Mitterteich
01.03.2022 - 12:04 Uhr

Erinnerungen an Widerstand gegen Atommüll in Mitterteich

Seit 1985 existiert in Mitterteich das Lager für schwach- und mittelradioaktive Stoffe. In der Reihe Erzählcafé wurden nun Erinnerungen an die jahrelangen Proteste gegen diese Einrichtungen wach.

Von Werner Männer

Der einstige Widerstand gegen den Bau des Atommüllagers im Gewerbegebiet Birkigt stand kürzlich im Mittelpunkt der Reihe Erzählcafé. Monika Beer-Helm vom Arbeitskreis Heimatpflege stellte den Besuchern im Mehrgenerationenhaus dabei auch ein zu diesem Thema durchgeführtes Filmprojekt der Demokratie-Werkstatt des Netzwerks Inklusion vor.

Zur Einführung zeigte Beer-Helm einige Aufnahmen von der Protestbewegung. Mehr als 8000 Menschen aus der Region hatten damals gegen diese Einrichtung Stellung bezogen und waren auf die Straße gegangen. Auch die politischen Funktionsträger hätten schnell gemerkt, dass sie sich dieser Bewegung anschließen sollten, so die Referentin. Nach der Entscheidung, das Lager bei Mitterteich anzusiedeln, wurde im Januar 1981 die Bürgerinitiative (BI) gegen Atommüll im Grenzland gegründet. Vorsitzende waren Franz Kunz, Erich Dickert (beide Mitterteich) und Peter Rex (Tirschenreuth).

Beleidigungen und Klage

Heftige Diskussionen hätten sich in den folgenden Wochen und Monaten entwickelt, so die Referentin. Beleidigungen wie "Rattenfänger", "Volksverhetzer" und andere Ausdrücke seien gegen diesen Protest der Bevölkerung verwendet worden. Das habe dazu geführt, dass sogar eine Klage gegen den Landtagsabgeordneten und späteren Minister August Lang eingereicht worden sei. Diese habe aber nicht zu einem Erfolg geführt. Monika Beer-Helm erinnerte auch an eine Demonstration in München, zu der aus dem Landkreis Tirschenreuth etwa 20 Busse mit rund 1000 Personen gefahren seien. Vor der Staatskanzlei wurde eine Unterschriftenliste übergeben, doch diese habe lediglich ein Angestellter entgegengenommen. Ein verantwortlicher Politiker habe sich nicht blicken lassen.

Nach Erteilung der Baugenehmigung für das Lager 1983 habe erneut ein Demonstrationszug den Widerstand in der Bevölkerung deutlich gemacht. Schließlich trafen 1985 die ersten Lieferungen mit Atommüll in Mitterteich ein. Auch daran erinnerte die Referentin mit Bildern. In dem anschließend gezeigten Film der Demokratie-Werkstatt kamen der frühere Mitterteicher Bürgermeister Karl Haberkorn sowie vonseiten der BI Gerhard Wehner, Angela Müller und Erich Tilp zu Wort.

"Letzte Ecke"

Friedrich Wölfl von der Demokratie-Werkstatt, der auch für den Film mit verantwortlich zeichnete, blickte im Laufe des Nachmittags auch zurück auf den Film "Agonie einer Landschaft". Darin sei der Landkreis Tirschenreuth als "letzte Ecke" Deutschlands dargestellt worden. In diesem Film sei aber auch deutlich geworden, dass die geplante Ansiedlung des Lagers nicht nur eine Mitterteicher Sache sei. Mit demokratischen Mitteln und gewaltfrei habe man versucht, etwas zu erreichen. Es habe ihn gewundert, so Wölfl weiter, dass das damalige Aufbegehren so wenig Resonanz in der heutigen Wahrnehmung finde.

Hans Lugert merkte dazu an, dass die Proteste langfristig doch etwas gebracht hätten. Vor allem hätten die Politiker gemerkt, dass man die Bevölkerung in das Geschehen mit einbeziehen müsse. Dies sei insofern erreicht worden, ergänzte Beer-Helm, dass ein Bürgerbeirat gegründet wurde, der Einblick in die Arbeit und die Vorgänge im Atommüll-Lager habe.

Christina Ponader, ebenfalls vom Netzwerk Inklusion, gestand, bis zur näheren Auseinandersetzung mit dem Thema von den damaligen Geschehnissen und vor allem von den Protesten in Mitterteich nichts gewusst zu haben. Sie habe lediglich die Proteste in Wackersdorf in Erinnerung. Deshalb sollte es schon ein Anliegen sein, dass dieses damalige Geschehen nicht vergessen werde.

Wolfgang Kolb, ehemals Betriebsleiter im Atommülllager, erinnerte daran, dass die Einrichtung eigentlich nach und nach geleert und das Material in ein Endlager gebracht werden sollte. Aber auch andernorts habe man sich gewehrt, ein Endlager sei immer noch nicht gebaut worden. Zumindest werde durch den Bürgerbeirat das Geschehen im Lager transparent gehalten, sagte Kolb.

Abschließend informierte Christina Ponader, dass das Netzwerk Inklusion das Filmprojekt fortsetzen werde. Dazu bat sie um weitere Ideen. Referentin Monika Beer-Helm schloss den Nachmittag mit der Ankündigung des nächsten Erzählcafé-Nachmittags im März. Dann werde der letzte Teil der Sammlungsergebnisse zum Thema "Musikalisches Mitterteich" gezeigt. Details zum Termin würden noch folgen.

Hintergrund:

Proteste säumen Weg zum Atommülllager

Ein langer Protestweg säumt die Entstehung des Zwischenlagers in Mitterteich, das maximal 40 000 Gebinde aus kerntechnischen Anlagen und 10 000 Behälter aus Medizin und Industrie aufnehmen kann. Einige Stationen:

  • November 1980: Die Staatsregierung gibt die Pläne samt Standortentscheidung für Mitterteich bekannt. Daneben waren Ebenhausen (Oberbayern), Gallenbach (Schwaben), Schweinfurt (Unterfranken) und Schwabach (Mittelfranken) in der Auswahl.
  • Dezember 1980: erste Großdemonstration in Mitterteich.
  • Januar 1981: Gründung der Bürgerinitiative (BI) gegen Atommüll im Grenzland.
  • April 1981: Rund 1000 Bürger reisen in Bussen und Privatautos nach München zum Protest vor der Staatskanzlei
  • März 1982: BI und Bund Naturschutz übergeben mehr als 30000 Unterschriften an Landrat Franz Weigl. Zweite Großdemo in Mitterteich.
  • April 1983: dritte Demonstration in Mitterteich.
  • August 1983: Regierung der Oberpfalz erteilt Baugenehmigung.
  • September 1984: Die Klage der BI gegen die Baugenehmigung wird abgewiesen.
  • Juni 1985: Die Klage der BI auf Baustopp wird abgewiesen.
  • Oktober 1985: Die ersten Fässer mit Atommüll kommen in Mitterteich an.
  • Januar 1986: Die BI, die von weiteren gerichtlichen Schritten wegen des hohen finanziellen Risikos absieht, löst sich nicht auf. Der Widerstand verlagert sich zunehmend nach Wackersdorf.
 
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