Großbüchlberg bei Mitterteich
19.07.2018 - 13:23 Uhr

„Medizin ist heute weiblich“

Die DGB-Podiumsdiskussion über Hausärztemangel stößt auf großes Interesse. Fast 120 Zuhörer drängen in den Saal. Das, was sie hören, erfreut dabei nicht jeden.

Die Diskutanten (von links) mit OTV-Moderator Thomas Bärthlein, DGB-Chef Klaus Schuster, Christian Dietl (DGB Oberpfalz), David Schmitt, Dr. Brunhilde Dick-Kollmannsperger, Dr. Maria Luise Vogel, MdL Annette Karl, MdL Tobias Reiß, Peter Hofmann (DGB-Regionssekretär) und Bürgermeister Roland Grillmeier. jr
Die Diskutanten (von links) mit OTV-Moderator Thomas Bärthlein, DGB-Chef Klaus Schuster, Christian Dietl (DGB Oberpfalz), David Schmitt, Dr. Brunhilde Dick-Kollmannsperger, Dr. Maria Luise Vogel, MdL Annette Karl, MdL Tobias Reiß, Peter Hofmann (DGB-Regionssekretär) und Bürgermeister Roland Grillmeier.

(jr) Auf ein Rieseninteresse traf am Mittwochabend die Podiumsdiskussion des DGB-Kreisverbandes in der „Petersklause“ zum Thema „Akuter Hausärztemangel“. DGB-Chef Klaus Schuster konnte dazu rund 120 Zuhörer im vollbesetzten Saal begrüßen. Sie erlebten zuweilen eine intensive Diskussion. MdL Annette Karl forderte, dass jede Hochschule in Bayern einen Lehrstuhl Allgemeinmedizin anbieten muss. Dr. Maria Luise Vogel (Kassenärztliche Vereinigung) wusste, dass die Medizin heute weiblich ist, da ein Großteil der Medizinstudierenden Frauen sind.

DGB-Kreisvorsitzender Schuster freute sich über einen voll besetzten Saal, schon dies zeige, wie sehr das Thema den Menschen auf den Nägeln brennt. Betroffen vom Ärztemangel seien auch die Apotheker vor Ort. Ausdrücklich bedauerte Schuster das mangelnde Interesse des Gesundheitsamtes Tirschenreuth, die ihr Fernbleiben damit begründeten, dass sie mit dem Thema wenig zu tun haben. Schuster weiter, „dabei ist es doch das Gesundheitsamt, die für die Menschen verantwortlich ist“. Gekommen waren dagegen viele Mitarbeiter und Pflegekräfte der Einrichtungen, eine Vielzahl von Ärzten.

Als Moderator führte Thomas Bärthlein in gekonnt charmanter Weise durch den Abend. Einen schlechten Start in den Abend hatte David Schmitt (DGB Bayern), der von einer verfehlten Strukturpolitik des Freistaates Bayern sprach und das diese Region abgehängt sei. „Wir haben in Bayern zwei Seiten der Medaille, florierende Regionen und abgehängte Regionen“. Auch Annette Karl (SPD) kritisierte die Strukturpolitik der vergangenen Jahre, räumte aber ein, dass in den vergangenen Jahren sich auch vieles zum Positiven verändert hat. „Unsere Staatsregierung versucht schon, einen Ausgleich zu schaffen, über den Erfolg lässt sich aber streiten. Wir müssen schon noch an einigen Stellschrauben drehen.“ Weiter machte sie deutlich, dass Ärzte Freiberufler sind, die sich niederlassen können, wo sie wollen. In die Diskussion brachte sie ein, dass ein Medizinstudium in Deutschland zwar das Teuerste, aber für Studenten kostenlos sei. Sie könnte sich durchaus vorstellen, dass die jungen Ärzte zwei oder drei Jahre dafür auf dem Land arbeiten und den Menschen damit etwas zurückgeben müssten.

MdL Tobias Reiß (CSU) kritisierte Schmitt hart, indem er ihm den typischen Blick eines Münchners vorwarf, gerade mit Blick auf diese Region. Reiß machte energisch klar, dass die Nordoberpfalz eine Aufsteigerregion ist mit toller Zukunftsperspektive. Bezüglich der Ansiedlung neuer Hausärzte verwies Reif auf verschiedene Maßnahmen, die greifen sollen. Dank der Unterstützung für Hausärzte kommen diese in den Genuss einer Niederlassungsförderung von bis zu 60 000 Euro vom Freistaat Bayern. „Es gibt schon finanzielle Anreize für die Ansiedlung neuer Hausärzte, natürlich gibt es noch viel zu tun“, sagte Reiß. Bisher haben in Bayern 422 Ärzte das Angebot in Anspruch genommen, darunter auch einige aus dem Landkreis Tirschenreuth. „Geld ist kein Thema, es ist da“, sagte Reiß.


Bürgermeister Roland Grillmeier (Mitterteich) sprach sich dafür aus, positiver über die heimatliche Region zu sprechen. „In Mitterteich hatten wir einst sechs Hausärzte, das war der Idealzustand.“ Weiter wusste der Bürgermeister, dass viele der jungen Ärzte keine Landarztpraxis mehr übernehmen wollen, weil die Bürokratie stetig zunimmt. Grillmeier will die Kliniken und die Universitäten mit ins Boot nehmen. Als weiteres Dilemma hatte Grillmeier die Tatsache ausgemacht, dass nur junge Leute mit der Note 1,0 Medizin studieren können. Freilich sah auch er Ansätze, dass dies jetzt nicht mehr so stringent gehandhabt wird.

