Millionen von Menschen flüchten vor den anrückenden sowjetischen Armeen. Nach über fünf Jahren Krieg, Not und Entbehrung steigern sich Leid und Elend ins Unermessliche. Für die allermeisten Deutschen - an den Kriegsschauplätzen, auf der Flucht oder in der Heimat - wird das Weihnachten des letzten Kriegswinters wohl zu einem der bittersten und traurigsten Geburtsfeste Christi überhaupt.
Unter dem Titel "Lebensbild meiner Kriegsgefangenschaft 1944/45" berichtet der junge Neukirchener Soldat Leonhard Deyerl von seinen leidvollen, aber auch von großer Menschlichkeit und von Hilfsbereitschaft geprägten Erinnerungen an den Kriegswinter und das Weihnachtsfest 1944 in rumänischer Gefangenschaft. Erst nach seinem Tod im Jahre 2005 fanden Angehörige diese bewegenden Aufzeichnungen in einem bis dahin unbekannten Tagebuch.
Mit Leiden und Sterben
Das Kriegsgeschehen im Südosten Europas erfuhr im Sommer 1944 nach relativer Stabilität eine dramatische Wende. Nach Deyerl, der als Sanitäter hautnah mit Leiden und Sterben konfrontiert war, veränderte sich die Situation in Rumänien schlagartig mit dem 23. August 1944.
An jenem Tag kam es zum Umsturz: Das bis dahin mit NS-Deutschland verbündete Land wechselte die Fronten und trat umgehend in den Krieg gegen HitlerDeutschland ein. Und diese Entwicklung war nicht ohne Vorgeschichte: Die nach der Katastrophe von Stalingrad im Winter 1942/43 neu aufgestellte 6. deutsche Armee war bereits nach den ersten Kampfhandlungen im Begriff, in der am 20. August 1944 beginnenden sowjetischen Großoffensive von Jassy-Kischinjow (Kishinew) im damaligen Bess-Arabien eine vernichtende Niederlage zu erleiden. Noch vor dem Ende dieser Kesselschlacht schlug sich Rumänien auf die Seite der Alliierten.
Blutiger Arbeitstag
Leonhard Deyerl musste am Telefon am Hauptverbandsplatz in Ploesti nach einem blutigen Arbeitstag als Erster in seiner Einheit die Nachricht von der Kriegserklärung Rumäniens gegen Deutschland entgegennehmen. Die rumänischen Verbündeten waren quasi über Nacht zu Gegnern und Feinden geworden. Als Augenzeuge und unmittelbar mit den aufkeimenden Kampfhandlungen konfrontiert, berichtet der Neukirchener von schweren und verlustreichen Rückzugsgefechten um Bukarest, der Hauptstadt des Landes.
In höchster Gefahr
Immer öfter wurde er als "Sani" zu verwundeten und sterbenden Kameraden zu Hilfe gerufen. Oft wusste er im Angesicht von soviel Leid und Schmerz nicht, so Deyerl in seinen Aufzeichnungen, welchem sterbenden oder verletzten Soldaten er zuerst helfen sollte. Dabei war er selbst bei seinen Einsätzen aufs Höchste gefährdet.
Vor dem feindlichen Granat- und Geschosshagel musste er sogar zwischen den Körpern toter Kameraden Schutz suchen. Und so blieb es nicht aus,dass er bei einem seiner Rettungseinsätze selber schwer verletzt wurde. Auch er war zum Opfer der mörderischen Kampfhandlungen geworden. Gottlob wurde ihm durch den aus der gemeinsamen Sanitätstätigkeit bekannten Truppenarzt unverzüglich Erste Hilfe zuteil. Ein Verwundetentransport per Luft in die Heimat scheiterte ebenso wie die Überstellung in das noch ruhigere Budapest.
Die JU 52 mit ihm an Bord flog nach Buzau - nicht wie erhofft in die Heimat, sondern exakt in entgegensetzte Richtung. Auch auf dem Weitertransport per Eisenbahn erwarteten den Verwundeten durch überfallartige Kampfhandlungen lebensdrohliche Überraschungen.
