Philipp Hausknecht ist seit Januar 2017 Regionalsprecher der Kreuzbund-Gruppen in der Region Weiden. Zu dieser zählen zwei in Weiden, eine in Tirschenreuth (seit 22. Februar 2014) und seit 12. Januar diesen Jahres auch eine in Kemnath. Jeden Montag um 19.30 Uhr treffen sich dort Betroffene und Angehörige im Familienzentrum Mittendrin zum Austausch.
Die Zusammensetzung ist meist verschieden. Neben Hausknecht finden sich Gabi Zachmann als Leiterin der Gruppe und Gabriele Lehner als deren Kassiererin regelmäßig ein. "Wenn alle da sind, sind wir derzeit neun Leute", schätzt der Regionalleiter. Er war es, von dem nach einem Gespräch mit Mittendrin-Leiterin Jessika Wöhrl-Neuber die Initiative zur Gründung in Kemnath ausgegangen war. Nach einer Infoveranstaltung über das geplante Vorhaben im März vergangenen Jahres folgte zehn Monate später der offizielle Start.
Gekannt haben sich Zachmann, Lehner und Hausknecht bereits von Treffen in Tirschenreuth. Nach dem Zachmann dorthin nicht mehr fahren konnte, kam der Kemnatherin das neue Angebot entgegen. Zusammengebracht hat das Trio damals Klaus-Georg Bär von der Caritas-Fachambulanz für Suchtprobleme Tirschenreuth, der montags und donnerstags in Kemnath Sprechzeiten anbietet.
Gruppe aussuchen
Er ist der Ansprechpartner für den Kreuzbund, informiert und vermittelt Betroffene oder Suchtgefährdete auch über und an andere Selbsthilfegruppen wie die Anonymen Alkoholiker (AA), die sich freitags im Mittendrin versammeln. Die Hilfesuchenden "sollen sich eine Gruppe aussuchen, sie entscheiden, wo sie sich wohlfühlen", erklärt der Diplom-Sozialpädagoge. Es gehe darum zu sehen, "dass man nicht allein mit seinem Problem ist, und zu erkennen, dass man es alleine nicht schafft".
Hausknecht betont, dass der Kreuzbund keine Konkurrenz zu den AA sein soll, sondern ein zusätzliches Angebot. Trotz des gemeinsamen Ziels sieht er aber auch Unterschiede. "Eine Person, die eine Entgiftung macht, wäre bei den AA besser aufgehoben", meint der Friedenfelser. Dort gehe es strenger zu. Und Bär ergänzt: "Die AA gehen in die Vergangenheit zurück, aber man kann nichts ändern, was vorbei ist." Der Kreuzbund sei auf das Jetzt und die Zukunft orientiert. Es werden Perspektiven gesucht. Die Teilnehmer sähen sich "als Weggefährten, die sich gegenseitig unterstützen".
Der Ablauf der Gesprächsrunden ist in etwa gleich. Am Anfang stehe das sogenannte "Blitzlicht". Hier könnten die Betroffenen erzählen, was ihnen seit dem vergangenen Treffen an positiven oder negativen Dingen widerfahren sei, berichtet Hausknecht. "Das kann ein Lob vom Chef sein, eine Rechnung, über die man sich geärgert hat, aber auch Privates." Anschließend sei es möglich, ein Gesprächsthema vorzuschlagen. Werde dies nicht genutzt, dann sei es Aufgabe des Gruppenleiters, eines einzuwerfen. "Es kann jedoch ein Angehöriger beispielsweise fragen, wie er sich in bestimmten Situationen verhalten soll." Hier könnten allerdings nur Ratschläge gegeben werden, betont der 51-Jährige.
Für Familienmitglieder oder Lebenspartner gibt es nun jedoch jeden zweiten Montag im Monat im Familienzentrum zeitgleich eine separate Gruppe. Dafür nennt Zachmann Gründe: Ihre Weggefährten "wollen sonst nicht so reden". Untereinander könnten sie ihre Erfahrungen besser austauschen. Auch hätten Angehörige meist andere Interessen, weiß die 59-Jährige. Bei ihnen gehe es um Scham und die Angst, "dass es der Betroffene nicht schafft, also eher negative Gefühle", führt Bär aus.
Sucht eine Krankheit
Was in der Gruppe gesprochen wird, bleibt in der Gruppe.
