Neustadt an der Waldnaab
24.11.2019 - 14:49 Uhr

Appell an Landwirte: Ohne Scheuklappen in die Zukunft

Moderne Technologie als Retterin der Landwirtschaft? Michael Horsch schwört darauf. Nur so könne sich die Bauernschaft mit der Gesellschaft versöhnen, sagt der Visionär beim Festakt „150 Jahre Landwirtschaftsschule Weiden“.

Michael Horsch, Geschäftsführer der gleichnamigen Maschinen GmbH in Sitzenhof, denkt ohne Scheuklappen in die Zukunft der Landwirtschaft. Bild: eig
Michael Horsch, Geschäftsführer der gleichnamigen Maschinen GmbH in Sitzenhof, denkt ohne Scheuklappen in die Zukunft der Landwirtschaft.

Michael Horsch ist nicht nur ein Vordenker seiner Zunft, er ist auch Geschäftsführer der erfolgreichen gleichnamigen Landmaschinen GmbH in Sitzenhof im Schwandorfer Stadtteil Ettmannsdorf. Horsch als Festredner auszuwählen, zeigt allein schon, wohin die Landwirtschaftsschule will: Ohne Scheuklappen in eine Zukunft, die demjenigen einen Vorsprung verschaffe, der „anpackt, wo die anderen erst einmal reden“, wie es der Schulleiter Reinhold Witt ausdrückt.

Keine Spinnerei oder Teufelswerk

Beim Festakt in der Stadthalle Neustadt/WN zeichnet Horsch ein Bild von einer Landwirtschaft, die „noch nie so interessant war wie heute“. So ist auch seine Festrede überschrieben, in der er verdeutlichen will, dass Technologie wie etwa die Präzisionsfermentation (PF) zur Herstellung von Pflanzenfleisch weder Spinnerei noch Teufelswerk sei. Vielmehr sei sie Baustein einer Landwirtschaft, die den Weg herausfindet aus der Ecke, in die sie im Moment gestellt werde. Dazu gehöre jedoch zwingend auch, dass die Landwirtschaft aktiv mit ihren Vorzügen werbe. Horsch sagt, es sei geradezu „lächerlich“, was die Landwirtschaft sich leiste, indem sie das Thema Werbung und Marketing so stiefmütterlich behandle. Denn: „Was Greenpeace kann, können wir auch.“

Von entscheidender Bedeutung sei in dem Zusammenhang eine Kennzeichnungspflicht, damit der Verbraucher zweifelsfrei erkennen könne, wenn er ein „Chlorhendl“ in der Hand habe. Die wirtschaftliche Zukunft der Bauernschaft liege klar in nachhaltig und ökologisch produzierter Ware. Horsch überfällt seine Zuhörer mit Begriffen wie Effektive Mikroorganismen (EM), Mikrobielle Carbonisierung (MC) oder Nährstoffdichte, moderne Technologie, über die er vor ein paar Jahren selbst noch die Nase gerümpft habe, sagt er und fragt: „Vielleicht gibt es in Zukunft Kohlenstoff-Landwirte?“ Den Kohlenstoff - das C aus dem CO2 - in die Erde zu bringen, sei ein überaus spannendes Forschungsfeld, das zwar aktuell noch keine praxistauglichen Lösungen biete, aber ein „Wahnsinnspotenzial“ besitze.

Einen Pflanzen-Burger aus Präzisionsfermentation hat Horsch im amerikanischen Silicon Valley selbst schon gegessen: „Im Geschmack null Unterschied.“ Hätte er nicht gesehen, wie der Burger hergestellt worden sei, er hätte niemals geglaubt, nicht in Fleisch zu beißen. In Fleisch, für das kein Tier sterben müsse, bei dessen Produktion keine klimaschädlichen Treibhausgase anfielen und das zu alledem durch einen vollkommen natürlich Prozess entstanden sei.

Die Schule heute und morgen: Lehrer im Interview. Mit dabei ist Schulleiter Reinhold Witt (Zweiter von rechts). Bild: eig
Die Schule heute und morgen: Lehrer im Interview. Mit dabei ist Schulleiter Reinhold Witt (Zweiter von rechts).

Plädoyer wider die Arroganz

Wichtig sei, so Horsch, eine positive Einstellung zu diesen Forschungsfeldern, auf denen die Entwicklung rasant voranschreite. Beispiel: Effektive Mikroorganismen. In jedem konventionell erzeugten Lebensmittel fänden sich aktuell Rückstände von Fungiziden, Insektiziden und Hormonen, jedes einzelne unter den gesetzlichen Grenzwerten, aber in der Summe als Cocktail? Horsch bekennt, dass ihm mulmig geworden sei, als er davon zum ersten Mal gehört habe. Inzwischen begännen die Mega-Farmer in Brasilien und anderswo („nicht der Spinner nebenan“), die Chemie durch Mikroorganismen zu ersetzen. Horsch selbstkritisch: „Man hätte vielleicht doch früher schon mal nach links und rechts schauen sollen.“ Anderes Beispiel: Mikrobielle Carbonisierung, ein Thema, bei dem man in Osteuropa und in der ehemaligen DDR schon viel weiter gewesen sei, von dem aber niemand habe hören wollen. Damit sei Humus zu gewinnen in wesentlich einfacherer Form, mit doppeltem Ertrag und besserer Qualität. „Es ist verrückt, was wir uns da leisten, welche Arroganz wir an den Tag legen.“Horsch appelliert eindringlich, sich diesen Zukunftsthemen nicht zu verschließen. Das sei der einzige Weg, „wie uns die Gesellschaft wieder applaudiert“.

Haushaltungskurs zwischen 1920 und 1926 in Weiden. Ein Bild aus der Chronik von Max Kunz zum Hundertjährigen 1969. Bild: exb
Haushaltungskurs zwischen 1920 und 1926 in Weiden. Ein Bild aus der Chronik von Max Kunz zum Hundertjährigen 1969.

Schulleiter Reinhold Witt sagt, man habe die Schule immer schon als Sprungbrett verstanden. Dabei sei darauf geachtet worden, die Studierenden je nach deren Voraussetzungen zu beschleunigen, aber auch darauf vorzubereiten, was sie in dem Wasser erwarte, in das sie sprängen. Stellvertrender Landrat Albert Nickl bezeichnete die Schule als einen Garanten für eine hochqualifizierte Ausbildung in der Region. Landtagsabgeordnete Annette Karl sieht auch die Politik in der Pflicht, die Bauernschaft bei einer besseren Selbstdarstellung zu unterstützen. Dr. Michael Karrer vom Landwirtschaftsministerium nannte nicht nur die Schule, sondern das gesamte Lehr- und Versuchszentrum Almesbach einen „Schatz“.

 
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