Kemnath
25.09.2018 - 14:35 Uhr

Auf den Spuren der Indianer

Der 29-jährige Kemnather Jan André Tabilo Salas möchte eigentlich nur einen Sprach-Urlaub in Kolumbien machen. Doch schon in der zweiten Urlaubswoche kommt alles anders. Er begibt sich auf die Fährte der „besten Naturschützer“.

Der Stausee von El Peñol. Hier steht vor 40 Jahren ein Dorf. Die Einwohner werden damals vertrieben und rutschen in die Armut – wertvoller Boden wird überflutet. Bild: exb
Der Stausee von El Peñol. Hier steht vor 40 Jahren ein Dorf. Die Einwohner werden damals vertrieben und rutschen in die Armut – wertvoller Boden wird überflutet.

Von Susanne Forster

Um den Menschen in Kolumbien zu einem besseren Leben zu verhelfen, hat Jan André Tabilo Salas ein Projekt gestartet. Er hat spanische Wurzeln, denn sein Vater stammt aus Chile. Zweisprachig aufgewachsen ist der Kemnather jedoch nicht. Das wollte er im Alter von 27 Jahren nachholen. Schon seit Kindesalter hegte er den Wunsch, nach Kolumbien zu reisen. Fast zwei Jahre ist es nun her, als er von seinen Eltern und seiner Schwester das Ticket dafür geschenkt bekam, um dort für drei Monate Urlaub zu machen.

Eigentlich sollte es eine Sprachreise werden, Antioquia war das Ziel. Doch in der zweiten Urlaubswoche änderte sich alles – der Kemnather konnte seinen Aufenthalt nicht mehr richtig genießen. Er merkte schnell, dass die Einwohner im Gebiet von El Peñol und dem Ort Guatapé gezeichnet waren von der politischen Vergangenheit. In El Peñol wurde Ende der 1970er Jahre ein Stausee angelegt und der Ort deshalb überflutet. Die Einwohner wurden umgesiedelt und rutschten in die Armut. Wasser bedeckte Boden, der sich hervorragend für den Anbau von Obst und Gemüse eignen würde. Auch Konflikte zwischen Militär und Regierung forderten viele Opfer. „Die Menschen erholen sich noch davon, haben keine Zeit für Landwirtschaft“, beschreibt Jan André seine Beobachtungen. „Die Leute unten haben keine Zeit und kein Recht, das Land zu genießen“, fügt er hinzu. Und das, obwohl nun wieder „Frieden und mehr Ruhe“ herrsche.

Bio auf dem Vormarsch

Während seines Urlaubs lernte er eine Familie mit Bio-Betrieb kennen. Die drei Kinder, davon eines geistig und körperlich beeinträchtigt, und die Mutter hatten es nicht leicht, denn sie mussten ohne den Vater den Betrieb führen. Jan André wollte sie unterstützen. Er schickte regelmäßig Geldspenden, als er von seiner dreimonatigen Reise wieder zurück in Deutschland war. Finanziert hat er diese durch große Teile seines Lohns aus dem elterlichen Bio-Markt. Im Frühjahr 2018 brach er erneut zu einer sechsmonatigen Reise nach Kolumbien auf. Er wollte sich selbst ein Bild über den Verbleib der Spenden machen. Enttäuscht musste er feststellen, dass diese für andere Zwecke missbraucht wurden. Die Gemeinde vermittelte sie nicht direkt an die Familie, sondern verwendete sie für den Bau von Kirchen. Der hilfsbereite Kemnather musste sich eingestehen, dass Geldspenden in Eigenregie nicht den gewünschten Zweck erfüllen. Doch der gelernte Einzelhandelskaufmann gab nicht auf: Er wollte vor Ort aktiv werden und das Geld selbst verwalten und lenken – ein System entwickeln, durch das die Bauern in der Lage sind, sich selbst helfen zu können. „Die Wirtschaft hat großen Einfluss auf die Politik“ erklärt der 29-Jährige. Deshalb möchte er Arbeitsplätze schaffen, die Menschen vor Ort sollen der Armut aus eigener Kraft entkommen, indem sie selbst Geld verdienen. Er vermittelte den Einheimischen, dass die „Natur das größte Geschenk“ ist. „Die Menschen sind sehr gläubig“ erklärt er. „Die Natur zu schützen ist besser für die Gesundheit und den Glauben“ – so wie es auch schon die Indianer der Region wussten, die seiner Meinung nach die „besten Naturschützer“ sind. Mit der Natur in Einklang zu arbeiten, daran knüpft sein Konzept, das für ihn eine Herzensangelegenheit ist, an: Die Bio-Branche in Kolumbien weiter ausbauen. Da er dank des elterlichen Betriebs im Bio-Segment fest verwurzelt ist und viel Erfahrung mitbringt, hatte der Kemnather einen Plan: „Ich wollte den Bauern unten helfen, auf Bio umzusteigen.“ Rasch erkannte er auch das Potenzial des kolumbianischen Bodens. „Der Erdboden hatte vier verschiedene Farben – Schwarz, Rot, Beige, Braun. Das heißt, er hat ganz viele Mineralien.“ In einem Bach fand er viele Silber- und Goldpartikel. Beste Voraussetzungen also, um nährstoffreiches Obst und Gemüse in Bioqualität anzubauen.

