Brand (VG Neusorg)
26.02.2021 - 10:05 Uhr

Fuhrmannsreuther Kapelle überlebt zwei Todesurteile

Vor 30 Jahren wurde der Abriss der Feldkapelle in Fuhrmannsreuth beschlossen. Doch es kam die Rettung - und zwar bereits zum zweiten Mal.

Zwei Todesurteile hat die Feldkapelle am Steg nach Selingau überlebt. Bild: ld
Zwei Todesurteile hat die Feldkapelle am Steg nach Selingau überlebt.

Die Zeiten ändern sich und mit ihnen offenbar auch das Bewusstsein für den Wert historischer Bauten. Das Schlachthaus in Brand, der Erhalt und der geplante Umbau des Lindner-Anwesens und nicht zuletzt auch die Entscheidung, wenigstens noch brauchbare Teile des Gasthauses „Goldener Hirsch“ zu retten, sind dafür in Brand sichtbare und überzeugende Zeichen.

Vor 30 Jahren war das Bewusstsein dafür offenbar noch nicht so weit gediehen: Denn fast wäre die alte Feldkapelle in Fuhrmannsreuth ein Opfer dieses fehlenden Bewusstseins geworden und der Suche nach einem Bauplatz für die neue Kapelle zum Opfer gefallen. Ihr Todesurteil war bereits gesprochen.

Eigentümer hat kein Interesse

Zähes Ringen um den Fortbestand bestimmten zwei Sitzungen gemeindlicher Gremien im August 1991. Im Bauausschuss stand das Thema auf der Tagesordnung, doch die Debatte um die Kapelle bestimmten nicht nur die Mitglieder: Der Eigentümer des alten Kirchleins am Feldweg in die Selingau hatte dem bereits gegründeten Kapellenbauverein irgendwie wissen lassen, dass er kein Interesse mehr an der Kapelle habe. Gerne würde er sie abreißen. Somit kam der dann frei werdende Platz auch für die neue Kapelle in Frage.

Über einen Abriss aber hatte im Kapellenbauverein niemand gesprochen. Der damalige Bürgermeister Karl Söllner hatte mit dem Besitzer vorher schon intensiv verhandelt, weil der Gemeinderat der Streichung aus der Denkmalschutz-Liste zustimmen musste. Das Ergebnis war negativ: kein Umstimmen mehr möglich. Das Anliegen des Besitzers kam in den Bauausschuss. Dort wurde konträr diskutiert, auch geprägt von der hartnäckigen Weigerung des Besitzers, seinen Entschluss noch einmal zu überdenken. Irgendwie sah man deswegen keine mögliche Lösung mehr zur Rettung des Gebäudes. Aber die alte Kapelle wegreißen und eine neue bauen - das wär's einfach nicht, zumal noch weitere Alternativen für einen Standort der neuen Kapelle im Gespräch waren.

Das kleine Kirchlein in die neue einzubeziehen, schlug jemand vor. „Noch einmal verhandeln sollte der Bürgermeister", wurde angeregt. Der lehnte das nach den Erfahrungen der ersten Gespräche ab, das hätte keinen Sinn mehr. Und wieder die gleichen Argumente: Ein Bauwerk, das 200 Jahre alt ist, somit historischen Wert hat und für ein Symbol tiefer religiöser Überzeugung steht, konnte nicht einfach entfernt werden, zumal die Kapelle im Verlauf der Säkularisierung sehr gefährdet war und sie nur dadurch gerettet werden konnte, dass man sie vorübergehend als Backofen bezeichnete. Offenbar führte die Ausweglosigkeit, die sich aus dem kompromisslosen Verhalten des Besitzers ergeben hatte, zu einem überraschenden Ergebnis bei der Abstimmung: einstimmig für den Abriss.

Emotionale Debatte

Wenig später trug der Bürgermeister das Ergebnis des Bauausschusses im Gemeinderat vor, dort stand nun der Antrag auf Streichung der Kapelle aus der Denkmalschutz-Liste auf der Tagesordnung. Die Debatte wurde sehr emotional geführt und die Argumente wiederholten sich: Sie bezogen sich auf den historischen wie auf den religiösen Wert der Feldkapelle. Man müsse froh sein, ein solches Objekt zu haben, andere Kapellen in der Gegend seien doch auch nicht abgerissen worden. Nun stehe die Kapelle seit über 200 Jahren und es werde eine Zeit kommen, in der man sie schätze. Der Abriss wäre ein Armutszeugnis vor den Leuten, die sie gebaut haben.

Der Vorschlag, die Fuhrmannsreuther Bevölkerung einzubeziehen, wurde abgelehnt: Dem Kapellenbauverein gehe das nichts an. Der Äußerung, der Kapellenbauverein könnte den Abriss befürwortet haben, wurde entschieden entgegengetreten und festgestellt, dass dies zu keiner Zeit der Fall war. Als „müßig wie ein Kropf“ betrachtete ein Sprecher in der Sitzung nach dem eindeutigen Votum des Bauausschusses die ganze Debatte.

Fuhrmannsreuth bei Brand25.08.2020

Gerade als Bürgermeister Karl Söllner ums Handzeichen bat, setzte die Glocke der wenige Meter vom Rathaus entfernten Pfarrkirche zum Abendläuten ein und sorgte für eine Gebetspause. „Zufall oder höhere Fügung?“, lautete dazu die Frage im Pressebericht. Es war Zufall, denn die Abstimmung folgte mit 8:4 Stimmen für die Streichung aus der Denkmalschutz-Liste. Das Ende der Kapelle war damit besiegelt.

