Prof. Dr. Klaus Wolf, Experte für mittelalterliche und frühneuzeitliche Passionsspiele von der Universität Augsburg, hat in Kemnath zur Bedeutung und Einzigartigkeit von Passionsspielen referiert. Laut einer Mitteilung der Stadt hat er die Zuhörer dazu eingeladen, diese aus neuen Blickwinkeln zu betrachten. Wolf hat intensiv unter anderem über die Oberammergauer Passionsspiele geforscht und war selbst an der Inszenierung des Augsburger und des Füssener Osterspiels beteiligt. "Die Vielfalt der Passionsspiele begeistert mich immer wieder. Es scheint, als ginge es immer um denselben Plot, doch schon die Evangelien erzählen die Geschichte ganz unterschiedlich – und die Passionsspiele interpretieren sie noch einmal auf ihre Weise", wird Wolf zitiert. Besonders gespannt zeigte sich Wolf auf die Kemnather Passion, die er bisher noch nicht gesehen habe, aber unbedingt besuchen wolle.
"Die meisten Passionsspiele enden mit der Auferstehung", wusste Wolf. Dass die Kemnather Passionsspiele mit dem Tod am Kreuz enden, sei ungewöhnlich. Diese dramaturgische Entscheidung unterstreiche die zentrale Botschaft der Passion: "Gott ist Mensch geworden, hat sich mit den Menschen und ihrem Leid solidarisiert. Das zeigt sich eindrücklich in der Kreuzigung." Ursprünglich seien Passionsspiele Teil des liturgischen Jahreskreises gewesen. Sie spielten immer im Hier und Jetzt, sprachen die Menschen unmittelbar an – und tun das auch heute noch." So seien beispielsweise im Mittelalter die Darsteller in Alltagskleidung aufgetreten. Auch Anspielungen auf lebende Personen, sogar namentlich, seien gang und gäbe gewesen. Passionsspiele hätten dadurch auch politische Botschaften der jeweiligen Zeit vermittelt. Dies habe zum Teil in offenem Antisemitismus gegipfelt, wenn Figuren zum Beispiel Namen jüdischer Bürger trugen. Auch die römische Hinrichtungsart der Kreuzigung sei – faktisch falsch – den Juden angelastet worden. Verurteilt und getötet wurde Jesus nicht von den Juden, sondern von den Römern – das dürfe man nicht vergessen.
Aus wissenschaftlicher Sicht fasziniere es Wolf, wie jede Epoche die Passionsgeschichte neu interpretiert: "Es geht nicht nur um die Passion an sich, sondern um die Passion für mich. Jede Zeit übersetzt die Passionsspiele in ihre Zeitläufe hinein." Auch das Gemeinschaftserlebnis sei entscheidend, warum die Passionsspiele bis in die heutige Zeit ihre Bedeutung nicht verloren haben. "Die Proben und Aufführungen schweißen die Spieltruppe und die ganze Stadt zusammen. Das ist ein Stück von Kemnath und gehört zur DNA dieser Stadt", sagte er laut Mitteilung. Musikalisch gestaltet wurde der Vortrag vom Duo DanzMelange.
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