Sein Entschluss, den er in seiner zweiten Urlaubswoche fasste, entwickelte sich zum Projekt, das nun den Lebensmittelpunkt des Kemnathers darstellt. Und es gibt einiges zu tun für den 29-Jährigen: Er möchte in Kolumbien – in Zusammenarbeit mit den Bauern – Modellbeispiele zur Bio-Landwirtschaft aufbauen. „Die Leute entwickeln ein Bewusstsein für Umwelt und Ernährung“ betont Jan André. Gerade deshalb möchte er die Gelegenheit nutzen, die Produkte, die angebaut werden, regional und saisonal vermarkten und an Hotels und Restaurants der Umgebung verkaufen. Zugleich möchte er bei den Einheimischen ein saisonales Bewusstsein schaffen. Die Arbeiter sollen fair behandelt und die Produkte fair hergestellt werden. Er will helfen, die Unabhängigkeit der Regionen wieder herzustellen, da auch Land enteignet wurde. Die Einheimischen sollen sich emanzipieren von ausländischen Investoren, deren Monokulturen für Reis, Mais, Bananen und Avocados und den Großkonzernen.

Die Bauern der Region haben meist kleine Höfe. Auf diesen sollen gemäß Perma-Kultur – einem Kreislauf, bei dem sich die Natur selbst regeneriert, Obst und Gemüse in Bioqualität angebaut werden. Ein nachhaltiges Konzept, das Jan André sich auf die Fahne geschrieben hat. Die Produktpalette reicht dabei von Kartoffeln, Blumenkohl, Gurken, Lauch, Rote Bete, Weißkohl und kolumbianischen Knoblauch bis hin zu Papayas, Mangos, Ananas und Melonen. Um das Bewusstsein für den saisonalen Bio-Anbau und Umweltschutz vor Ort zu stärken und noch mehr Einheimische für sein Projekt zu begeistern, möchte Jan André Vorträge halten. Bereits bei seinem letzten Besuch referierte er über Ernährung und Perma-Kultur. „Ich möchte meine Erfahrung weitergeben. Es sollen nicht die gleichen Fehler wie in Deutschland gemacht werden.“ Damit meint der Kemnather die Entwicklung der Bio-Branche, die laut ihm „in Deutschland kaputt gemacht worden ist“.

Gerade ist er wieder in der Oberpfalz und arbeitet im Bio-Markt der Eltern, den er auch während seiner Reisen per Internet betreut hat, um Geld für sein Projekt zu verdienen. Auch die Projektarbeit steht nicht still. Von März bis August war der Kemnather in Kolumbien aktiv. Vor allem der Anfang gestaltete sich schwierig. Zwar hatte er keine Probleme mit der Verständigung, denn schon während seines ersten Aufenthalts hat er sehr gut Spanisch gelernt. Mittlerweile spricht er die Sprache fast perfekt, er hat sogar einen kolumbianischen Akzent angenommen. Das löste bei den Einheimischen schon manch Verwunderung aus. Probleme bereitete ihm die Wohnungssuche. Gemeinsam mit seiner kolumbianischen Partnerin, die er vor Ort kennengelernt hat, musste er anfangs alle drei Tage umziehen, lebte nur in Airbnb-Wohnungen. Er kämpfte darum, ein Arbeitsvisum für Kolumbien zu bekommen. Seine Freundin half ihm, Papiere auszufüllen. Sie unterstützt ihn bei seinem Projekt. „Es hat so sein müssen“, beschreibt er die Beziehung. Die Kolumbianerin hat soziale Arbeit studiert, fand danach aber schwer einen Arbeitsplatz. Nun greift sie Jan André unter die Arme, vor allem in bürokratischen Belangen. Schließlich konnte er auch eine Wohnung finden, die er gemeinsam mit seiner Freundin bezog.