„Wir, die wir nun alles haben, würden es ganz einfach abreißen.“

Heimatpfleger Dr. Bernd Thieser

Doch sie steht noch heute. Sie hat auch das zweite Todesurteil überlebt. Doch drei Stimmen sind in solchen Fällen ausschlaggebend: Nicht nur die der Gemeinde, sondern auch die des Amts für Denkmalpflege und die des Heimatpflegers Dr. Bernd Thieser: Sie haben von dem Beschluss erfahren und sich von Anfang an vorgenommen, um den Erhalt des Kirchleins bis zum Letzten zu kämpfen. Sollte sie abgerissen werden, würde er sie an anderer Stelle wieder aufbauen, ließ er wissen.

In einer späteren Sitzung bat der Bürgermeister Thieser um seine Stellungnahme. Laut Pressebericht war ihm die Enttäuschung über die Beschlüsse anzumerken. Als eine der wenigen Kapellen habe die Feldkapelle von Fuhrmannsreuth die Säkularisierung überstanden, weil die Dorfgemeinschaft dahintergestanden habe. Für manche mag sie ein bloßer Steinhaufen sein, doch sei sie in einer Zeit entstanden, in der die Menschen nichts zu essen hatten. „Vielleicht haben sie ein Gelübde abgelegt und den Bau einer Kapelle versprochen“, vermutete er. So sei dieses Kirchlein nichts anderes als ein zu Stein gewordenes Gebet. „Wir, die wir nun alles haben, würden es ganz einfach abreißen“, wird Bernd Thieser zitiert.

Umwidmung zu Backofen

Nachdem der Heimatpfleger von dem Beschluss erfahren hatte, hat er sofort die Verantwortlichen darüber informiert, dass die Kapelle nicht abgerissen werden dürfe, und begann, in Archiven mehr über die Entstehung herauszufinden, was ihm schnell gelang: Nicht weniger als sieben Kapellen habe es in der Hofmark Ebnath gegeben. In einer Aufstellung von 1804 sei vermerkt, dass alle schon demoliert seien, darunter auch die von Hermannsreuth und die von Fuhrmannsreuth. So konnte die vom Chronisten Hanns Schellein aufgestellte These, dass die Kapelle in der Phase der Säkularisierung als Backofen deklariert wurde, zumindest erhärtet werden.

In einem Brief an das Amt für Denkmalpflege bat Dr. Thieser, den Abriss nicht zu genehmigen. Die Kapelle sei das einzige erhaltene Zeugnis älteren Datums im gesamten Ortsgebiet von Fuhrmannsreuth. Durch ihre Lage an dem alten Steg nach Selingau habe sich der typische Charakter der „Feldkapelle am Wege“ erhalten. Zudem liege ihr Baudatum wahrscheinlich vor 1800. Sie unterscheide sich in Form und Bauart deutlich von den anderen Kapellen in der Hofmark Ebnath, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erbaut worden sind. Somit sei sie einzigartig und es gebe keinen Grund für einen Abbruch.

Das Fazit lautete: Gut gelaufen! Der Platz der kleinen Kapelle wurde für die neue nicht gebraucht. Mit der Dorfmitte wurde der optimale Standort für die neue gefunden. Ein stolzes Gebäude mitten im Dorf, wo ihr Turm auf einen von weitem gut sichtbaren religiösen Mittelpunkt hinweist. Es sind Parkplätze vorhanden, und das große grüne Umfeld wirkt sich vorteilhaft aus. Auch das Glöcklein ist dreimal am Tag in allen Teilen des Ortes gut zu hören, wenn es am Morgen, am Mittag und am Abend die Gläubigen zum Gebet ruft. Der ehemalige Besitzer ist weggezogen und hat das Anwesen samt Kapelle verkauft. Der neue Besitzer will das wertvolle Stück Historie von Fuhrmannsreuth nach eigenen Aussagen auf lange Sicht wieder sanieren.

Stolz erhebt sich die neue Kapelle von Fuhrmannsreuth, optimal platziert, als religiöser Mittelpunkt des Dorfes. Wenn der Weiher Wasser hat, entsteht durch Spiegelung dort ein richtiges Ansichtskargten-Idyll. Bild: ld
Stolz erhebt sich die neue Kapelle von Fuhrmannsreuth, optimal platziert, als religiöser Mittelpunkt des Dorfes. Wenn der Weiher Wasser hat, entsteht durch Spiegelung dort ein richtiges Ansichtskargten-Idyll.
Info:

Hintergrund

  • Säkularisierung: Die Säkularisierung in Bayern - die Verweltlichung - vollzog sich über mehrere Jahrzehnte in mehreren Schritten: 1772 wurde eine große Zahl von Feiertagen verboten, 1782 das Wetterläuten, 1784 die geistlichen Schauspiele, 1788 Wallfahrten außer Landes. 1803 wurde schließlich der Abbruch sämtlicher Wegkreuze und Bildstöcke verordnet und eben auch der Feldkapellen.
  • Aus der Chronik: In der Chronik der Gemeinde Brand ist nachzulesen: "Wie die ,Urkunde der Entstehung des Kirchleins in Grünberg' - ausgefertigt 9.7.1863 - berichtet, hatte sich in der Zeit von 1801 bis 1805 gegen Feldkapellen und Kreuze ein eigener Sturm erhoben, und mußten auf höheren Befehl abgebrochen werden. Diesem Los entging die damals schon aus Stein erbaute Fuhrmannsreuther Kapelle dadurch, daß der Grundbesitzer Ponnath sie in einen Backofen umzuwandeln versprach. Die Glocke darin wird in sichere Verwahrung gekommen sein und als die Gefahr vorüber war, hat man sie mitten im Dorf auf einem Holzgerüst hinter dem Hummelhause aufgehängt und die Leute dieses Hauses haben sie geläutet."
 
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