Wir schreiben den 19. April 1945, der Himmel ist leicht bewölkt. Die Angst vor den anrückenden Amerikanern lähmt das Leben in der Stadt. Nur noch wenige Einwohner glauben an den Endsieg. Vor einigen Tagen waren die Explosionen bei der Bombardierung der Festung Grafenwöhr bis zum Rauhen Kulm zu hören.
Die Amerikaner hatten bereits Bayreuth eingenommen und rückten von dort aus mit zwei Kampfgruppen in Richtung Grafenwöhr vor. Neustadt am Kulm lag auf dem Weg der Kampfgruppe A. Wie immer in diesen letzten Kriegstagen wurden die Einheiten bei ihrem Vormarsch durch Luftstreitkräfte unterstützt.
Um 8.55 Uhr tauchten plötzlich acht amerikanische Jagdflugzeuge vom Typ P-47 Thunderbold am Rauhen Kulm auf. Sie eröffneten sofort mit ihren Bordwaffen, Raketen und Bomben das Feuer. Es gab keine Gegenwehr, da sich keine deutsche Truppen in der wehrlosen Stadt befanden.
In den folgenden 60 Minuten erlebten die Stadt und ihre Bewohner ein Inferno. In mehreren Angriffswellen stürzten sich jeweils vier Flugzeuge gleichzeitig auf das Ziel und deponierten ihre todbringende Last. Zunächst wurden 4 Sprengbomben, jeweils 250 kg schwer, und 8 Brandbomben M78 aus einer Höhe von 150 Meter abgeworfen. In den folgenden Angriffswellen feuerten sie 20 Raketen vom Typ HVAR 5 aus 60 Meter Höhe ab und gaben 3021 Schuss aus ihren Bordwaffen MG 50 ab.
Noch heute besteht im Stadtgebiet die Gefahr von Blindgängern. Deshalb wurde beim momentanen Kanalprojekt die Trasse von einem Kampfmittelräumdienst vorsorglich abgesucht.
Da zur Zeit des Angriffs die Sonne im Osten hinter dem Rauhen Kulm stand, kamen die Flugzeuge bei jedem neuen Anflug aus der Sonne über dem heutigen Brunnröhrenweg. Die ersten Bomben fielen in die Hollerslohe sowie links und rechts am Beginn des unteren Marktplatzes.
Durch die schnelle und große Rauchentwicklung auf der Sommerseite und den Umstand, dass zu dieser Zeit etwas Wind aus Norden herrschte, war die Winterseite in starken Rauch gehüllt. Deshalb konnten die Piloten der Jagdflugzeuge diese Gebäude nur noch schlecht wahrnehmen. Diesem Sachverhalt ist es zu verdanken, dass die Winterseite wahrscheinlich fast vollständig verschont wurde.
Der Katastrophe vom 19. April 1945 fielen drei Menschen zum Opfer. 39 Wohnhäuser und 129 Nebengebäude wurden durch die abgeworfenen Bomben und den danach wütenden Feuersturm zerstört. Ein Teil der alten Stadtmauer, das 1654 erbaute Rathaus und das untere Tor wurden so schwer beschädigt, dass sie in den folgenden Jahren abgerissen werden mussten.
Nach dem Bombenangriff marschierten die Einheiten der Kampfgruppe A um 14 Uhr, aus Richtung Lämmershof kommend, in das noch lichterloh brennende Neustadt ein. Bis auf wenige Sicherungsposten hielten sie sich nicht lange auf. Sie rollten mit ihren Panzern und Fahrzeugen weiter in Richtung Filchendorf und erreichten noch am gleichen Tag ihr Etappenziel, den Truppenübungsplatz Grafenwöhr.
Broschüre mit detaillierter Schilderung
In mühevoller Kleinarbeit hat Hobbyheimatforscher Georg Miedel diesen schwarzen Tag in der Geschichte der Kulmstadt nachrecherchiert. Bei seiner Arbeit konnte er auch Einsatzbefehle und andere militärische Dokumente im amerikanischen Militärarchiv einsehen.
Zum 75. Jahrestag der Katastrophe hat er jetzt im Auftrag der Stadt eine Broschüre verfasst. In ihr wird detailliert die Bombardierung von Neustadt am Kulm beschrieben. Das Schriftstück liegt kostenlos für jeden Neustädter Bürger im Rathaus aus.
Ursprünglich wollte die Stadt diesen Tag mit einer Gedenkfeier auf dem Marktplatz begehen. Doch wegen der Coronakrise muss diese ausfallen. Bürgermeister Wolfgang Haberberger wird in aller Stille im Namen der Stadt am Kriegerdenkmal einen Kranz niederlegen.
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