Falkenberg
15.07.2021 - 10:56 Uhr

Antisemitismus-Beauftragter Spaenle: Judenhass ist nicht auszurotten

„Ich kämpfe seit 1960 gegen Judenhass", sagt Holocaust-Überlebender Alexander Fried aus Tirschenreuth, „aber wir kommen auf keinen grünen Zweig“. Ludwig Spaenle verspricht: „Was Sie uns ins Stammbuch schreiben, ist ein Auftrag.“

Starke Geste gegen Antisemitismus: Ludwig Spaenle kniet neben Alexander Fried, 96-jähriger Holocaust-Überlebender, und dessen Frau Dorothea Woiczechowski-Fried. Bild: jrh
Starke Geste gegen Antisemitismus: Ludwig Spaenle kniet neben Alexander Fried, 96-jähriger Holocaust-Überlebender, und dessen Frau Dorothea Woiczechowski-Fried.

Der Antisemitismus sei wie ein Virus nie ganz auszurotten, hat Ludwig Spaenle eingeräumt. Aber mit seinem Vortrag „Solidarität, Prävention und Repression – gemeinsam für jüdisches Leben!“, den er in der Burg Falkenberg hält, will der Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus auch Mut machen.

Insofern ist es schon ein kleiner Schock, wenn ein von Antisemitismus betroffener Zuhörer am Ende Zweifel anmeldet: „Schon seit 1960, als ich Kulturdezernent im Zentralrat der Juden in Düsseldorf war, wurde ich bei meiner ersten Rede von Antisemiten attackiert“, erzählt Alexander Fried. Dabei habe der 96-jährige Holocaust-Überlebende, der zusammen mit seiner Frau Dorothea Woiczechowski-Fried in Tirschenreuth lebt, sein ganzes Leben gegen Hass gepredigt. „Es war immer meine Mission, junge Menschen mit dem aufzurütteln, was ich in drei KZ erlebt habe.“ Der Kampf gegen Antisemitismus sei schon so alt: „Man spricht viel, hat viele Analysen, aber kommt doch nicht auf einen grünen Zweig.“

Gegen die Resignation

Gegen die Resignation bei diesem Thema kämpft das „Bayerische Bündnis für Toleranz – Demokratie und Menschenwürde schützen“. Eben weil jüdisches Leben in Bayern und in ganz Deutschland nach wie vor Anfeindungen ausgesetzt sei, müssten Staat und Zivilgesellschaft zusammen dagegen vorgehen, fordert Martin Becher, Leiter der Projektstelle gegen Rechtsextremismus im Evangelischen Bildungs- und Tagungszentrum Bad Alexandersbad. Und er lobt die Arbeit des Gastredners: „Sie versuchen, das Ganze positiv zu wenden, nämlich wofür es sich zu kämpfen lohnt: für jüdisches Leben.“

Spaenle schlägt einen großen historischen Bogen und kann so viele Aspekte nur streifen: „Judenhass ist so alt wie die Juden selbst.“ Die Nationalsozialisten hätten aus ideologischen Gründen Juden zum industriellen Massenmord freigegeben. „Ein einmaliges Menschheitsverbrechen“, womit sie sich sogar selbst geschadet hätten: „Die Züge in Richtung Vernichtungslager hatten Vorrang vor den Versorgungszügen für die Wehrmacht.“

Selbstbetrug deutscher Familien

Dass sein Amt auch heute noch bitter nötig sei, belege eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Der Hardcore-Judenhass nehme zwar ab, sei aber latent bei 20 bis 25 Prozent der Bundesbürger verankert. „Über die Hälfte der Deutschen nimmt an, dass die eigenen Verwandten im Widerstand, mindestens aber in der inneren Emigration waren“, wundert er sich über kollektiven Selbstbetrug. Zu denken geben müsse auch die Art und Weise, wie man nach den zwölf dunklen Jahren mit Fritz Bauer, dem Staatsanwalt jüdischer Herkunft in Frankfurt, umgesprungen sei: „Für mich einer der größten Deutschen, er hat die Auschwitz-Prozesse durchgefochten, und maßgeblich mitgewirkt, dass Eichmann entführt werden konnte.“ Man habe ihm so übel zugesetzt, dass er früh gestorben sei.