Trotz der lockeren Atmosphäre bei den Treffen "geht's stets um das Problem, weshalb man beim Kreuzbund ist", hebt er hervor. Es ist nicht so "wie bei einem Kaffeekränzchen oder am Stammtisch", versichert Zachmann. Im Mittelpunkt soll die Sucht stehen. Das muss nicht Alkoholismus sein, denn "in Kemnath sind eher Drogen wie Crystal das Thema", erzählt Hausknecht. Bär befürwortet, dass hier diese Abhängigen ebenfalls aufgenommen werden: "Das ist auch eine Krankheit." Daher ist es ebenso Wöhrl-Neuber wichtig, dass sich der Kreuzbund anderen Süchten annimmt.
So unterschiedlich wie die Vorgeschichten ist die Motivation, sich dem Kreuzbund anzuschließen. "Manche gehen gleich in eine Selbsthilfegruppe, bei anderen führt der Weg über die Beratung", erläutert der Leiter der Fachambulanz. Bei diesen sei der "Leidensdruck so groß, dass sie bereit sind für Veränderungen". Manche bräuchten mehrere Anläufe, viele verdrängten die Krankheit. "Sie denken, dass sie alleine damit zurecht kommen." Doch nur etwa drei Prozent schaffen den Absprung ohne Hilfe.
Seine Gruppen werden außerdem von Menschen aufgesucht, die den Führerschein verloren haben. "Die kommen solange, bis sie ihn wieder haben. Ganz selten, dass einer hängen bleibt", sagt Hausknecht. Bei Straffälligen mache oft das Gericht eine Therapie, den Besuch einer Selbsthilfegruppe oder eine Beratung für eine gewisse Zeit zur Auflage, fügt Bär an.
Prinzipiell steht die Kemnather Gruppe jedem offen. "Man kann anonym kommen. Der Vorname reicht", sagt Zachmann. Es bleibe jedem selbst überlassen, was er erzählen möchte. "Wer will, kann einfach nur zuhören", schickt Hausknecht hinterher. "Was in der Gruppe gesprochen wird, bleibt in der Gruppe", verweist Wöhrl-Neuber auf die Verschwiegenheitspflicht. Wer regelmäßig vorbeischaue, müsse zudem ein Datenschutzformular unterschreiben, erklärt Hausknecht.
„Ich habe wieder ein Selbstwertgefühl“
Drei Langzeittherapien hat Gabriele Lehner 2017 und 2018 wegen ihrer Alkoholsucht gemacht. Die letzte endete vor über einem Jahr mit einem Suizidversuch. Das sei für die Speinsharterin der letzte Auslöser gewesen. Die 57-Jährige spricht nicht nur in der Gruppe ganz offen über ihre Geschichte, zu der auch folgend zehn Wochen vollstationäre Aufnahme im Bezirksklinikum Wöllershof und danach die teilstationäre Behandlung („Mit jeder Woche einen Tag weniger.“) gehören. Sie besuche dort heute noch wöchentlich die ambulante Gruppe.
Sie habe ihr „Leben umgestellt. „Ich mache, was mir gut tut.“ Dazu gehörte auch, dass sie nach 30 Jahren ihren Arbeitsplatz gekündigt hat. Inzwischen habe sie viele „Weggefährten“ bei Seminaren kennengelernt, „da hatten wir abends viel Gaudi“. Sie sei froh, „dass es nicht geklappt hat“, blickt sie auf ihren Suizidversuch zurück. Sie bedauert lediglich, nach den anderen Therapien keine Selbsthilfegruppe gehabt zu haben. „Das hätte ich früher machen sollen, das hilft viel.“ So sehr, dass sie jetzt wieder selbst Auto fahre. „Ich habe wieder ein Selbstwertgefühl“, freut sie sich.
Bei Zachmann war ihr Arzt der Auslöser, der ihr Leben verändert hat. Wie bei ihrem im Vorjahr verstorbenen Mann habe er auch von ihr einmal ein Blutbild machen lassen. „Als er die Werte gesehen hat, war er geschockt“, erinnert sich die 57-Jährige. Zur Therapie, um vom Alkohol loszukommen, sei es auf eigenen Willen im „Haurucksystem“ gegangen. Zwei Tage nach dem Arztbesuch war schon der Beginn. Während der Therapie sei ihr kranker Mann gestorben. Dem gewinnt sie im Nachhinein Positives ab, denn so habe sich die Behandlungszeit verlängert. Ansonsten wäre „es nicht gutgegangen“, ist die Kemnatherin überzeugt.
In dieser Zeit „war ich in Sicherheit“ und nur am Wochenende wegen der Beerdigung draußen. Sie sei aber nicht nach Hause gegangen. Für einen Neuanfang habe sie ihr Heim während des Aufenthalts „komplett ausräumen lassen mit den Sachen meines Mannes. Das hätte ich alleine nicht geschafft“. Wie Lehner hat sich Zachmann in Wöllershof gut aufgehoben gefühlt. Sie sei dort wie in eine Familie aufgenommen worden.
