Eschenbach
16.11.2025 - 13:50 Uhr

Erich Kästners "Große Zeiten" in der Eschenbacher Stadtbibliothek

"So groß wie heute war die Zeit noch nie", schrieb Erich Kästner in einem seiner Gedichte. So lautete auch das Motto des Abends in Eschenbach, das ein Stück Zeitgeschichte und Aktualität gleichermaßen offenbarte.

Mit großer schauspielerischer Überzeugungskraft und Musikalität interpretierte Johannes Kirchberg im Versammlungsraum des Eschenbacher Kulturtempels Werke von Erich Kästner. Bild: do
Mit großer schauspielerischer Überzeugungskraft und Musikalität interpretierte Johannes Kirchberg im Versammlungsraum des Eschenbacher Kulturtempels Werke von Erich Kästner.

Im Musiksaal des restaurierten ehemaligen Vermessungsamtes erlebten die Besucher bei vollem Haus den derzeit besten Erich-Kästner-Interpreten. Auf Einladung der Stadtbibliothek, der Volkshochschule und des Bundesprogramms „Demokratie leben“ präsentierte der aus Leipzig stammende Johannes Kirchberg mit feinem Humor hintergründige Texte und Gedichte seines Lieblingsautors. Das Motto des Abends „So groß wie heute war die Zeit noch nie“ offenbarte ein Stück Zeitgeschichte und Aktualität gleichermaßen.

Noch immer sind Kästners Werke aktuell, wie sich an diesem Abend bei der kurzweiligen Bühnenperformance mit Kirchberg am Piano in Worten, Chansons und Texten herausstellte. Beiträge, die beim „2x47-Minuten-Programm“ unter die Haut gingen und bewegten. Schon in den 1930er Jahren beschrieb Kästner eine Gesellschaft, „in der die Dummheit zur Epidemie“ wurde, während warnende Stimmen verspottet und ignoriert wurden. Kirchberg verstand es, mit seinen Vertonungen, seinem Formulieren und seiner Mimik, ein Kästner-Portrait zu präsentieren, als sei es erst vorgestern gezeichnet worden.

In seinem Programm fanden sich viele scharfe Beobachtungen der Schriftstellers und auch der Alltagswortschatz wieder: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Für Kirchberg sei nicht nur an diesem Abend ein moralischer Kompass, etwa mit Kästners Worten: „Freunde, nur Mut, lächelt und sprecht: Die Menschen sind gut, bloß die Leute sind schlecht.“ Mit schauspielerischer Überzeugungskraft erinnerte der Leipziger in Wort und Ton aus Kästners Werken an die Atmosphäre politischer Radikalisierung, wachsender Propaganda mit billigen Optimismus-Parolen, an die Bücherverbrennungen im „Tausendjährigen Reich“ der Nationalsozialisten und an soziale Spannungen, während die Demokratie am Abgrund stand.

Fast 100 Jahre später lesen sich die zeitlosen Verse über Liebe, Alltag, Politik und Menschlichkeit wie Gegenwarts-Ereignisse einschließlich zunehmender Fake-News. Auf Kästners Spuren zu wandeln, veranlasste am Freitagabend das Publikum zum Nachdenken. „Wenn ich nicht mehr lachen kann, sehe ich mir gerne die Menschen an“, hieß es da. Und auch die Beobachtungen vom Kind am Affenhaus im Zoo, die Parabeln über Talente und Charakter, Geschichten aus Professor Burkes Geburtsinstitut, eine Ansprache zum Schulbeginn, das „Aus zwischen Ilse und Erich“ oder ein Hilferuf aus dem Jahr 1943 „Oh Herr befreit uns vor den Bomben und der eigenen Flak“ animierte zum kritischen Denken.

Vielleicht bewegte Kirchbergs Hommage an Kästner auch manchen Besucher dazu, im eigenen Bücherregal nach einem Werk des Autors zu greifen. Verbunden war der literarische Abend mit ein Einladung von Büchereileiterin Sonja Schecklmann und ihrem Team zu einem Gedankenaustausch bei Appetithäppchen und Erfrischungsgetränken.

 
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