Seit 68 Jahren wohnt die Frau in einer Wohnung der Stewog (Stadtentwicklungs- und Wohnungsbau GmbH). In all den Jahrzehnten ist sie so unscheinbar wie offenbar zufrieden. „Wir haben jahrelang nichts von ihr gehört“, sagt Stewog-Geschäftsführer Mario Wuttke. Doch nun kommt die Frau nicht mehr alleine zurecht und hat sich erstmals gemeldet. Ihr Vermieter ist ihre einzige Anlaufstelle. Es sind Fälle wie dieser, die Wuttke nachdenklich machen. „Es gibt durchaus soziale Vereinsamung, da müssen wir etwas unternehmen.“
Daher sind die Verantwortlichen der Stewog ebenso wie die der Baugenossenschaft von Anfang an beim Programm „Zukunftswerkstatt Kommunen“ mit im Boot. Dieses will das 40 Hektar umfassende Wohnquartier rund um das Schulzentrum aufwerten. Hier leben an die 3000 Menschen aus 50 Nationen zusammen. Dabei geht es nicht nur um Bauprojekte, wichtig ist der Stadt Marktredwitz vor allem das gute Miteinander der Bewohner. „Wo kommt man einfacher zusammen als beim Sport oder beim gemeinsamen Kochen?“, sagt Daniela Pöhlmann von der Stewog und Projektleiterin für die Zukunftswerkstatt.
45 Minuten Fitness für jeden
Los geht es am Samstag, 3. September, mit dem Sport. Wer Lust hat, kann sich um 16 Uhr im kleinen Park am Kreisverkehr an der Egerstraße an einem 45-minütigen kostenlosen Rückenfit- und Stretch-Kurs beteiligen. „Wir wollen die Aktion bewusst ganz niederschwellig halten. Niemand muss fit sein, Vorkenntnisse besitzen oder die deutsche Sprache beherrschen. Egal ob Jung oder Alt, jeder soll kommen und einfach beim Mitmachen Spaß haben“, sagt Daniela Pöhlmann. Den gesamten September über bieten die Kursleiter Doris Gimmel und Sabrina Seifert vom TV Lorenzreuth, Matthias Elsner von der Volleyballgemeinschaft Fichtelgebirge und Kimberly Mulkey von Bar’n Gym jeweils am Samstag um 16 Uhr und Dienstag um 18.30 Uhr bei gutem Wetter Sportkurse an. Am Dienstag dreht sich alles um Gymnastik.
Für Zweiten Bürgermeister Horst Geißel ist die „Zukunftswerkstatt Kommune“ ein Segen. Hierdurch könne Modellhaftes für die Bürger der Stadt bewirkt werden. Vor allem freue ihn, dass sich die beiden großen Vermieter Stewog und Baugenossenschaft mit jeweils etwa 450 Wohnungen in dem Gebiet beteiligen.
Kulturelle Unterschiede
Stefan Roßmayer, Geschäftsleiter der Baugenossenschaft Marktredwitz, spricht unumwunden von durchaus manchmal auftretenden Spannungen in den Häusern. „Es leben hier die alteingesessenen Mieter neben neueren aus den unterschiedlichsten Nationen. Hier gibt es natürlich kulturelle Unterschiede und auch Werte, die schon mal zu Problemen führen können.“ Ihm schwebt wie auch Mario Wuttke die Stelle eines Quartiermanagers vor. „Ja, wir benötigen hier einen Kümmerer, der die Mieter kennt, sich auch mal Zeit für eine Tasse Kaffee mit ihnen nehmen kann und einen Ausgleich zwischen all den Parteien schafft. Er sollte zudem bestens vernetzt sein und es vermögen, für alle möglichen Fälle Hilfe zu organisieren.“
Ein erster Schritt, sich kennenzulernen, sind womöglich die Sportstunden. Horst Geißel hofft, dass diese gut angenommen werden. „Es wäre schon gut, wenn die Leute nicht nur vom Balkon aus zusehen und sich dann wieder zurückziehen, sondern sich beteiligen.“ Eben damit die Sportlerinnen und Sportler nicht quasi auf dem Präsentierteller turnen, haben sich die Übungsleiter ein von der Straße nicht einsehbares Plätzchen gesucht, das mit einer hohen Hecke vor Blicken geschützt ist.
Noch viele weitere Ideen
Die Gymnastik- und Rückenstunden sind lediglich der Auftakt für eine ganze Reihe weiterer Kurse im Quartier. „Wir haben noch jede Menge Ideen, angefangen vom Back- und Kochkurs bis zu Kreativnachmittagen oder -abenden“, sagt Daniela Pöhlmann.
Die Vermieter, die Projektleiterin und Zweiter Bürgermeister Horst Geißel sind zuversichtlich, bei den Bewohnern und allen anderen Interessierten offene Türen einzurennen. Immerhin sei der Rücklauf einer Fragebogenaktion im Quartier im vergangenen Jahr hervorragend gewesen, so Geißel.
Auch wenn die Vermieter seit Jahren ihre Häuser und Wohnungen sanieren, liegen die Gründe für Vereinsamung und Spannungen nicht immer am Zustand der Immobilien. Häufig scheitert es an der Sprache. In den vergangenen Jahren seien zum Beispiel Syrer und in jüngster Zeit Ukrainer zugezogen. Dazu kommt laut Mario Wuttke der Mieterwechsel. Etwa ein Zehntel aller Wohnungen werde pro Jahr neu belegt. „Nicht jeder kommt gleich mit jedem Nachbarn gut zurecht. Das kann in Einzelfällen schon dazu führen, dass sich jemand dann lieber zurückzieht und auf Kontakte verzichtet.“
Vermüllte Wohnungen
Die Projektverantwortlichen gehen davon aus, dass sich die Bewohner schon in nächster Zeit bei den Kursen kennen- und sicher auch schätzen lernen. Wenn irgendwann auch noch ein Kümmerer im Quartier die Mieter betreut, könnte das Zusammenleben noch einfacher werden. „Leider erfährt man von den Problemen der Menschen erst, wenn es zu spät ist“, berichtet Wuttke und schildert den Fall einer vermüllten Wohnung, die geräumt werden musste. „Leider fehlt uns in der Verwaltung die Zeit, sich um die Menschen zu kümmern.“
Die Sportkurse finden bei schönem Wetter im Park an der Egerstraße statt: Samstag, 3. September, 16 Uhr; Dienstag, 6. September, 18.30 Uhr; Samstag, 10. September, 16 Uhr; Dienstag, 13. September, 18.30 Uhr; Samstag, 17. September, 16 Uhr; Dienstag, 20. September, 18.30 Uhr; Samstag, 24. September, 16 Uhr; Dienstag, 27. September, 18.30 Uhr; Samstag, 1. Oktober, 16 Uhr.
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