schule, schauten die gleichen Filme.

ONETZ: Frau Sitter, Herr Susan, wenn Sie auf die Partnerstadt blicken – was beneiden Sie?

Alexandra Sitter: Das kann ich Ihnen sagen: In Israel können die Kommunen die Gewerbesteuer zu 100 Prozent behalten, das hätte ich auch gerne (lacht).

Shimon Susan: Ich glaube, dass sich die beiden Gemeinden nicht miteinander vergleichen lassen. Wir haben viel Industrie und große Firmen. In wirtschaftlicher Hinsicht spielen wir wohl eher in der Liga von Barcelona (lacht). Aber ich sage nochmal: Uns geht es um Werte und Freundschaft, um Kontakte zwischen den Ländern. Wichtig sind die Familien und Menschen, nicht die Größe der Städte.

Wir sprechen nicht die selbe Sprache, aber er gehört wirklich zu meinen Herzensmenschen.

Alexandra Sitter über Shimon Susan, Bürgermeister der israelischen Stadt Modi'in.

Wir werden die Vergangenheit nicht vergessen, schauen jedoch in die Zukunft.

Shimon Susan über die deutsch-israelischen Beziehungen.

 
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