Es war an einem Sommernachmittag des Jahres 1962 an einem Badeweiher in der damaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Der Sender Radio Luxemburg brachte seine Hitparade und präsentierte als Nummer eins einen Song, der "The Young Ones" hieß. Das Transistorradio wurde auf laut gestellt, immer mehr junge Leute ließen sich auf Decken nieder und hörten gebannt zu.
Von Produzenten entdeckt
Da sang einer, dessen Texte sie zwar nicht verstanden. Aber es war Musik, die ihr Gefühl traf: Frei zu sein, mitreden zu dürfen und ernstgenommen zu werden. Plötzlich stand der Bademeister auf den Matten und setzte dieser Episode ein Ende. Denn Lieder eines gewissen Cliff Richard mochte man im Staat des damaligen kommunistischen Machthabers Walter Ulbricht nicht dulden. Alle erhielten einen Rüffel. Auch der 15-jährige Junge aus dem Westen, der mit seiner Mutter zu Besuch ins damalige Karl-Marx-Stadt gekommen war.
Bilder und Erinnerungen gehen durch den Kopf. Sie sind mit Melodien von Cliff Richard verbunden, der am 14. Oktober 2020, 80 Jahre alt wird. Der als Harry Rodger Webb in Lucknow/Indien geborene Brite ging am 29. August 1958 nach seiner Entdeckung durch den Produzenten Norrie Paramor ins Studio und nahm "Move It" auf. Das geschah vier Wochen bevor der damalige Superstar Elvis Presley als Soldat deutschen Boden betrat.
Ab dann hatte Elvis mit Konkurrenz zu rechnen. Plötzlich war da jemand, der in die Charts drängte. Mit glasklarer Stimme und einer Band an seiner Seite, die sich The Shadows nannte. Die Gitarristen Hank Marvin und Bruce Welch standen an der Spitze dieser Combo. Der Sound ihrer Fender-Gitarren bildete den genialen Background zu dem, was Cliff Richard am Mikrofon von sich gab.
Hit reihte sich an Hit. "Living Doll", "Dynamite" und "Travellin' Light" drehten sich auf den Plattentellern. "It'll Be Me" und "Please Don't Tease" wurden zu Beststellern. Mit "Do You Wanna Dance" gab Cliff Richard eine Steilvorlage an die Beach Boys, die dieses Lied in ihr Repertoire nahmen. Elvis sang "I Gotta Know", als er aus Deutschland in die Staaten zurückkehrte. Richards Version war besser.
"Rote Lippen soll man küssen"
Als die Ära des ursprünglichen Rock'n'Roll zu Ende ging, machte Cliff Richard mit Schlagern weiter. "Lucky Lips" sang er und nahm dazu auch eine deutsche Version auf, die bis heute nicht aus dem Ohr gegangen ist und zu jedem Oldie-Tanzabend gehört: "Rote Lippen soll man küssen."
Obwohl sie von ihrer Person und ihrer Musik her grundsätzlich verschieden waren, hatte Cliff Richard eine Gemeinsamkeit mit Elvis: Sie standen am liebsten vor Publikum auf der Bühne. Ein Highlight der Rock- und Popgeschichte ist der Auftritt, den Richard zusammen mit seiner Band The Shadows anlässlich ihrer 50-jährigen Zusammenarbeit lieferten. Zu dieser Zeit hatte sich die Karriere des Sängers längst mit Songs wie "Dreamin'" und "Congratulations" international fortgesetzt.
Seit 1995 "Sir"
1995 erhob die englische Königin ihren weltweit bekannten Landsmann als ersten Popsänger in den Adelsstand. Sir Cliff, neben Elton John, den Beatles und den Rolling Stones zu den bekanntesten britischen Musikern zählend, hat bis heute über 250 Millionen Tonträger verkauft. 2018 veröffentlichte er mit "Rise Up" sein bisher letztes Album.
Nur in den USA konnte Richard nie richtig Fuß fassen. Mit "Devil Woman" gelangte der Brite im Jahr 1976 auf Platz sechs der Charts. Der bekennende Christ sorgte auch außerhalb von Studios und abseits von Bühnen für Schlagzeilen. Medien spekulierten über seine sexuelle Orientierung, der Missbrauch eines Jungen wurde ihm vorgeworfen. Später stellte die Polizei ihre Ermittlungen ein.
Groß angekündigt wurde europaweit seine Tour zum 80. Geburtstag durch britische Hallen. Sie ist unterdessen wegen Corona auf 2021 verschoben. Dann allerdings unter Verzicht auf The Shadows. Die alten Kumpels Hank Marvin (78) und Bruce Welch (78) wohnen längst auf den Bahamas und greifen nicht mehr in die Saiten. Mit "Apache" und "Wonderful Land" hatten sie damals auch ohne Sir Cliff ihre eigenen Hits. Das ist den Musikern um Elvis nie gelungen.
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