Dr. Brunhilde Dick-Kollmannsperger (Waldsassen) berichtete, dass es in Waldsassen früher sechs Hausärzte gegeben habe, jetzt seien es noch vier. In ihrer Gemeinschaftspraxis mit Dr. Jürgen Mahner habe sie nahezu eine komplette Praxis an Patienten mit aufgenommen. „Manchmal ist es ein Chaos“, sagte die Ärztin, „wir behandeln täglich zwischen 80 und 120 Patienten“. Sie sah im Ärztemangel auch ein Problem des Gesundheitswesens, keine will mehr eine eigene Praxis aufmachen. Dennoch ist sie optimistisch, was die Zukunft angeht, nicht zuletzt hofft sie auf ihre Tochter, die ebenfalls Medizin studiert und eventuell dann nach Waldsassen kommt.

Dr. Maria Luise Vogel (Kassenärztliche Vereinigung) lobte den Landkreis Tirschenreuth für eine positive Entwicklung der vergangenen Jahre. „Ich bin ganz sicher, dass auch hier bald junge Ärzte kommen werden und damit die Probleme lösen werden“. Dr. Vogel wusste, dass die Medizin immer weiblicher wird, da sind dann auch die Ehepartner gefragt, sagte. Die Ängste der Hausärzte vor möglichen Arzneimittelregressen nannte sie unbegründet. AOK-Chef Klaus Lill lobte das Engagement der Ärzte vor Ort und sicherte die Unterstützung der Krankenkassen bei der Behandlung der Menschen zu. Annette Karl wusste, „ein Hausarzt muss ein Generalist sein“, auch deshalb forderte sie an jeder Hochschule ein Studienfach mit Allgemeinmedizin.Weiter bedauerte sie, dass sich viele jungen Ärzte scheuen, eine eigene Praxis aufzumachen. „Sie scheuen das unternehmerische Risiko“.

MdL Tobias Reiß bedauerte, dass es in Regensburg noch keinen Lehrstuhl für Allgemeinmedizin gibt. Dr. Peter Deinlein (Kemnath) erklärte, er habe in Erlangen studiert. Seiner Meinung nach interessiert die Uni in Regensburg überhaupt nicht, ob es bei uns Hausärzte gibt oder nicht. „Die Studenten müssen zur Ausbildung auch mal nach Neusorg kommen und nicht nur nach Neutraubling“. Ausdrücklich lobte er dagegen den Freistaat, der junge Ärzte bei der Gründung einer Praxis unterstützt. Bürgermeister Roland Grillmeier sah in Gemeinschaftspraxen durchaus eine Chance, wenn sie von Hausärzten geleitet werden. Eine Kommune alleine kann das niemals leisten. Grillmeier bietet jungen Menschen seine Hilfestellung an, wenn sie Allgemeinmedizin studieren und dann in die Region zurückkommen wollen.

Der Pechbrunner Mediziner Thomas Dehmel, eigentlich ein gebürtiger Oberbayer, sagte, er habe seinen Wechsel in die Oberpfalz nie bereut. Anschaulich erzählte er von den Schwierigkeiten, wie er nach Pechbrunn kam. „Dabei meinten die in Regensburg damals noch, wir brauchen sie nicht. Heute bin ich hier sehr zufrieden“. Dehmel monierte, dass viele Ärzte in ein Schema gepresst würden, wo es nur noch Pauschalen und Statistiken gebe und sonst nichts mehr. Gespräche mit dem Patienten seien überhaupt nicht mehr gefragt. Kritik übte er an der Abrechnung der Allgemeinärzte, die er als schwachsinnig bezeichnete. An die Politik gewandt sagte er, „die wissen doch gar nicht, um was es geht“. Fazit des Abends Die Sorge um Hausärzte treibt viele um, einige sehen durchaus eine Chance. Wie es in der Realität ist, wird sich zeigen.

Auf großes Interesse stieß der Diskussionsabend. Bis zu 120 Teilnehmer waren anwesend. jr
Auf großes Interesse stieß der Diskussionsabend. Bis zu 120 Teilnehmer waren anwesend.
Auf großes Interesse stieß der Diskussionsabend. Bis zu 120 Teilnehmer waren anwesend. jr
Auf großes Interesse stieß der Diskussionsabend. Bis zu 120 Teilnehmer waren anwesend.
Drei Ärzte unter sich, (von links) Thomas Dehmel (Pechbrunn), Dr. Jürgen Mahner (Mitterteich) und Dr. Helmut Brandl (Mitterteich) jr
Drei Ärzte unter sich, (von links) Thomas Dehmel (Pechbrunn), Dr. Jürgen Mahner (Mitterteich) und Dr. Helmut Brandl (Mitterteich)
Dr. Peter Deinlein (rechts) und Moderator Thomas Bärthlein im Gespräch jr
Dr. Peter Deinlein (rechts) und Moderator Thomas Bärthlein im Gespräch
 
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