„Den Kreuzbund schaue ich mir mal an“, habe sie zu Klaus-Georg Bär auf dessen Vorschlag hin gemeint. Und nach dem ersten Besuch der Gruppe stand für sie fest: „Ok, ich komme wieder.“ Eine gewisse Mitschuld daran trägt auch Hausknecht. „Wir haben uns von Anfang an gut verstanden und oft miteinander telefoniert.“ Vielleicht verbinde sie beide auch die Tatsache, dass sie keine Familie haben.
Hausknecht entschloss sich 2013 selbst, bei der Suchtambulanz der Caritas Hilfe zu suchen. Diese organisierte zunächst die Entgiftung in Bad Kötzting und danach eine 16-wöchige Langzeittherapie in Furth im Wald. Nach einem ersten Treffen Ende Dezember 2013 gründete sich zwei Monate später in Tirschenreuth eine Kreuzbund-Gruppe. Ihr gehörte der Friedenfelser drei Jahre als Kassier und eineinhalb Jahre als stellvertretender Leiter an. Als solcher habe er Einblick in die Arbeit eines Regionalleiters erhalten, zu dem er sich Anfang 2017 hat wählen lassen. 2020 wolle er wieder kandidieren. Bärs Stimme hätte er: „Ich finde sein Engagement ganz toll, er ist ein fähiger Regionalleiter.“
Unternehmungen
Die Aktivitäten des Kreuzbundes in der Region beschränken sich nicht nur auf regelmäßige Treffen. So hat Regionalleiter Philipp Hausknecht bereits eine Führung durch die Klinik in Furth im Wald organisiert, wo er während seiner Langzeittherapie war. Damals sei er vor allem von den Fragen der mitgereisten Angehörigen überrascht gewesen. „Sie hatten sich sehr gut vorbereitet.“ Dafür hat Mittendrin-Leiterin Jessika Wöhrl-Neuber eine Erklärung: „Man liebt den Menschen, will ihm helfen und ihn so wieder haben, wie er war.“ Ebenso stehen Wanderungen, unter anderem ins Waldnaabtal, auf dem Programm. Heuer soll es zudem in den Zoo nach Leipzig gehen. Auch plant Hausknecht für Oktober ein Regionalfest in Friedenfels. „Wir machen auch freizeitmäßig was“, in anderen Gruppen sei dies nicht so, weiß er. Neben den Unternehmungen schätzt Gabriele Lehner die angebotenen Seminare. „Die sind toll“, da diese wie Fahrten mit Angehörigen ein lockerer Rahmen für den Erfahrungsaustausch seien.
Hilfsangebote
In Kemnath trifft sich der Kreuzbund montags um 19.30 Uhr im Familienzentrum Mittendrin, Rathausplatz 1. Jeden zweiten Montag werden dort Infoabende für Angehörige angeboten. Die Tirschenreuther Gruppe kommt dienstags um 19.30 Uhr im katholischen Stadtpfarramt, Hospitalstraße 1, zusammen. In Weiden sind die Termine bei der Caritas Weiden, Nikolaistraße 6: für die eine Gruppe donnerstags (gerade Wochen) um 20 Uhr und für die zweite mittwochs (ungerade Wochen) um 19.30 Uhr. Sprechstunden bietet die Fachambulanz für Suchtprobleme in Kemnath, Erbendorfer Straße, montags von 8 bis 12.30 Uhr sowie donnerstags von 8 bis 12 Uhr und von 13 bis 17 Uhr (Abendtermine möglich) an.
Angemerkt
Sucht ist eine Krankheit, sagt Klaus-Georg Bär von der Fachambulanz für Suchtprobleme Tirschenreuth. Doch gegen diese helfen keine Pillen, OP und dergleichen. Um sie zu überwinden, braucht es den Willen des „Patienten“, aber ebenso Geduld, Verständnis und auch Durchhaltevermögen des Umfeldes. Wer außer der Familie und/oder guten Freunden könnte dies bieten, wenn nicht Leidensgenossen oder wie sie sich beim Kreuzbund nennen: Weggefährten.
Das Sprichwort „Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung“ trifft auch auf einen an einer Sucht Erkrankten zu. Doch im Gegensatz zu einer „normalen“ Krankheit benötigt er den Mut, sich sein Problem selbst einzugestehen und andere um Hilfe zu bitten. Wer dann von sich aus bereit ist, sein Leben zu ändern, gehört nicht stigmatisiert, sondern verdient Respekt.
Hubert Lukas