Großherzig und selbstlos
Leonhard Deyerl kommt in seinen flüssig geschriebenen Kriegserinnerungen immer wieder auf die Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft der in Rumänien seit Jahrhunderten ansässigen volksdeutschen Bevölkerung zu sprechen, die sich auch angesichts der für sie zuspitzenden Situation großherzig und selbstlos zeigte. Vielfach wurden die deutschen Soldaten förmlich mit Obst, Gebäck, Zigaretten und anderen Liebesgaben überschüttet.
Gescheiterte Fluchtversuche
Anfang September 1944 erfolgte dann - wegen der sich rapide verschlechternden militärischen und politischen Lage - seine Internierung durch nunmehr feindliche rumänische Kräfte in Hermannstadt (heute Sibiu). Zwei Fluchtversuche scheiterten kläglich. Auch seine Gesundheit war keineswegs wieder hergestellt, eine drohende Arm-Amputation konnte im letzten Moment abgewendet werden.
Im November wurde Deyerl in einer geräumten Schule in Heltau interniert. Dort erlebte er mit Leidensgenossen den Heiligen Abend 1944 - trotz des Schreckens der letzten Monate -dank der Fürsorge der Volksdeutschen - wider Erwarten geborgen und besinnlich.
Geschmückter Tannenbaum im Vordergrund
Zu dem von ihm miterlebten Heiligen Abend im Winter 1944/45 merkt Leonhard Deyerl wörtlich an: „Heiliger Abend, dieses Wort geht jedem Deutschen zu Herzen.
An jenem Tag hatten wir durch einen Pfarrer Kirche im Keller, dessen kahle Wände durch geschickte Hände zu einem festlich geschmückten Saal verwandelt waren.
Im Vordergrund stand der traute und geschmückte Tannenbaum sowie die Krippe von Bethlehem. Das Licht erlosch, im Schein der Weihnachtskerzen erklang leise das Lied der Lieder ,Stille Nacht, Heilige Nacht’.
Als die letzte Strophe verklungen war, ergriff der Pfarrer das Wort. Die ergreifende Ansprache des Predigers rührte das Herz jedes einzelnen von uns und auch die Härtesten konnten die Tränen nicht verbergen.“
Ein Chor sang – auf dem Klavier begleitet – in der Krankenstation Weihnachtslieder, denen die Verwundeten auf ihrem Strohlager andachtsvoll lauschten. Und in Gedanken, so ist sich der Neukirchener sicher, verweilte jeder Lagerinsasse im fernen Rumänien bei seinen Liebsten in der Heimat.
Und weiter schreibt Leonhard Deyerl in seinen Aufzeichnungen aus den rumänischen Winter: „Beim Lied vom Guten Kameraden wurden bei uns allen die Erinnerungen an die schreckliche Zeit des Krieges und seinen bitteren Folgen wieder wach.“
Erschüttert war dann im Januar 1945 die Deportation der liebgewonnenen Freunde von der deutschen Volksgruppe nach Russland hautnah und ohnmächtig mitzuerleben.
Auch die deutsche Minderheit war nach dem Frontwechsel Rumäniens im August 1944 durch den Feind von Außen und die politische Verfolgung von Innen in eine prekäre und verhängnisvolle Situation geraten.
Deyerls Erinnerungen berichten nicht nur vom Kampfgeschehen im Kriegswinter 1944/45, sie geben auch ein beredtes Zeugnis von Menschlichkeit und stiller Weihnachtsfreude in der Endphase eines sinnlosen und mörderischen Krieges vor 75 Jahren.
Leonhard Deyerl kehrte nach Jahren der Gefangenschaft glücklich in seine Oberpfälzer Heimat zurück. Er verstarb 2005 im Alter von 83 Jahren.
Übrigens tangiert das rumänische Kriegsdrama auch den damaligen Flugplatz Amberg-Schafhof: Eine hier aufgestellte Einheit fiel größtenteils dem Geschehen in Rumänien zum Opfer (nach Karl Dittrich „Der große Verrat“). (wsl)
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