In der Nachkriegszeit habe man mehr jüdische Friedhöfe geschändet als während der Nazi-Herrschaft. Juden, die versucht hätten, ihr gestohlenes Eigentum zurückzubekommen, hätten sich schlimmsten Beschimpfungen ausgesetzt gesehen. „Judenhass hat zunächst mit Juden nichts zu tun“, versucht Spaenle einen psychologischen Erklärungsansatz. „Der Antisemit sucht für ein Problem, das er hat, einen Sündenbock zu finden.“ So habe der christliche Antijudaismus über Jahrtausende funktioniert. Der Magdeburger Journalist Wilhelm Marr habe Mitte des 19. Jahrhunderts mit einem pseudo-wissenschaftlichen Konzept den modernen Antisemitismus erfunden.

Juden in ihrer Freizügigkeit eingeschränkt

„Wir sehen, dass jüdische Menschen, wenn es hart auf hart geht, heute immer noch allein dastehen“, kritisiert Spaenle. „Sie sind in ihrer Freizügigkeit eingeschränkt, überlegen sich, ob sie den Davidstern oder eine Kippa tragen können.“ Sie seien auch einem antizionistischen, linken Judenhass ausgesetzt.

Israel werde dämonisiert wie kein anderes Land. „Die EU-Kennzeichnung für israelische Produkte aus dem Gaza-Streifen gibt es für kein anderes Land.“ Dazu komme ein muslimisch geprägter Antisemitismus. Vor allem aber sei das Internet ein Brandbeschleuniger: „Dort bringen Sie jeden Unsinn unter, bis zu dem Mist, dass das Judentum für einen angeblich verchipten Impfstoff verantwortlich ist.“

Wo bleibt das Positive?

Wo bleibt nun aber das Positive, das nicht nur die evangelische Theologin Stefanie Schön vermisst? „Ich habe lange in New York und Boston mit jüdischen Freunden gelebt“, erzählt die Tirschenreuther Pfarrerin. „Für sie war es immer wichtig vom bunten jüdischen Leben zu erzählen, nicht nur die antisemitischen Stereotypen zu wiederholen.“

Für Spaenle ist bereits die Tatsache, dass es nach dem Terror der Nazis heute wieder jüdisches Leben in Deutschland gibt, ein Wunder. „Dazu gehören auch die 200.000 aus der ehemaligen Sowjetunion emigrierten Juden, die jüdisches Leben in heutiger Form erst wieder ermöglichten.“ 50.000 von ihnen seien in Bayern heimisch geworden, 150.000 in ganz Deutschland. „Wir brauchen eine Kultur des Hinschauens, müssen gesellschaftliche Solidarität anstoßen“, fordert er. Über jüdische Zeugnisse zu sprechen, sei in der Oberpfalz besonders einfach: „Demnächst wird die Tora feierlich nach Sulzbach zurückgebracht“, freut er sich.

VideoOnetzPlus
Deutschland und die Welt13.05.2019
Hintergrund:

Jesuran: Kleiner Comic-Band zum Weitergeben

Am Rande des Vortrags stellte Sonja Schmid, Koordinatorin der Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Tirschenreuth, einen kleinen Comic-Band zum Weitergeben vor.

  • „Jesuran“ schildert den Lebensweg der jüdischen Familie Jesuran von Warschau über Galizien und Nürnberg nach Brüssel.
  • Schüler des Nürnberger Dürer-Gymnasiums recherchierten zwei Jahre die biographischen Stationen.
  • Ausgangspunkt war eine Begegnung Alain Jesurans vor dem ehemaligen Haus seiner Familie in Nürnberg mit Jean-François Drożák, dem Gründer des Nordkurve Kultur e.V. Aus dem Schulprojekt entstand zusammen mit dem Zeichner Alexander Mages der Comic.
  • Inzwischen wurde die Geschichte in 6 Sprachen und mehrere Dialekten übersetzt, um deutlich zu machen, dass jüdische Familien auch im Dialekt zu Hause waren.
  • Bis 2022 sollen 30 Sprachen und Dialekte, darunter der mittelfränkische und eine zweite Oberpfälzer Version folgen.
  • Für Esther Limburg-Klaus, Sprecherin der Jüdischen Kultusgemeinde Erlangen eine Perspektive, wie Erinnerungskultur künftig ausschauen könnte: „Wörter fliegen in den Himmel.“
 
Kommentare

Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.

Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.

Zum Fortsetzen bitte

Sie sind bereits eingeloggt.

Um diesen Artikel lesen zu können, benötigen Sie ein OnetzPlus- oder E-Paper-Abo.