Wir hatten den gefiederten Freund im vergangenen Winter vermisst. Plötzlich kam der Vogel nicht mehr und es war schmerzlich, daran zu denken, dass etwas passiert sein könnte. Doch im Sommer spurtete Kamerad Amsel wieselflink durch den Garten und pickte, besonders nach dem Rasenmähen, Nahrung aus dem Boden.
Als vor ein paar Wochen der erste Frost kam, wurden ins aufgehängte Futterhaus die Sonnenblumenkerne gestreut. Wie auf Kommando flogen Meisen ein. Die Amsel nahm sich, was zu Boden fiel. Offenbar zu wenig für sie. Weshalb sie jetzt, ein paar Tage vor Weihnachten, die uns schon bekannte Offensive startete. Kleinlaut ist zu gestehen: Wir hatten wirklich irgendwie darauf gewartet.
Die Futtersuche gleicht einem Ritual. Die dunkel gefiederte Vogel prescht unter einem Rhododendron-Busch hervor und befindet mit strengem Blick, dass die Meisen unter dem Futterhaus eher wenig für sie übrig gelassen haben. Dabei weiß sie genau, wo der Spender zu suchen ist: Ein paar Meter weiter drunten im Keller des Hauses.
Aber ja doch, wir haben eigentlich darauf gewartet: Am geschmiedeten Gitter vor dem Fenster haut die hungrige Kreatur mit dem Schnabel gegen das Scheibenglas. Die Amsel führt eine Art Veitstanz auf, flattert aufgeregt und lässt manches aus ihrem Verdauungsgang auf das Fensterbrett fallen. Versehen mit der an ihren kleinen Knopfaugen abzulesenden Frage: "Was ist nun mit Futter? Mir knurrt der Magen."
Zu Befehl. Wir haben verstanden. Ein Becher mit Körnern wird auf den Rasen geschüttet. Der Freund aus dem Nest von nebenan beobachtet das aus seiner Deckung. Dann erfolgt der Amsel-Angriff mit Napoleon-Strategie auf die endlich verabreichte Labsal. Verbunden mit lauten Rufen. Sie sollen wohl zum Ausdruck sagen: "Muss man immer alles mehrfach sagen, bis du Mensch etwas begreifst?"
Entschuldigung. Wird bis Winterende nicht mehr vorkommen. Und die schmierigen Reste am Fensterbrett putzen wir zur Buße weg. Versprochen.
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