Marktredwitz
10.03.2019 - 11:41 Uhr

Bewegende Schicksale

In der Geschichtsschreibung werden meist nur herausragende Persönlichkeiten beachtet. „Die Schicksale der ,kleinen Leute‘ aber werden kaum erwähnt“, bedauert Günther Juba zu Beginn eines besonderen Vortrags beim Historischen Club.

Egerer Bürgern lieh Günther Juba (rechts) seine Stimme. Als Ehrengast begrüßte Friedrich Haubner (links), Vorstandsmitglied beim Historischen Club, die tschechische Historikerin Marcela Brabačová. Bild: wro
Egerer Bürgern lieh Günther Juba (rechts) seine Stimme. Als Ehrengast begrüßte Friedrich Haubner (links), Vorstandsmitglied beim Historischen Club, die tschechische Historikerin Marcela Brabačová.

Dass der außergewöhnlich gut besuchte Abend im Meister-Bär-Hotel in Marktredwitz eigentlich zu einem Dialog mit unsichtbaren Menschen aus der Stadt Eger wird, ist schnell klar. Die Idee, Bürger der westböhmischen Nachbarstadt zu Wort kommen zu lassen, hatte die tschechische Historikerin Marcela Brabacová, die 2011 den Anstoß gab, Erinnerungen der dort lebenden Menschen aufzuschreiben. "Ziel der Zitatenfindung war es auch - nachdem Eger/Cheb 950 Jahre alt wurde - die gesammelten Schicksale in der Nikolauskirche zu veröffentlichen." Marcela Brabacová ist beim Vortragsabend beim Historischen Club Ehrengast und Zuhörerin.

Günther Juba lebt in Waldsassen. Der Klosterstädter ist Sprecher des deutsch-tschechischen Stammtisches, zudem auch Träger der Balthasar-Neumann-Medaille. Der Referent, der neben einer kleinen Tischlampe Platz genommen hat, war schon einmal Mal Referent beim Historischen Club. "Die ,kleinen Leute' waren oft nur Spielball der Mächtigen", klagt Juba, dem es ein besonderes Anliegen ist, Kontakte mit den tschechischen Nachbarn zu pflegen: "Die Schatten der Vergangenheit dürfen die Zukunft nicht belasten." An diesem Abend lässt er ausschließlich "kleine Leute" zu Wort kommen.

"Die Familiennamen lasse ich weg", erklärt er seine Auswahl an Besonderheiten. "Es muss reichen, wenn man die Vornamen weiß." Der bebilderte Rückblick wird zu einer Begegnung mit Menschen, die die Weltkriege, die Vertreibung und die Zeit des Kommunismus erlebt haben. In den Mittelpunkt rücken auch der "Prager Frühling" und die Zeit danach. In den Fokus geraten die fallenden Grenzen und Stacheldrähte und wie sich das Stadtleben danach entfaltete.

Voller Gegensätze

Der Vortrag startet 1918 in der Egerer Schlögelgasse, "die eine Welt für sich ist". Das Stimmungsbild beschreibt aber auch - so Juba - "eine spannende Zeit voller Gegensätze". An anderer Stelle lässt er einen Gustav zu Wort kommen, der 1938 am Egerer Marktplatz stand, wo er den reisenden Diktator sah, den alle Führer nannten. "Ich habe kein Foto gemacht, weil ich mich langweilte." Die Rede habe er gehört, verstanden aber habe Gustav kein Wort. "Das Spektakel war für mich nichts Besonderes."

Günther Juba blättert weiter. Auf einer anderen Konzeptseite steht ein Ausspruch, der von einem damals sechs Jahre jungen Mädchen stammt: "Der große Herr auf der Straße machte mir Angst." Zerstörte oder brennende Läden, die jüdischen Kaufleuten gehörten, beschreibt das nächste Foto. "Die Menschen waren sprachlos, weil keine Feuerwehr anrückte, um zu helfen", lässt Juba Gustav erneut erzählen. Beim "Treffen" mit den nicht anwesenden Bürgern wird von heulenden Luftschutzsirenen erzählt. "Nach dem Angriff wurde uns eine kleine Wohnung zugeteilt, so hatten wir wenigstens ein Dach über dem Kopf", erinnert sich Erika, die hinzufügt, dass am 8. Mai der Krieg endlich zu Ende war.

Bitterlich geweint

Mehr und mehr gestalten sich die 90 Minuten zu einer tief bewegenden Chronologie der Schicksale. Ortrud war vier Jahre alt, als ihr ein Tscheche das Schaukelpferd, danach die Heimat wegnahm. "Bis heute sehe ich das lackierte Spielzeug vor mir", sagt sie. "Wir weinten bitterlich", ergänzt Anneliese und beschreibt damit den Tag der Vertreibung. "Das war das Schlimmste, was ich je erlebt habe."

Von Hoffnung erzählen die Leute, die den "Prager Frühling", später den Fall des "Eisernen Vorhangs" erlebten. "Am schönsten wurden wir von den Österreichern unterdrückt", erklärt schließlich einer humorvoll die nicht immer leichten Jahre im Nachbarland. Heute sei Eger/Cheb wieder eine aufstrebende, vor allem aber eine freie Stadt im Herzen Europas, schließt Günther Juba seinen Dialogreigen mit einer letzten Folie, auf der man lesen kann: "Ahoj sousedé - Hallo Nachbarn."

Im Meister-Bär-Hotel ließ Günther Juba einige Egerer Bürger von ihren Schicksalen erzählen. Bild: wro
Im Meister-Bär-Hotel ließ Günther Juba einige Egerer Bürger von ihren Schicksalen erzählen.
Erneut war das Interesse groß am Vortrag, zu dem der Historische Club eingeladen hatte. Bild: wro
Erneut war das Interesse groß am Vortrag, zu dem der Historische Club eingeladen hatte.
 
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