Wer erinnert sich nicht gerne an "Sunrise Mass" und "Cantus missae", beides fulminante Klassik-Events zur Einstimmung auf das Tonart-Festival (wir berichteten). Ihnen steht der musikalische Auftakt, so zeigte sich Walter Elberskirch in seiner Einleitung überzeugt, einzig in personeller Stärke, keinesfalls aber an Qualität nach. Die Neugründung eines Vokalensembles mit spezifischer Intension, das mutige Einstudieren moderner Kompositionen - inklusive teils ungewohnter Klangwelten - und die perfekte Performance sprächen in klassischer Manier für die innovative Art von Jonathan Brell.
Die musikalische Qualität seiner überregional und gezielt ausgewählten Sänger zeigte "Vocanthus" dann vom ersten Augenblick an - zunächst mit "Lux Aeterna" von Brian A. Schmidt und im Laufe des Konzerts durch optisch sichtbare Flexibilität der Stimmlagen. Beinahe spielerisch wechselte man die einzelnen Tempi und Anforderungen. Nach dem präzise und konzentriert vorgetragenen "Tu solus qui facis mirabilia" (Josquin Desprez) gelang den Sängern per "Flight Song" (Kim André Arnesen, 1980) problemlos der Sprung von der teils christlich-mystischen Vokalpolyphonie der Renaissance zurück in die Moderne. Diese setzt auch, wie sich an "Villarosa Sarialdi" von Thomas Jennefelt zeigte, höchst anspruchsvolle Passagen mit gewöhnungsbedürftiger, weil bewusst dissonant klingender Lautmalerei, ein.
Ganz im Gegensatz zu Ola Gjeilo, der "The Rose" erblühen ließ. In Symbiose mit mehreren Streichern mochte sich das Ohr dabei gerne von harmonischen Tönen umschmeicheln lassen. Jene erhielten anschließend noch Unterstützung am Klavier - Jonathan Brell saß bei seiner Eigenkomposition selbst am Flügel, einer Leihgabe der Aventinus-Stiftung aus dem Stadtmuseum - um mit "Lilie für Cäcilia" der Patronin der Kirchenmusik zu huldigen. Beim Ausflug in höhere Sphären war natürlich weibliches Zartgefühl gefragt: Über den sanften Tönen der Glasharfe erhoben sich die Stimmen zu den "Stars" von Eriks Esenvalds.
Zum epischen Finale entführte das Ensemble seine Zuhörer mit Hilfe von Ola Gjeilo in die "Dark Night of the Soul" - eine musikalische Abenteuerlandschaft voller Höhen und Tiefen, temperamentvoller Rhythmen, scheinbar grenzenloser Weiten und dann wieder unterbrochen von stimmgewaltigen Sequenzen. Erst nachdem der letzte Ton des mehrteiligen Werkes verklungen war, schienen Akteure wie Besucher wieder in der Realität angekommen - natürlich mit großem Applaus für die bravouröse Premiere des neuen Ensembles, das sich mit Max Regers "Nachtlied" als Zugabe verabschiedete.
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