Ob Sucht, psychische Belastungen oder Einsamkeit, viele Jugendliche und junge Erwachsene wissen nicht, wohin sie sich im Ernstfall wenden können. Aber auch mit Fragen über die eigene Identität und Sexualität fühlen sich manche alleine gelassen. Aus diesem Grund gibt es seit September das Pilotprojekt "Digital Streetwork Bayern". Es soll die Arbeit der Streetworker vom analogen in den digitalen Bereich bringen. Philipp Seitz, Vorsitzender des Bezirksjugendrings Oberpfalz, sagt bei der Vorstellung des Projekts auf Burg Falkenberg, man müsse die Kinder und Jugendlichen dort abholen, wo sie sind und das sei nun einmal im Internet.
Hierfür arbeitet das Medienzentrum T1 beziehungsweise der Landkreis Tirschenreuth eng mit Regensburg zusammen, um die gesamte Oberpfalz abzudecken. Für die Oberpfalz zuständig sind die Streetworker Katha Röhrl und Nando Petri. "Die Idee ist schon 15 oder 20 Jahre alt", sagt der Tirschenreuther Landrat Roland Grillmeier und erinnert an seinen Vorvorgänger, der mit diesem Bestreben seiner Zeit voraus gewesen sei. Dabei sei es seiner Meinung nach auch wichtig, dass die Streetworker die "Sprache der Jugend" sprechen und die Betroffenen erreichen.
Community im Blick
Dass in den Schulen medienpädagogisch wenig bis nichts passiere, darauf verweisen die 25-jährige Katha Röhrl und der 31-jährige Nando Petri. Deshalb sei es in ihrer Arbeit wichtig, den Bedarf zu erkennen und Aufklärungsarbeit zu leisten. Viele Schüler würden viel Zeit im Internet verbringen, allerdings gebe es dort Unmengen an unqualifizierten Ratschlägen. "Es hat sich das Gefühl bestätigt, dass so ein Angebot sein muss", sagt Petri über die Erfahrungen der ersten Monate.
Der 31-Jährige hat, ebenso wie seine Kollegin, Soziale Arbeit studiert und arbeitete vor dem Projekt in der Suchthilfe. Bereits dort hätte er gern mehr digital gemacht. Dazu haben die Streetworker jetzt die Möglichkeit. Sie beschäftigen sich unter anderem mit Themen wie Medien, Gender, Sucht, Stalking und Computerspiele, und schauen darauf, was der Community (Gemeinschaft) wichtig ist.
Philipp Reich, Leiter des Jugendmedienzentrums T1 in Tannenlohe, sagt dazu, dass er es sich schwierig vorstelle, Anfragen aus allen Themenspektren abzudecken. Auch deshalb sei die Weitervermittlung ein Kernteil ihrer Arbeit, erklären die Streetworker. Die Leute wüssten meistens nicht wohin. Die Streetworker beobachten, wie vor allem Einsamkeit und psychische Belastungen zunehmen. Hinzu käme der Krieg in der Ukraine.
Nachfrage ist groß
Das Geschlechterverhältnis sei bei den Kontakten ziemlich ausgeglichen und die Altersklassen umfassen ein Spektrum von 14 bis 27 Jahren. Wobei auch schon 12-Jährige mit Streetworkern gechattet haben. Die Gespräche sind kostenlos, auf Wunsch anonym, und reden können die Kinder und Jugendlichen mit den Streetworkern per Chat, Telefon oder bei Videospielen. "Wir können gleichzeitig Aufmerksamkeit für das Projekt erregen und gleich in die Hilfe gehen. Wir schlagen zwei Fliegen mit einer Klappe", sagt Katha Röhrl über die aktive Arbeit im Internet. Sie kommentieren, erstellen Beiträge und sind eine Anlaufstelle. Wenn sich im Ernstfall eine Weitervermittlung verzögert, halten die Streetworker den Kontakt.
Bereits jetzt ziehen die Beteiligten "sehr erfolgreiche Bilanzen", berichtet Seitz und die Nachfrage steige weiter. Bisher gab es in ganz Bayern 2.500 Erstkontakte, davon circa 1000 intensivere Gespräche. Außerdem ungefähr 250 Einzelfallhilfen und 27 Weitervermittlungen an Beratungseinrichtungen. Streetworker gibt es in allen sieben bayerischen Bezirken. Trotzdem sieht Bezirkstagspräsident Franz Löffler den Bedarf noch lange nicht gedeckt. "Sie sind unterwegs, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist", sagt er über die Streetworker und erinnert daran, dass Prävention ebenso wichtig ist wie Aufklärung.
Projekt: Digital Streetwork Bayern
- Für wen? Für alle jungen Menschen zwischen 14 und 27 Jahren
- Team: 14 digitale Streetworker in ganz Bayern
- Ansprechpartner für Themen rund um die Psyche, den Körper, Ängste und Sorgen
- Wie erreichbar?Die Streetworker sind unterwegs auf sämtlichen Plattformen, beispielsweise Instagram, Reddit, Discord und Twitter. Zudem sind sie über die Chat-Funktion auf der Webseite erreichbar: www.digital-streetwork-bayern.de. Dort stehen auch ihre Kontaktdaten.
- Streetworker besuchen auch Schulen
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