Am 1. Mai 2000 gründeten Bürger aus den Nachbarstädten Waldsassen und Cheb (Eger) den ersten deutsch-tschechischen Stammtisch. Durch persönliche Bekanntschaften sollten in einer schwierigen Zeit Vorurteile abgebaut und vertrauensvolle Begegnungen ermöglicht werden. Seitdem treffen sich jeden ersten Montag im Monat Tschechen, Bayern und Sachsen zu einem freundschaftlichen Gedankenaustausch. Der Stammtisch "Ahoj sousedé! - Hallo Nachbar!" kann nun auf sein 2o-jähriges Bestehen zurückblicken.
Enttäuschte Hoffnungen
Durch den Eisernen Vorhang waren Cheb und Waldsassen an den Rand der östlichen, beziehungsweise westlichen Welt geraten. Die tschechischen Bewohner der Nachbarstadt und die nur zehn Kilometer entfernten Deutschen kannten sich nicht. Nachdem man die Öffnung der Grenze im Jahre 1990 zunächst mit großer Euphorie begrüßt hatte, begann schon bald danach eine Eiszeit in den Beziehungen der Nachbarländer: Der meisten Deutschen fuhren nur zum Tanken oder zum günstigen Einkauf über die Grenze. Danach kamen sie aber gleich wieder zurück. Vor allem die Sprachprobleme verhinderten nähere Bekanntschaften. Die meisten Tschechen nutzten die Einkaufsmöglichkeiten im "Goldenen Westen" und einige fanden hier auch besser bezahlte Arbeitsplätze. Für weitere Aktivitäten war ihnen Deutschland viel zu teuer.
Während tagsüber die Kontakte gering waren, kam es stattdessen jede Nacht zu einer Invasion deutscher Männer in das Rotlichtmilieu von Cheb. Die deutsch-tschechische Nachbarschaft wurde deshalb - auf beiden Seiten - meist nur als problembeladen wahrgenommen. Enttäuscht wünschten sich viele Leute den Eisernen Vorhang zurück.
Positive Sicht auf neue Nachbarn
Dennoch entstanden in dieser Zeit auch vorurteilsfreie, vertrauensvolle menschliche Beziehungen und sogar Freundschaften zwischen Deutschen und Tschechen. Wer die Nachbarn jenseits der Grenze als sympathisch kennengelernt hatte, konnte nicht gleichgültig bleiben, wenn diese immer nur negativ beurteilt wurden.
Die Teilnehmer eines Volkshochschulkurses Tschechisch in Waldsassen fuhren nach Cheb, um dort die Schüler eines Deutschlehrgangs zu besuchen. Nach dem Gegenbesuch folgten weitere, sehr anregende Treffen. So entstand die Idee, regelmäßige Begegnungen, als Gesprächsforum für alle Bürger der beiden Nachbarstädte, zu organisieren.
Zum ersten Treffen am 1. Mai 2000 erschien in den Zeitungen "Der Neue Tag" und "Chebský Deník" eine Einladung an alle Leser, die Menschen jenseits der Grenze persönlich kennenzulernen. In beiden Ländern hielten viele Leute den Gedanken eines grenzüberschreitenden Treffens der Bürger für völlig absurd. Deshalb gab es anfangs auch Misstrauen und sogar offene Ablehnung. Dennoch kamen seitdem jeden ersten Montag im Monat etwa gleich viele Tschechen und Deutsche - bis zu 50 Personen - zu diesem Stammtisch in einem Egerer Gasthaus. Der Kreis der Besucher erweiterte sich nach kurzer Zeit von Amberg, Weiden, Hof, Leipzig, Chemnitz, As (Asch), Sokolov (Falkenau) bis nach Mariánské Lázně (Marienbad) und Teplá (Tepl). Von Anfang an gehörten auch Sudetendeutsche zu den Teilnehmern und bauten damit die damals noch weit verbreiteten Vorurteile ab.
Allmählich berichteten einige Zeitungen über den deutsch-tschechischen Stammtisch, ebenso der Bayerische und der Tschechische Rundfunk. In einem Kommentar der Süddeutschen Zeitung wurde er, anlässlich des ersten Staatsbesuchs eines bayerischen Ministerpräsidenten in der Tschechischen Republik (Horst Seehofer im Jahre 2010), als beispielhaft bezeichnet: "Die Bürger ... sind längst weiter als ihre politische Führung ... ", hieß es da.
Während viele Mitglieder des Stammtisches bei jedem Treffen dabei sind, kommen andere nur gelegentlich. Auch einmalige Besuche sind gern gesehen. Es gibt keinen Vereinsstatus, denn jeder ist zu diesen Abenden herzlich eingeladen. Eine bunte Mischung von Leuten jeden Alters und aus allen Schichten der Bevölkerung ist der Grund dafür, dass es beim Stammtisch bis heute immer interessant blieb. Über die Gespräche hinaus gibt es literarische und musikalische Abende, Vorträge, gemeinsame Ausflüge, Besichtigungen, Besuche von kulturellen Veranstaltungen, Einladungen zu Familienfesten und vieles mehr.
Außerhalb dieser Runde engagieren sich viele Mitglieder als Begleiter und Übersetzer, als Vermittler von Informationen und Kontakten, beratend, kulturell, caritativ, kirchlich, oder auch politisch. Der Preis "Brückenbauer 2011 - Stavitel Mostů 2011" durch das Centrum Bavaria Bohemia in Schönsee sowie der Preis des Kreisverbands Tirschenreuth der Europa-Union waren vielbeachtete Anerkennungen. Erfreulicherweise wurden seitdem entlang der Grenze weitere deutsch-tschechische Stammtische gegründet.
Neues Miteinander
Im Laufe der vergangenen 20 Jahre haben sich die Beziehungen der Nachbarn an der Grenze zum Guten gewandelt. Cheb ist nun als attraktive und historisch bedeutsame Stadt zum beliebten Ausflugsziel vieler Touristen geworden. Es gibt jetzt viele Organisationen wie die Feuerwehr und den Frauenbund, die hervorragend zusammenarbeiten. Auch sind politische Verbindungen unter den nahe gelegenen Gemeinden entstanden.
Die gute grenzüberschreitende Nachbarschaft erscheint bereits als selbstverständlich. Allerdings können die Sprachbarriere und kulturbedingte Unterschiede zu Missverständnissen führen, auch gibt es immer noch nationale Vorurteile. Das freundschaftliche Miteinander könnte deshalb sehr schnell gestört werden. Dann kommt es vor allem auf persönliches Vertrauen und auf menschliche Bindungen an, die durch deutsch-tschechische Bürgerinitiativen entstanden sind.
Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.
Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.