Neunburg vorm Wald
23.03.2025 - 12:48 Uhr

Gesundheitssystem vor dem Kollaps? Experten tauschen sich aus

Finanzierung, Digitalisierung, Personal: Das Gesundheitssystem steht vor erheblichen Herausforderung. Experten aus verschiedenen Bereichen erklären in Neunburg, was es braucht, um die medizinische Versorgungsstruktur zu verbessern.

Die Expertenrunde mit Christoph Wenz, Frank Wohl, Bernhard Seidenath, Harald Hollnberger und Andreas Fiedler (von links) machte Vorschläge zur Sanierung des Gesundheitssystems. Bild: Hirsch
Die Expertenrunde mit Christoph Wenz, Frank Wohl, Bernhard Seidenath, Harald Hollnberger und Andreas Fiedler (von links) machte Vorschläge zur Sanierung des Gesundheitssystems.

Wie lässt sich das Gesundheitssystem sanieren und vor dem Kollaps bewahren? Um diese Frage ging es beim Expertengespräch des gesundheitspolitischen Arbeitskreises der CSU in Neunburg vorm Wald.

Die Fachleute waren sich einig, dass bei der Finanzierung, der Digitalisierung und der Personalgewinnung erheblicher Nachholbedarf bestehe. Um die medizinische Versorgung der Bevölkerung weiterhin sicher stellen zu können, sieht Harald Hollnberger dringenden Handlungsbedarf. Bei einer Expertenrunde am Freitag im Panoramahotel in Gütenland vermisste der Ärztliche Direktor am Klinikum St. Marien in Amberg „eine sektorenübergreifende Kommunikation der Politik mit der Ärzteschaft“. Gerade in ländlichen Regionen sei es aber wichtig, alle an der Versorgung beteiligten Parteien an einen Tisch zu bringen. Der Mediziner ist überzeugt: „Das geht nur mit Beteiligung der Kliniken, die auch die Ausbildung der Kollegen in der Versorgung sicherstellen.“ Hier ist Hollnberger seit Längerem schon mit dem Neunburger Bürgermeister Martin Birner unterwegs. „Bislang leider ohne Erfolg“, bedauert der Leiter des Onkologischen Zentrums in Amberg.

„Desaströse finanzielle Situation“

Für die Klinken fordert der Mediziner wegen der „desaströsen finanziellen Situation“ dringende Unterstützung. Nach dem Wechsel der Bundesregierung sei zu überlegen, so Hollnberger, ob nicht das Land Bayern in Vorleistung treten solle, um die aktuelle Not zu mindern. Der Klinikdirektor bezweifelt aber, „dass sich die Politik des Ernstes der Lage bewusst ist“. Die Umsetzung der Digitalisierung im Gesundheitswesen ist für Hollnberger zum Desaster geworden. Jedes Krankenhaus entwickle sein eigenes System. Der Klinikarzt fordert stattdessen auf Bundesebene ein zentrales Portal, auf das die einzelnen Kliniken zugreifen könnten.

Der gesundheitspolitische Sprecher der CSU-Landtagsfraktion, Bernhard Seidenath, beklagt „einen eklatanten Fachkräftemangel in allen Bereichen des Gesundheitswesens“. Seine Begründung: „Wir bilden zu wenig aus.“ Der Politiker schlägt eine „bessere Honorierung der Schichtarbeit und bessere Aufstiegsmöglichkeiten“ vor. Bei der Arzneimittelversorgung ist er der Meinung: „Die Apotheken müssen vor Ort bleiben.“ Großen Nachholbedarf sieht Seidenath in der Digitalisierung. Sie könne dem Diagnostiker nicht nur bei der Therapie, sondern auch bei der Vorbeugung von Krankheiten Hilfestellung leisten. Auch die Verknüpfung von stationärer und ambulanter Behandlung sei verbesserungswürdig, so der CSU-Politiker. Er sieht die Grundfesten des Systems gefährdet, „wenn wir an der unterschiedlichen Behandlung von Privat- und Kassenpatienten festhalten“.

Frank Wohl, Präsident des Bayerischen Zahnärzteverbandes, prognostiziert auch bei den Zahnärzten langfristig eine Unterversorgung. „Selbst gut gehende Praxen finden schon jetzt keinen Nachfolger mehr“, stellt der in Grafenwöhr niedergelassene Zahnarzt fest. Ein Grund dafür sei „die geringe Honorierung der Arztleistungen“. Ähnlich äußerte sich auch der Neunburger Stadtrat und Zahnarzt Christoph Wenz, der einen Vergleich mit Tierärzten herstellte, die für Zahnbehandlungen bei Tieren deutlich höhere Honorare verlangen dürften.

„Chronisch unterversorgt“

Andreas Fiedler, Kinderarzt am Klinikum St. Marien in Amberg, beklagt, dass im Grundgesetz zwar das Tierwohl, nicht aber das Kindeswohl verankert sei. Er hält die Kinder- und Jugendmedizin für „chronisch unterversorgt“ und befürchtet einen weiteren Rückgang der selbstständig geführten Kinderarztpraxen.

Der Neunburger Bürgermeister Martin Birner war nach einem Skiunfall gehandicapt und deshalb per Videokonferenz zugschaltet. Er kämpft um den Fortbestand des „Gesundheitszentrums Ostoberpfalz“ in Neunburg vorm Wald, dem aktuell zwölf Ärzte angeschlossen seien. Um „die schwarze Null“ bei der Finanzierung halten zu können, seien der Abbau von Bürokratie, die Reduzierung der Nachweispflicht sowie eine Verbesserung der Personalsituation und der Finanzierung erforderlich. Der Bürgermeister fordert von den Kostenträgern Vorschläge für strukturelle Reformen.

Info:

Gesundheitszentrum Ostoberpfalz

  • Standort: Neunburg vorm Wald
  • Träger: Stadt Neunburg, Verwaltung rechnet die Leistungen mit den Kostenträgern ab
  • Personal: Zwölf Ärzte und über 100 Angestellte
  • Medizinische Versorgung: Allgemeinmedizin, Chirurgie, Innere Medizin, Kardiologie, Diabetologie sowie Kinder- und Jugendmedizin
 
Kommentare

Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.

Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.

Zum Fortsetzen bitte

Sie sind bereits eingeloggt.

Um diesen Artikel lesen zu können, benötigen Sie ein OnetzPlus- oder E-Paper-Abo.