Die nächste Reise

Seine nächste Reise tritt der Kemnather im März nächsten Jahres an. In der Zwischenzeit kümmert er sich in Deutschland um sein Arbeitsvisum und bringt sein Projekt zu Papier. Es gibt noch viel vorzubereiten, denn bei seinem nächsten Aufenthalt möchte er offiziell eine Firma in Kolumbien anmelden. Momentan ist er auf der Suche nach Spenden. Er möchte Kontakte knüpfen und weitere Unterstützer aus Deutschland für sein Projekt gewinnen. Geplant ist außerdem ein Lernort für kolumbianische Studenten in seinem Elternhaus in Kemnath. Hier sollen sie die deutsche Sprache lernen und mehr über die Kultur in Deutschland erfahren. Auch einen Studentenaustausch soll es geben: Dabei sollen deutsche Ingenieur-Studenten nach Kolumbien reisen, um eine technische Infrastruktur zu schaffen. Es sollen eine Anlage zum Plastik-Recycling sowie eine Kläranlage gebaut werden – denn beides gibt es in Kolumbien bisher nicht. Im Zuge eines „Kulturaustauschs“ sollen Interessierte als „Volunteers“ nach Kolumbien reisen und die Menschen unterstützen. Auch an seinen Vortrag möchte Jan André anknüpfen. Weitere Vorträge und Schulungen sollen folgen – auch zum Thema Selbstverteidigung. In Schulen möchte er Kurse geben, denn er hat vor drei Jahren eine Ausbildung als Kampfkunstlehrer absolviert. Vor allem Mädchen möchte er Selbstverteidigung beibringen. Auch Kunstunterricht steht auf der Agenda. Als er einen einheimischen Künstler kennenlernte, der Caps, T-Shirts und Kosmetiktaschen mit selbst entworfenen Motiven verkauft, machte er einen Deal: Der Kemnather bot ihm an, seine Produkte in Europa zu vertreiben – im Gegenzug soll er den Kindern das Malen beibringen. Ihm ist es wichtig, dass er durch sein Projekt das „Miteinander stärken“ und die „Menschen aus der Armut ziehen“ kann.

Sobald in Kolumbien die Firma angemeldet ist und alles läuft, sollen auch Waren als Fair-Trade-Produkte nach Deutschland importiert und verkauft werden, zum Beispiel durch die Steinwald-Allianz und im elterlichen Bio-Markt. Kaffee, Kleidung, Schmuck oder von einem Indianerstamm hergestellte Sandalen möchte der Kemnather in Deutschland anbieten. Die Erlöse sollen den Kolumbianern zugute kommen. „Kolumbien soll mein Arbeits- und Lebensmittelpunkt werden“, erklärt er. Er habe schon „gute Kontakte mit den Einheimischen geknüpft“ und ist fasziniert von der Kultur. „Die Kolumbianer haben ein großes Herz“, so der 29-Jährige. Er hofft, dass durch den Kulturaustausch auch ein Hauch kolumbianische Herzlichkeit nach Deutschland überschwappt oder sich der ein oder andere seinem Projekt anschließen möchte. Denn eines hat er in Kolumbien gelernt: „Es ist wichtig, nach vorne zu schauen und sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren – einfach zufrieden zu sein“.

Jan André hält einen Vortrag vor den Einheimischen. Bild: exb
Jan André hält einen Vortrag vor den Einheimischen.
Das Motiv für das Cap und das T-Shirt entwirft ein Kolumbianer. Vielleicht gibt es solche Stücke auch bald bei uns zu kaufen. Bild: psfo
Das Motiv für das Cap und das T-Shirt entwirft ein Kolumbianer. Vielleicht gibt es solche Stücke auch bald bei uns zu kaufen.
Jan André Tabilo Salas. Bild: psfo
Jan André Tabilo Salas.
Info:

Der 29-Jährige ist gelernter Einzelhandelskaufmann und wohnt in Kemnath. Er hat eine Ausbildung als Speditionskaufmann in München absolviert, diese aber zugunsten seiner Familie abgebrochen, um in die Heimat zurückzukehren. Im elterlichen Biomarkt startete er eine neue Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann, um seine Familie zu unterstützen. Ihr Laden in Kemnath, den es seit 2002 gibt, ist einer der ältesten Bio-Händler im Landkreis Tirschenreuth. In das Geschäft eingestiegen sind seine Eltern bereits 1996 – damals noch mit einem Lieferservice für Obst und Gemüse in Bioqualität. (psfo)

 
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